Aufbruch in neue Welten
Portugal ist heute ein kleines, relativ armes Land am Rande Europas. Zwischen dem 15. und 17 Jahrhundert hingegen war das Königreich eine Weltmacht. Das Deutsche Historische Museum Berlin erinnert in der Ausstellung "Novos Mundos - Neue Welten" an Portugals glorreiche Zeiten als See- und Kolonialmacht.
Unter geblähten Segeln schießt eine Caravelle durch die schäumende Gischt, der bärtige Riese Adamastor weist den Seefahrern inmitten düsterer Wolken und hernieder zuckender Blitze die Durchfahrt vom Atlantik hinein in den Indischen Ozean. So hat es der portugiesische Dichter Luis de Camoes 1572 in seinen "Lusiaden" hautnah beschrieben, so hat es der Historienmaler Ernesto Condeixa um 1900 pathetisch überhöht ins Bild gesetzt. Der ideale Auftakt also für eine Ausstellung, mit der das Deutsche Historische Museum Portugal so zeigt, wie es sich selbst und seine Heroen im Zeitalter der Entdeckungen darstellte. Kurator Michael Kraus:
"Camoes ist ohnehin eine interessante Gestalt, weil er einerseits das Nationalepos geschaffen hat und auf der anderen Seite eine gar nicht einfache Lebensgeschichte hatte mit seinen Reisen nach Asien, dann im Gefängnis eingesessen und seine Verarmung in Lissabon. Und dann trotzdem dieses Werk zu schaffen, das Portugal natürlich glorifiziert und mystifiziert mit antiken Motiven."
Aus gleichem Holz waren die großen Entdecker geschnitzt: Kolumbus und Magellan, Vasco da Gama, Amerigo Vespucchi oder Pedro Alvares Cabral. Nur zwei von ihnen segelten für Spanien, die drei letzteren aber im Auftrage Portugals. Ein Tagebuch von der Expedition Vasco da Gamas gibt Auskunft über alltägliche Fährnisse und mancherlei Gefahren. Unter der Museumsvitrine liegt das Original, das darf als Sensation gelten. Weniger spektakulär, aber weitaus schwerwiegender sind drei Verträge, mit denen Spanien und Portugal ihre Einflusssphären in den "Neuen Welten" festlegten:
"Im Vertrag von Tordesillas wurde ein Gebiet geteilt, von dem man langsam zu ahnen begann, dass es vorhanden zu sein schien. Aber man kannte seinen Zustand nicht, man kannte die Bevölkerung nicht! Obwohl es sehr viele Unterschiede gibt zwischen dem Kolonialismus des 16. Jahrhunderts und des 19. Jahrhunderts, obwohl man vieles nicht so einfach vergleichen kann, ist das hier sicher eine große Parallele: diese klaren Schnitte der Herrschaftsaufteilung am grünen Tisch."
Trotz naheliegender Vergleiche also versagt es sich Michael Kraus, der Portugal-Kenner, sein Thema den heute so populären Klischeevorstellungen einer ominösen "Globalisierung" unterzuordnen. Aber auch im Rückblick auf die vorangegangenen Jahrhunderte wird im Deutschen Historischen Museum fein differenziert:
"Natürlich gab es schon vorher einen internationalen Reiseverkehr. Marco Polo, sein Buch ist auch ausgestellt, war schon im 13. Jahrhundert in China. Aber es gab eben nicht diesen direkten Seeverkehr und dadurch diese Menge und diese Geschwindigkeit an Austausch, wie es dann im 16. Jahrhundert der Fall war."
Dieser historische Epochensprung lässt sich allerdings kaum mit Porträts der Seehelden oder allein durch eine Auswahl von Kostbarkeiten aus den damals neu entdeckten fernen Ländern illustrieren.
"Sie müssen und können das natürlich ergänzen durch Verwaltungsakten. Das ist die sprödere Kunst der Historiographie, aber mindestens genauso wichtig. Dann können Sie die Ausrüstung der Flotten nachvollziehen, die Kosten solch einer Unternehmung. Sie können natürlich versuchen, das dann über die Kunst mit einzubeziehen: Wie wurde das dargestellt? Wie wurde das inszeniert? Welche Repräsentationsstrategien des Neuen hat man gefunden?"
Nach einem wissenschaftlichen Symposium, das die Texte für den dickleibigen Katalog lieferte, kam also auch – und vor allem – die Kunst zum Zuge. Reich bebildert ist die Schau, gekrönt von Prunk-Atlanten, in denen die Monarchen im 16. Jahrhundert mit mythischen Fabelwesen und prächtig ausgemalten Allegorien ihre Art von Propaganda machten. Für Kenner ein besonderes Vergnügen, diese barocken Bilderrätsel zu entschlüsseln. Aber auch dem staunenden Laien wird geholfen:
"Hier finden Sie in der Kartusche unter Südafrika den schönen Satz "Lob und Ehre sei dem König von Portugal, denn er hat die Welt vermehrt."
