Auf Glas malen, was Worte nicht sagen
Wer in einer altehrwürdigen Kathedrale riesige, hohe Fensterbilder mit Darstellungen biblischer Szenen sieht, vermutet ihre Entstehung meist im Mittelalter. Doch der wohl bedeutendste Glasmaler sakraler Kunst in Europa steht auch heute noch quicklebendig in seinem Atelier: Hans-Gottfried von Stockhausen.
"Ich war in der Schule nicht sonderlich gut, zeichnete leidenschaftlich gern, musste jeden Sonntag mit meinen Eltern in die Kirche gehen, evangelisch, saß – nichts von der Predigt verstehend und auch verstehen wollend - unter wunderbaren Wandbildern, die mir auf eine wortlose Weise über Liebe und Leid und Glück und Leben und Tod etwas sagten und war innerlich überzeugt: So was möchte ich auch tun. Ich möchte etwas mit Bildern sagen, was man mit Worten nicht sagen kann."
Der sensible Sohn eines Leutnants spricht jeden Morgen um 6.30 Uhr mit fünf Geschwistern und zahlreichen Hausbediensteten das Vaterunser. In einer Art Hofappell, den die Mutter auf dem landwirtschaftlichen Anwesen in Trendelburg bei Hofgeismar abhält. Ansonsten aber wird über Gefühle und Probleme mehr geschwiegen als gesprochen in jenen 20er- und 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts.
"Am Beispiel meiner Familie könnte man die ganze Tragödie preußischer Lebensauffassung, könnte die ganze Problematik des Adels, könnte vieles mehr beschreiben. All das, was geschehen war, überstieg eigentlich die Fähigkeit, es in Worte zu kleiden. Das ist meine Erklärung für dieses Schweigen."
Hans Gottfried von Stockhausen wird 1939 zur Wehrmacht eingezogen, wird fünfmal verwundet, lernt im Lazarett Widerstandskämpfer der "Operation Walküre" kennen und kann nur ahnen, welche Tragödien sich derweil zu Hause abspielen.
"Mein Zwillingsbruder hat Stalingrad bis zum letzten Tag, mit sechs Jahren russischer Gefangenschaft, mitgemacht. Ein älterer Bruder kam aus Stalingrad mit einem Kopfschuss heraus. Mein ältester Bruder war Oberkommandant, wurde in Berlin auf der Straße erschossen und der zweitälteste Bruder, der Kunsthistoriker, war acht Tage Soldat und dann war er tot."
Die restlichen drei Kinder galten als vermisst. Auch Hans-Gottfried, auf dem Weg in ein britisches Gefangenenlager in Ägypten.
"In Tarrent, einer unserer letzten Stationen vor der Überfahrt nach Ägypten, gab es nachts einen schwarzen Markt, wo man Ritterkreuze gegen Zigaretten, die alle brauchten, und Eheringe gegen Zigaretten eingetauscht wurden. Ich hatte weder das eine noch das andere. Und durch den Zaun streckt sich mir eine Hand entgegen. Ich hatte Hunger, ich war überzeugt, eine Packung Camel zu haben, ging unter die nächste Laterne, wickelte das Päckchen aus und – o Schreck! – es war ein Neues Testament! Hätte man mir die BILD-Zeitung geschenkt, ich hätte die auch von vorne bis hinten gelesen, ich habe dieses Neue Testament von vorne bis hinten gelesen, und – ich erzähle das ohne alle Frömmelei – habe, zutiefst berührt, eigentlich die Antwort auf all die Fragen gefunden in diesen Bildern, in diesen Bildern!"
Die bildhafte Sprache der Gleichnisse Jesu, die zeitlosen Metaphern der Evangelien und Briefe halten den jungen Gefangenen während der zwei Jahre in der Wüste geistig am Leben. Als Hans Gottfried von Stockhausen mit 27 Jahren heimkommt und eine Malerin heiratet, wird er Kunststudent beim damaligen Doyen der staatlichen Akademie der Künste in Stuttgart, Professor Yelin, begegnet aber auch dort einem - nunmehr nachkriegstypischen - Schweigen und Verschweigen.
"Ich war zutiefst berührt von dieser Scheinsicherheit und entschlossen, zu versuchen, mit meinen Bildern etwas zu sagen."
Der junge Stockhausen vertieft sich in die Geschichte des Islam, ohne den die Glasmalerei und sakrale Licht-Architektur gar nicht denkbar ist, wie er lernt. Er arbeitet mit mundgeblasenem, mineralgefärbtem Glas, mit Sandstrahl- und Ätz-Techniken, er bekommt internationale Aufträge und bleibt doch, auch in den 50er-Jahren, der Darstellung biblischer Motive treu.
