Auf der Suche nach Orientierung

Pauls Touronghis Buch "Die Geschichte von Yuri Balodis und seinem Vater, der eigentlich ein Country-Star war" handelt vom Erwachsenwerden in der amerikanischen Provinz. Yuri Balodis, Sohn einer lettischen Emigrantenfamilie, die seit 20 Jahren in Milwaukee lebt, sucht Orientierung. Er hinterfragt die Biographien seiner Eltern, deren amerikanischer Traum scheiterte.
Nicht einmal ein ganzes Jahr umfasst dieser Roman, aber im Leben des 15- beziehungsweise 16-jährigen Yuri tut sich Entscheidendes. Er wird erwachsen, was im Prinzip ein Vorgang von banalster Normalität ist. In dieser Geschichte allerdings wird er begleitet von einigen Umständen, die zumindest nicht völlig gewöhnlich sind. In tagebuchartigen Rückblicken erinnert sich Yuri an jene Monate 1989/90, als die Welt dabei war, sich gewaltig zu verändern. In der amerikanischen Provinz freilich, in Milwaukee, hört man davon allenfalls ein aus der Ferne kommendes Echo. Und doch betreffen die Ereignisse den Helden stärker als andere Fernseh-Zeugen der Zeit, denn er ist der Sohn lettischer Emigranten, denen rund zwei Jahrzehnte zuvor die Flucht aus der Sowjetunion in die USA gelungen ist.

Sozial gesehen ist der amerikanische Traum der Eltern eher geplatzt. Aus dem Vater ist ein trinkender, dabei gutmütiger Autohaus-Hausmeister geworden, die Mutter ist Angestellte in einer städtischen Bibliothek. Als Yuri beginnt, sich – wegen eines Mädchens – beim Verteilen einer kleinen sozialistischen Zeitung zu engagieren, reagiert sein Vater mit heftiger Ablehnung. Kommunisten, so seine Lebensmaxime, sind wie Ziegen: Sie besetzen das Haus, fressen alles kahl und hinterlassen am Ende nichts als Scheiße.

Der politische Vater-Sohn-Konflikt ist natürlich unangenehm, er führt aber auch dazu, dass der Sohn sich für die Vergangenheit seines Vaters zu interessieren beginnt. Welche Leben, welche Geschichten, welche Taten stecken hinter den Biographien seiner Eltern? Schritt für Schritt und in kleinen Dosen enthüllt sich, was der deutsche Romantitel leider etwas überdeutlich vorwegnimmt. Zugleich vollzieht sich eine Annäherung Yuris an eine Welt, die geographisch und zeitlich weit von seiner eigenen Lebenswirklichkeit entfernt liegt. Von welchem Stern, aus welchen Zuständen kommen seine Eltern eigentlich?

Die zweite, die dramatische Handlungsebene des Romans verstrickt den jugendlichen Helden in ein übermütiges Abenteuer, das zunächst den Anschein hat, als würde Yuri mit einem blauen Auge davonkommen. Als man jedoch seinen Vater bezichtigt, jenen Autodiebstahl begangen zu haben, der eigentlich auf seine Kappe geht, wird aus dem übermütigen Abenteuer ein Schicksalsmoment, in dem es um Leben und Tod geht.

Pauls Toutonghi erzählt mit viel Charme und Einfühlungsvermögen eine geradezu hinterwäldlerische und intime Provinzgeschichte, die sich entpuppt als Schauplatz oder abseitiger Ausfluss der großen Historie. Diesem talentierten Autor lugt dabei die Erzähllust aus jeder Zeile. Er benutzt sie nicht selten, um den dramatischen Gehalt des Geschehens zu camouflieren. Aber kaum hat man diese kleine Provinzgeschichte aus der Hand gelegt, beginnt das große Drama des Lebens seine Wirkung zu entfalten.

Besprochen von Gregor Ziolkowski

Pauls Toutonghi: Die Geschichte von Yuri Balodis und seinem Vater, der eigentlich Country-Star war
Roman
Aus dem Englischen von Eva Bonné
Rowohlt Berlin, Berlin 2009
367 Seiten, 14,90 Euro