Um was die bis dahin auf Europa beschränkte Welt vermehrt wurde, zeigt sich anschließend in überbordender Fülle: indianischer Federschmuck und chinesisches Porzellan, japanische Seidenmalerei oder afrikanische Holzintarsien. All das haben Könige damals in Wunderkammern gesammelt – und einige Künstler haben darin mehr als nur den Reiz des Seltenen und Exotischen gesehen:
"Von Dürer stammt ja dieser begeisterte Ausspruch, dass er noch nie schönere Dinge in seinem Leben gesehen hat. Und das Interessante bei Dürer ist, dass er sogar den Genius der fremden Kunstschaffenden lobt, voller Respekt für diejenigen, die so etwas geschaffen haben. Vielleicht bedarf es der Sensibilität des Künstlers, eben auch dafür Verständnis zu haben und sich nicht nur am Objekt als solchem zu begeistern."
Und diesen einfühlsamen Blick lehrt den Besucher – auf angenehm unprätentiöse Art – auch diese reich bestückte Ausstellung. Auch ohne die – durchaus lesenswerten – Katalogtexte wird im Verlauf des Vitrinenparcours deutlich, wie aus den eher zufälligen Entdeckerleistungen einzelner Seehelden die Eroberungsgelüste einer ganzen Nation gespeist wurden. Und was dabei herauskam:
"Das war der Versuch, das muss man so benennen, zu plündern und Sklaven zu fangen. Oder auch dieses portugiesische System des Schutzgeldes, mit dem man versuchte, den Seehandel auf dem indischen Ozean zu kontrollieren. Es war anderswo aber der Versuch, friedliche Handelskontakte zu knüpfen. Eben je nachdem, was man vorfand: In China konnte man nicht so auftreten, da war man in der unterlegenen Position."
Ebenso zwiespältig waren die Antrieb für die Entdeckungen: "Gewürze und Christen" hoffte man zu finden, kommerzieller Handel und kirchliche Mission waren gleichrangige Motive. Neben Bauzeichnungen für Festungsanlagen tauchen also auch Grammatiken auf, mit denen Jesuiten die Eingeborenen unterrichteten – in deren eigener Sprache. Auch konnte damals kaum pauschal von einer "Dritten Welt" die Rede sein, zu augenfällig sind die Unterschiede zwischen der fremden Wildnis Brasiliens und einer exotischen Zivilisation in Japan, zwischen der gewaltigen Landmasse Indiens und verschwindend kleinen Gewürzinseln. Die aber wiederum strategische Bedeutung hatten, wie Michael Kraus erläutert:
"Über Malakka gibt es in der portugiesischen Geschichtsschreibung den berühmten Satz: 'Wer Malakka in seinen Händen hat, der hat seine Hand an der Kehle Venedigs!' Da also versuchte man, den anderen die Zufuhr abzuschneiden."
Das hat am Ende nicht so recht geklappt. So unser heutiges Wissen – das in dieser Rückschau auf einstige Vorstellungen und Visionen der damals "Neuen Welten" um einige Dimensionen erweitert wird. Kaum zu glauben, wie schlichtes Papier, nach altem Brauch bedruckt, im Internetzeitalter die Phantasie entzünden kann.
Deutsches Historisches Museum Berlin
"Camoes ist ohnehin eine interessante Gestalt, weil er einerseits das Nationalepos geschaffen hat und auf der anderen Seite eine gar nicht einfache Lebensgeschichte hatte mit seinen Reisen nach Asien, dann im Gefängnis eingesessen und seine Verarmung in Lissabon. Und dann trotzdem dieses Werk zu schaffen, das Portugal natürlich glorifiziert und mystifiziert mit antiken Motiven."
Aus gleichem Holz waren die großen Entdecker geschnitzt: Kolumbus und Magellan, Vasco da Gama, Amerigo Vespucchi oder Pedro Alvares Cabral. Nur zwei von ihnen segelten für Spanien, die drei letzteren aber im Auftrage Portugals. Ein Tagebuch von der Expedition Vasco da Gamas gibt Auskunft über alltägliche Fährnisse und mancherlei Gefahren. Unter der Museumsvitrine liegt das Original, das darf als Sensation gelten. Weniger spektakulär, aber weitaus schwerwiegender sind drei Verträge, mit denen Spanien und Portugal ihre Einflusssphären in den "Neuen Welten" festlegten:
"Im Vertrag von Tordesillas wurde ein Gebiet geteilt, von dem man langsam zu ahnen begann, dass es vorhanden zu sein schien. Aber man kannte seinen Zustand nicht, man kannte die Bevölkerung nicht! Obwohl es sehr viele Unterschiede gibt zwischen dem Kolonialismus des 16. Jahrhunderts und des 19. Jahrhunderts, obwohl man vieles nicht so einfach vergleichen kann, ist das hier sicher eine große Parallele: diese klaren Schnitte der Herrschaftsaufteilung am grünen Tisch."