"Die Kritik an der Bibel hängt sich vor allem immer wieder an der scheinbaren Harmlosigkeit der Bilder auf: Hirt und Herde, Lamm und Lämmlein und klein und groß. Für mich sind diese schlichten Bilder etwas vom Faszinierendsten an großer Literatur, dass dieser Brunnen abgrundtief ist, unausschöpflich! Schwäbisch gesagt hat die Bibel die Eigenschaft, grundlegenden Dingen immer wieder ein anderes Kittele anzuziehen."
Und als in den Umwälzungen der 60er-Jahre "abstrakte Kunst" auch in demonstrativ modern gestalteten Kirchen gefragt war? Als man Stockhausens stets gegenständlichen Bilder altmodisch fand? Die Augen des 89-Jährigen blitzen auf, als ich eine Tasse Tee nehme:
"Abstrakt ist das, was in dem heißen Wasser da nach Tee schmeckt! Und ein Bild, in dem nichts ist – nichts ist als formale Übung – ist gegenstandslos. Im Sinne des Wortes. Der Isenheimer Altar ist für mich abstrakt im eigentlichsten Sinne! Und ein Mondrian ist gegenstandslos."
Die humorvolle Schärfe im Argumentieren könnte der renommierte Glasmaler von einer Urlaubsbekanntschaft abgeguckt haben, die er in einem kleinen Hotel im Tessin kennenlernte:
"Er kam mit dem Theologen Gollwitzer die Treppe herunter. Ihm den Vortritt in einer engen Wendeltreppe lassend, stellte er sich mir vor: Ich heiße Kar Barth, Theologe, danke vielmals. Ich hab gesagt: Ich heiße Stockhausen, ich bin Maler, aber das wird Sie nicht interessieren. Woraufhin er mir die Hand auf die Schulter legte und sagte: Darauf müssen wie heute Abend einen Grappa trinken.
Wir waren bis zu seinem Tode mindestens acht Jahre hintereinander, haben wir zusammen Urlaub gemacht. Karl Barth, der für mich der Inbegriff des Bilderfeindes, des extrem protestantischen Ideologen war ! Ich hab ihm irgendwann einmal gesagt: Wenn ich jetzt sogar Duzfreund mit Dir bin, darf ich ja keine Bilder mehr machen. Woraufhin er mir wieder die Hand auf die Schulter legte und sagte: "Bitte mal weiter."
Das tut er bis heute. In gleich zwei großräumigen Ateliers in Buoch bei Stuttgart und Schloss Waldenburg bei Heilbronn.
"Ich werde gelegentlich darauf angesprochen, wenn ich mal ein blaues Fenster gemacht habe, das sähe so nach Chagall aus. Das höre ich natürlich überhaupt nicht gerne. Und ich betone es: Chagall ist für mich eine Größenordnung allerersten Ranges! Und ich wünschte mir, dass das eine oder andere Bild, das ich mache, ein bisschen von dem transportieren könnte, was für mich Chagall transportiert: Nämlich dass hinter diesem Menschen Chagall ein an sich tiefgläubiger Mensch steht, der seine Bilder wie ein Stück Sprache gebraucht und den Menschen anbietet."
Der sensible Sohn eines Leutnants spricht jeden Morgen um 6.30 Uhr mit fünf Geschwistern und zahlreichen Hausbediensteten das Vaterunser. In einer Art Hofappell, den die Mutter auf dem landwirtschaftlichen Anwesen in Trendelburg bei Hofgeismar abhält. Ansonsten aber wird über Gefühle und Probleme mehr geschwiegen als gesprochen in jenen 20er- und 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts.
"Am Beispiel meiner Familie könnte man die ganze Tragödie preußischer Lebensauffassung, könnte die ganze Problematik des Adels, könnte vieles mehr beschreiben. All das, was geschehen war, überstieg eigentlich die Fähigkeit, es in Worte zu kleiden. Das ist meine Erklärung für dieses Schweigen."
Hans Gottfried von Stockhausen wird 1939 zur Wehrmacht eingezogen, wird fünfmal verwundet, lernt im Lazarett Widerstandskämpfer der "Operation Walküre" kennen und kann nur ahnen, welche Tragödien sich derweil zu Hause abspielen.
"Mein Zwillingsbruder hat Stalingrad bis zum letzten Tag, mit sechs Jahren russischer Gefangenschaft, mitgemacht. Ein älterer Bruder kam aus Stalingrad mit einem Kopfschuss heraus. Mein ältester Bruder war Oberkommandant, wurde in Berlin auf der Straße erschossen und der zweitälteste Bruder, der Kunsthistoriker, war acht Tage Soldat und dann war er tot."
Die restlichen drei Kinder galten als vermisst. Auch Hans-Gottfried, auf dem Weg in ein britisches Gefangenenlager in Ägypten.
