Auf einem Auge blind?
Walter Jens, ein bedeutender Moralist und westdeutscher Linksintellektueller, wurde im Alter von 80 Jahren von einer Vergangenheit eingeholt, die ihm kaum jemand zugetraut hätte. Walter Jens hat sich der Debatte um eine durch Karteikarten ausgewiesene 60 Jahre zurückliegende NSDAP-Mitgliedschaft voller Selbstzweifel gestellt. Er hätte es sich einfacher machen können, wenn er mit Gegendarstellungen, Unterlassungsbegehren und eidesstattlichen Erklärungen gegen seine Kritiker zu Felde gezogen wäre.
Die mit Pressedingen befassten Kammern unserer Gerichte neigen seit einigen Jahren dazu, den Persönlichkeitsschutz derart auszulegen, dass sie den zu Walter Jens vorliegenden zwei NSDAP-Karteikarten keinerlei Beweiswert zugesprochen hätten.
Ehemalige Spitzel des Staatssicherheitsdienstes und andere Funktionsträger des SED-Regimes ziehen seit einigen Jahren mit zunehmenden juristischen Erfolgen gegen Presseorgane zu Felde, die Roß und Reiter nennen, wenn es um die öffentliche Aufklärung der DDR-Zeit geht. Der "Süddeutschen Zeitung" wurde jüngst von einem Berliner Gericht untersagt, einen Personalratsfunktionär bei der Bundespolizei namentlich mit seiner früheren Funktion als Politoffizier bei den DDR-Grenztruppen in einen Zusammenhang zu bringen.
Gregor Gysi hat inzwischen sogar juristisch erstritten, dass Journalisten, die von dem Immunitätsausschuss des Deutschen Bundestages getroffenen Feststellungen über sein früheres Verhältnis zum Staatssicherheitsdienst der DDR nicht mehr wiedergeben dürfen. Andere ehemalige Stasi-Spitzel erreichten durch entsprechende Verfahren, dass Presse und Funkmedien sogar nicht einmal mehr über handfeste Indizien für eine Kooperation mit der Staatssicherheit berichten dürfen.
Die für eine solche absurde Rechtsprechung verantwortlichen Gerichte, nehmen die Bekundungen ehemaliger Kooperationspartner der DDR-Geheimpolizei, sie seien ohne ihr Wissen als Inoffizielle Mitarbeiter in die Stasi-Akten und Karteien gelangt, für bare Münze. Hat die deutsche Justiz, die früher auf dem rechten Auge blind war, nun auf ihrem linken Auge das Sehvermögen eingebüßt?
Generell hat sich nach dem Ende des NS-Regimes erwiesen, dass der Rechtstaat mit seinen juristischen Möglichkeiten dem Erbe einer totalitären Diktatur relativ machtlos gegenüber steht. Was früher Recht war, könne nach einem Regimewechsel nicht Unrecht sein, lautete ein damals von Funktionsträgern des NS-Regimes häufig bemühter Verteidigungsgrundsatz. Als nach dem Ende der zweiten deutschen Diktatur deren Verbrechen auch zu juristischen Fragen wurden, erlebte die Floskel vom Recht, was im Nachhinein nicht zu Unrecht werden könne, eine ungeahnte Renaissance.
Die ehemals zur Rechtfertigung von NS-Verstrickungen bemühte Argumentation hat inzwischen auch für kommunistische Staatsverbrechen Geltung erlangt. Ähnlich wie für die Aufarbeitung des Nationalsozialismus gilt deswegen auch für die Aufarbeitung der SED-Diktatur, dass den Versuchen der Relativierung und Beschönigung nur durch die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Diktaturvergangenheit begegnet werden kann.
Gerade weil die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem sozialistischen Menschenexperiment DDR angesichts der Etablierung einer linksdemagogischen Partei im Deutschen Bundestag noch längst keine akademisch-historische Frage ist, beunruhigt die in jüngster Zeit hervor getretene Tendenz in der deutschen Rechtsprechung, frühere Stasi-Spitzel vor Presseveröffentlichung über ihre Vergangenheit zu schützen.
Wenn ehemalige Stützen des Regimes auch in höheren Instanzen durchsetzen sollten, dass ihre Verstrickung in die Menschenrechtsverletzungen einer totalitären Diktatur nicht mehr benannt werden dürfen, wird die notwendige gesellschaftliche Auseinandersetzung anonymisiert und damit wirkungslos. Würde diese Rechtsprechung auf die Zeit des Nationalsozialismus durchschlagen, stünde auch die namentliche Erwähnung einer ehemaligen NSDAP-Mitgliedschaft zur juristischen Disposition.
Die westdeutsche Justiz musste Mitte der sechziger Jahre durch eine breite öffentliche Protestbewegung und durch die Gesetzgebung des Bundestages davon abgebracht werden, einen Schlussstrich unter die Aufarbeitung des NS-Regime zu setzen. Es kann durchaus sein, dass sich das angesichts des juristischen Umgangs mit dem Erbe der zweiten deutschen Diktatur wiederholen muss.