Trotz naheliegender Vergleiche also versagt es sich Michael Kraus, der Portugal-Kenner, sein Thema den heute so populären Klischeevorstellungen einer ominösen "Globalisierung" unterzuordnen. Aber auch im Rückblick auf die vorangegangenen Jahrhunderte wird im Deutschen Historischen Museum fein differenziert:
"Natürlich gab es schon vorher einen internationalen Reiseverkehr. Marco Polo, sein Buch ist auch ausgestellt, war schon im 13. Jahrhundert in China. Aber es gab eben nicht diesen direkten Seeverkehr und dadurch diese Menge und diese Geschwindigkeit an Austausch, wie es dann im 16. Jahrhundert der Fall war."
Dieser historische Epochensprung lässt sich allerdings kaum mit Porträts der Seehelden oder allein durch eine Auswahl von Kostbarkeiten aus den damals neu entdeckten fernen Ländern illustrieren.
"Sie müssen und können das natürlich ergänzen durch Verwaltungsakten. Das ist die sprödere Kunst der Historiographie, aber mindestens genauso wichtig. Dann können Sie die Ausrüstung der Flotten nachvollziehen, die Kosten solch einer Unternehmung. Sie können natürlich versuchen, das dann über die Kunst mit einzubeziehen: Wie wurde das dargestellt? Wie wurde das inszeniert? Welche Repräsentationsstrategien des Neuen hat man gefunden?"
Nach einem wissenschaftlichen Symposium, das die Texte für den dickleibigen Katalog lieferte, kam also auch – und vor allem – die Kunst zum Zuge. Reich bebildert ist die Schau, gekrönt von Prunk-Atlanten, in denen die Monarchen im 16. Jahrhundert mit mythischen Fabelwesen und prächtig ausgemalten Allegorien ihre Art von Propaganda machten. Für Kenner ein besonderes Vergnügen, diese barocken Bilderrätsel zu entschlüsseln. Aber auch dem staunenden Laien wird geholfen:
"Hier finden Sie in der Kartusche unter Südafrika den schönen Satz "Lob und Ehre sei dem König von Portugal, denn er hat die Welt vermehrt."
Um was die bis dahin auf Europa beschränkte Welt vermehrt wurde, zeigt sich anschließend in überbordender Fülle: indianischer Federschmuck und chinesisches Porzellan, japanische Seidenmalerei oder afrikanische Holzintarsien. All das haben Könige damals in Wunderkammern gesammelt – und einige Künstler haben darin mehr als nur den Reiz des Seltenen und Exotischen gesehen:
"Von Dürer stammt ja dieser begeisterte Ausspruch, dass er noch nie schönere Dinge in seinem Leben gesehen hat. Und das Interessante bei Dürer ist, dass er sogar den Genius der fremden Kunstschaffenden lobt, voller Respekt für diejenigen, die so etwas geschaffen haben. Vielleicht bedarf es der Sensibilität des Künstlers, eben auch dafür Verständnis zu haben und sich nicht nur am Objekt als solchem zu begeistern."
Und diesen einfühlsamen Blick lehrt den Besucher – auf angenehm unprätentiöse Art – auch diese reich bestückte Ausstellung. Auch ohne die – durchaus lesenswerten – Katalogtexte wird im Verlauf des Vitrinenparcours deutlich, wie aus den eher zufälligen Entdeckerleistungen einzelner Seehelden die Eroberungsgelüste einer ganzen Nation gespeist wurden. Und was dabei herauskam:
"Das war der Versuch, das muss man so benennen, zu plündern und Sklaven zu fangen. Oder auch dieses portugiesische System des Schutzgeldes, mit dem man versuchte, den Seehandel auf dem indischen Ozean zu kontrollieren. Es war anderswo aber der Versuch, friedliche Handelskontakte zu knüpfen. Eben je nachdem, was man vorfand: In China konnte man nicht so auftreten, da war man in der unterlegenen Position."
Ebenso zwiespältig waren die Antrieb für die Entdeckungen: "Gewürze und Christen" hoffte man zu finden, kommerzieller Handel und kirchliche Mission waren gleichrangige Motive. Neben Bauzeichnungen für Festungsanlagen tauchen also auch Grammatiken auf, mit denen Jesuiten die Eingeborenen unterrichteten – in deren eigener Sprache. Auch konnte damals kaum pauschal von einer "Dritten Welt" die Rede sein, zu augenfällig sind die Unterschiede zwischen der fremden Wildnis Brasiliens und einer exotischen Zivilisation in Japan, zwischen der gewaltigen Landmasse Indiens und verschwindend kleinen Gewürzinseln. Die aber wiederum strategische Bedeutung hatten, wie Michael Kraus erläutert:
"Über Malakka gibt es in der portugiesischen Geschichtsschreibung den berühmten Satz: 'Wer Malakka in seinen Händen hat, der hat seine Hand an der Kehle Venedigs!' Da also versuchte man, den anderen die Zufuhr abzuschneiden."
Das hat am Ende nicht so recht geklappt. So unser heutiges Wissen – das in dieser Rückschau auf einstige Vorstellungen und Visionen der damals "Neuen Welten" um einige Dimensionen erweitert wird. Kaum zu glauben, wie schlichtes Papier, nach altem Brauch bedruckt, im Internetzeitalter die Phantasie entzünden kann.
Deutsches Historisches Museum Berlin