"In Tarrent, einer unserer letzten Stationen vor der Überfahrt nach Ägypten, gab es nachts einen schwarzen Markt, wo man Ritterkreuze gegen Zigaretten, die alle brauchten, und Eheringe gegen Zigaretten eingetauscht wurden. Ich hatte weder das eine noch das andere. Und durch den Zaun streckt sich mir eine Hand entgegen. Ich hatte Hunger, ich war überzeugt, eine Packung Camel zu haben, ging unter die nächste Laterne, wickelte das Päckchen aus und – o Schreck! – es war ein Neues Testament! Hätte man mir die BILD-Zeitung geschenkt, ich hätte die auch von vorne bis hinten gelesen, ich habe dieses Neue Testament von vorne bis hinten gelesen, und – ich erzähle das ohne alle Frömmelei – habe, zutiefst berührt, eigentlich die Antwort auf all die Fragen gefunden in diesen Bildern, in diesen Bildern!"
Die bildhafte Sprache der Gleichnisse Jesu, die zeitlosen Metaphern der Evangelien und Briefe halten den jungen Gefangenen während der zwei Jahre in der Wüste geistig am Leben. Als Hans Gottfried von Stockhausen mit 27 Jahren heimkommt und eine Malerin heiratet, wird er Kunststudent beim damaligen Doyen der staatlichen Akademie der Künste in Stuttgart, Professor Yelin, begegnet aber auch dort einem - nunmehr nachkriegstypischen - Schweigen und Verschweigen.
"Ich war zutiefst berührt von dieser Scheinsicherheit und entschlossen, zu versuchen, mit meinen Bildern etwas zu sagen."
Der junge Stockhausen vertieft sich in die Geschichte des Islam, ohne den die Glasmalerei und sakrale Licht-Architektur gar nicht denkbar ist, wie er lernt. Er arbeitet mit mundgeblasenem, mineralgefärbtem Glas, mit Sandstrahl- und Ätz-Techniken, er bekommt internationale Aufträge und bleibt doch, auch in den 50er-Jahren, der Darstellung biblischer Motive treu.
"Die Kritik an der Bibel hängt sich vor allem immer wieder an der scheinbaren Harmlosigkeit der Bilder auf: Hirt und Herde, Lamm und Lämmlein und klein und groß. Für mich sind diese schlichten Bilder etwas vom Faszinierendsten an großer Literatur, dass dieser Brunnen abgrundtief ist, unausschöpflich! Schwäbisch gesagt hat die Bibel die Eigenschaft, grundlegenden Dingen immer wieder ein anderes Kittele anzuziehen."
Und als in den Umwälzungen der 60er-Jahre "abstrakte Kunst" auch in demonstrativ modern gestalteten Kirchen gefragt war? Als man Stockhausens stets gegenständlichen Bilder altmodisch fand? Die Augen des 89-Jährigen blitzen auf, als ich eine Tasse Tee nehme:
"Abstrakt ist das, was in dem heißen Wasser da nach Tee schmeckt! Und ein Bild, in dem nichts ist – nichts ist als formale Übung – ist gegenstandslos. Im Sinne des Wortes. Der Isenheimer Altar ist für mich abstrakt im eigentlichsten Sinne! Und ein Mondrian ist gegenstandslos."
Die humorvolle Schärfe im Argumentieren könnte der renommierte Glasmaler von einer Urlaubsbekanntschaft abgeguckt haben, die er in einem kleinen Hotel im Tessin kennenlernte:
"Er kam mit dem Theologen Gollwitzer die Treppe herunter. Ihm den Vortritt in einer engen Wendeltreppe lassend, stellte er sich mir vor: Ich heiße Kar Barth, Theologe, danke vielmals. Ich hab gesagt: Ich heiße Stockhausen, ich bin Maler, aber das wird Sie nicht interessieren. Woraufhin er mir die Hand auf die Schulter legte und sagte: Darauf müssen wie heute Abend einen Grappa trinken.
Wir waren bis zu seinem Tode mindestens acht Jahre hintereinander, haben wir zusammen Urlaub gemacht. Karl Barth, der für mich der Inbegriff des Bilderfeindes, des extrem protestantischen Ideologen war ! Ich hab ihm irgendwann einmal gesagt: Wenn ich jetzt sogar Duzfreund mit Dir bin, darf ich ja keine Bilder mehr machen. Woraufhin er mir wieder die Hand auf die Schulter legte und sagte: "Bitte mal weiter."
Das tut er bis heute. In gleich zwei großräumigen Ateliers in Buoch bei Stuttgart und Schloss Waldenburg bei Heilbronn.
"Ich werde gelegentlich darauf angesprochen, wenn ich mal ein blaues Fenster gemacht habe, das sähe so nach Chagall aus. Das höre ich natürlich überhaupt nicht gerne. Und ich betone es: Chagall ist für mich eine Größenordnung allerersten Ranges! Und ich wünschte mir, dass das eine oder andere Bild, das ich mache, ein bisschen von dem transportieren könnte, was für mich Chagall transportiert: Nämlich dass hinter diesem Menschen Chagall ein an sich tiefgläubiger Mensch steht, der seine Bilder wie ein Stück Sprache gebraucht und den Menschen anbietet."