Jochen Staadt, 1950 in Bad Kreuznach geboren, lebt seit 1968 in Berlin. Nach dem Studium der Germanistik und Politischen Wissenschaft an der Freien Universität promovierte er mit einer Arbeit über DDR-Literatur. Veröffentlichungen zur Geschichte der deutschen und internationalen Studenten- und Jugendbewegung der 60er Jahre, zur DDR- und SED-Geschichte, zu Spionage in Ost und West sowie zur Beziehungsgeschichte zwischen beiden deutschen Staaten. Staadt ist Projektleiter beim Forschungsverbund SED-Staat an der FU und Autor der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Jüngste Veröffentlichung: "Die Zusammenarbeit zwischen dem MfS der DDR und dem kubanischen MININT".
Ehemalige Spitzel des Staatssicherheitsdienstes und andere Funktionsträger des SED-Regimes ziehen seit einigen Jahren mit zunehmenden juristischen Erfolgen gegen Presseorgane zu Felde, die Roß und Reiter nennen, wenn es um die öffentliche Aufklärung der DDR-Zeit geht. Der "Süddeutschen Zeitung" wurde jüngst von einem Berliner Gericht untersagt, einen Personalratsfunktionär bei der Bundespolizei namentlich mit seiner früheren Funktion als Politoffizier bei den DDR-Grenztruppen in einen Zusammenhang zu bringen.
Gregor Gysi hat inzwischen sogar juristisch erstritten, dass Journalisten, die von dem Immunitätsausschuss des Deutschen Bundestages getroffenen Feststellungen über sein früheres Verhältnis zum Staatssicherheitsdienst der DDR nicht mehr wiedergeben dürfen. Andere ehemalige Stasi-Spitzel erreichten durch entsprechende Verfahren, dass Presse und Funkmedien sogar nicht einmal mehr über handfeste Indizien für eine Kooperation mit der Staatssicherheit berichten dürfen.
Die für eine solche absurde Rechtsprechung verantwortlichen Gerichte, nehmen die Bekundungen ehemaliger Kooperationspartner der DDR-Geheimpolizei, sie seien ohne ihr Wissen als Inoffizielle Mitarbeiter in die Stasi-Akten und Karteien gelangt, für bare Münze. Hat die deutsche Justiz, die früher auf dem rechten Auge blind war, nun auf ihrem linken Auge das Sehvermögen eingebüßt?
Generell hat sich nach dem Ende des NS-Regimes erwiesen, dass der Rechtstaat mit seinen juristischen Möglichkeiten dem Erbe einer totalitären Diktatur relativ machtlos gegenüber steht. Was früher Recht war, könne nach einem Regimewechsel nicht Unrecht sein, lautete ein damals von Funktionsträgern des NS-Regimes häufig bemühter Verteidigungsgrundsatz. Als nach dem Ende der zweiten deutschen Diktatur deren Verbrechen auch zu juristischen Fragen wurden, erlebte die Floskel vom Recht, was im Nachhinein nicht zu Unrecht werden könne, eine ungeahnte Renaissance.
Die ehemals zur Rechtfertigung von NS-Verstrickungen bemühte Argumentation hat inzwischen auch für kommunistische Staatsverbrechen Geltung erlangt. Ähnlich wie für die Aufarbeitung des Nationalsozialismus gilt deswegen auch für die Aufarbeitung der SED-Diktatur, dass den Versuchen der Relativierung und Beschönigung nur durch die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Diktaturvergangenheit begegnet werden kann.
Gerade weil die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem sozialistischen Menschenexperiment DDR angesichts der Etablierung einer linksdemagogischen Partei im Deutschen Bundestag noch längst keine akademisch-historische Frage ist, beunruhigt die in jüngster Zeit hervor getretene Tendenz in der deutschen Rechtsprechung, frühere Stasi-Spitzel vor Presseveröffentlichung über ihre Vergangenheit zu schützen.
Wenn ehemalige Stützen des Regimes auch in höheren Instanzen durchsetzen sollten, dass ihre Verstrickung in die Menschenrechtsverletzungen einer totalitären Diktatur nicht mehr benannt werden dürfen, wird die notwendige gesellschaftliche Auseinandersetzung anonymisiert und damit wirkungslos. Würde diese Rechtsprechung auf die Zeit des Nationalsozialismus durchschlagen, stünde auch die namentliche Erwähnung einer ehemaligen NSDAP-Mitgliedschaft zur juristischen Disposition.
Die westdeutsche Justiz musste Mitte der sechziger Jahre durch eine breite öffentliche Protestbewegung und durch die Gesetzgebung des Bundestages davon abgebracht werden, einen Schlussstrich unter die Aufarbeitung des NS-Regime zu setzen. Es kann durchaus sein, dass sich das angesichts des juristischen Umgangs mit dem Erbe der zweiten deutschen Diktatur wiederholen muss.
Jochen Staadt, 1950 in Bad Kreuznach geboren, lebt seit 1968 in Berlin. Nach dem Studium der Germanistik und Politischen Wissenschaft an der Freien Universität promovierte er mit einer Arbeit über DDR-Literatur. Veröffentlichungen zur Geschichte der deutschen und internationalen Studenten- und Jugendbewegung der 60er Jahre, zur DDR- und SED-Geschichte, zu Spionage in Ost und West sowie zur Beziehungsgeschichte zwischen beiden deutschen Staaten. Staadt ist Projektleiter beim Forschungsverbund SED-Staat an der FU und Autor der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Jüngste Veröffentlichung: "Die Zusammenarbeit zwischen dem MfS der DDR und dem kubanischen MININT".