Aufarbeitung

Neuer Versuch über Hitlers Vernichtungspolitik

Bundespräsident Joachim Gauck (li.) und der polnische Präsident Bronislaw Komorowski eröffnen die Ausstellung "Der Warschauer Aufstand 1944"
Bundespräsident Gauck (li.) und Polens Präsident Komorowski eröffnen die Ausstellung "Der Warschauer Aufstand 1944". © dpa / Wolfgang Krumm
Von Martin Sander  · 29.07.2014
Die Berliner Gedenkstätte "Topographie des Terrors" widmet dem Warschauer Aufstand zum 70. Jahrestag eine eigene Ausstellung. Polnische Historiker jedoch üben Kritik - wegen zu viel Pathos, auch wegen sachlicher Fehler.
Nach 63 Tagen verzweifelten Kampfes kapitulierte die polnische Untergrundarmee. Bis zu 150.000 Zivilisten und 20.000 Uniformierte kamen ums Leben. In der Warschauer Innenstadst stand kaum noch ein Stein auf den anderen.
"Warschau gehörte zu den wichtigsten Erinnerungsorten der Polen. Daher diese existentielle Erfahrung, dass man mit einer Macht konfrontiert ist, die uns vollkommen zugrunde machen will. Das war ein Endakkord einer Vernichtungspolitik von Hitler gegenüber den Polen."
... sagt der Historiker Marek Cichocki. Cichocki fungiert als wissenschaftlicher Berater einer polnischen Ausstellung über den Warschauer Aufstand, die sich speziell an das deutsche Publikum richtet. Für die Berliner Topographie des Terrors hat das Museum des Warschauer Aufstands, eines der meistbesuchten Museen Polens, diese Schau vorbereitet. Vizedirektor Paweł Ukielski:
"Unsere Ausstellung zeigt den Warschauer Aufstand in einem sehr breiten Kontext - von der Vorkriegszeit bis heute. Es geht darum, etwas miteinander zu verklammern, Warschau als sehr dynamische Stadt vor dem Zweiten Weltkrieg mit der modernen und lebendigen Hauptstadt von heute. Die Entscheidung der Deutschen von 1944, Warschau dem Erdboden gleichzumachen, dieses totalitäre Sozialengineering ist also gescheitert. Der Freiheitsdrang war mächtiger als alle verbrecherischen Pläne."
Ausstellungsmacher haben viele Zeitzeugnisse zusammengetragen
So sieht man auf den knapp 70 Kunststofftafeln im Freien viele Zeugnisse der Zeit: Aufständische im Kampf mit SS oder Wehrmacht, Waffen, einen Briefkasten aus der polnisch befreiten Zone, Filmaufnahmen der zerstörten Stadt oder die Erinnerungen eines deutschen Soldaten. Die Schau präsentiert aber auch die Geschichte Warschaus und zeigt Bilder der neuen, nach der Wende entstandenen Skyline. Die Grundaussage: Der Aufstand war trotz der verheerenden Verluste ein notwendiger Kampf für die Freiheit Polens.
Harsche Kritik von Historikern - Rückzug des polnischen Kulturministeriums
Die in Polen auch heute geführte Debatte, ob die Erhebung Sinn hatte oder ein Amoklauf war, bildet man nicht ab. Überhaupt vermeidet man Streitfragen. In Polen hat diese Machart unter Sachkennern auch für Kritik gesorgt. Władysław Bartoszewski, der Ex-Außenminister, selbst ein Aufständischer, lehnte es aus Unzufriedenheit mit dem Projekt ab, das erbetene Grußwort zum Katalog beizusteuern. Tomasz Szarota, Historiker, Experte für die polnische Geschichte unter deutscher Besatzung moniert:
"Die Ausstellung ist von Leuten gemacht worden, denen es nur so vorkommt, als seien sie kompetent. Unser Kulturministerium hat sich aus der Förderung zurückgezogen. Inhaltlich verdient die Ausstellung keinen großen Respekt. Doch wegen der deutsch-polnischen Beziehungen, um einen Affront zu vermeiden, wird sie gezeigt."
Oft verwechselt mit dem Aufstand im Warschauer Ghetto 1943
Gleichwohl dürfte die Ausstellung schon aufgrund des Ortes, der "Topographie des Terrors" mitten in Berlin, ein großes Publikum anziehen. Bereits vor zehn Jahren zeigte die Gedenkstätte Deutscher Widerstand eine von Fachhistorikern damals hoch gelobte Ausstellung zum Warschauer Aufstand. Sie wurde aber nur von wenigen wahrgenommen. Nun also ein neuer Versuch, über ein zentrales Ereignis der polnischen Geschichte des 20. Jahrhunderts zu informieren. Schließlich weiß man hierzulande wenig über den Warschauer Aufstand von 1944. Allzu oft wird er immer noch mit dem Aufstand der Juden im Warschauer Ghetto von 1943 verwechselt. Dass sich über die neue Ausstellung streiten lässt, empfindet Andreas Nachama, Direktor der Topographie des Terrors, jedenfalls als Vorteil.
"Das ist ja eigentlich auch etwas, was wir wollen, dass die Leute kontrovers über Geschichte diskutieren, weil Geschichte, die nicht kontrovers ist, ist Folklore."
Mehr zum Thema