Auf der Suche nach Heimat

Von Heike Schwarzer |
Eleonora Hummel wurde 1970 in Kasachstan geboren und zog mit ihrer Familie 1982 in die DDR. Sie ist eine "Russlanddeutsche", hält aber dieses Etikett für missverständlich. Die Situation der Russlanddeutschen hat die Autorin in ihrem Roman "Die Fische von Berlin" geschildert. Es scheint, als wolle sie damit ihre Wurzeln finden. Günter Grass hat sie als Gast auf den internationalen PEN-Kongress in Berlin eingeladen.
Eleonora Hummel wählt den Treffpunkt aus. Dresden, Großer Garten: ein barockes Kunstwerk mit prunkvollem Sandsteinpalais. Eine schlanke junge Frau kommt auf mich zu, in Jeans und fein gestricktem rosa Pullover. Helles rotes Haar, gestufter Schnitt. Sie mag den Park, beginnt sie das Gespräch, es sei ein Stammplatz für den Sonntagsspaziergang mit ihrem Mann und den zwei Kindern.

"Vor einiger Zeit erst ist mir klar geworden, dass ich meine ganze Kindheit in Städten verbracht hatte, die keine 100 Jahre alt waren, es gab nichts Historisches, Geschichtliches zu sehen. Es gab nur Plattenbauten, Betonklötze."

Dort irgendwo im Nordkaukasus entstand ihr erster Romanversuch. Eine Science-Fiction-Geschichte, die ihr verdientes Ende im Küchenofen fand, wie sie lakonisch formuliert. Damals war Eleonora Hummel zehn Jahre alt, sprach nur Russisch und lebte als Deutsche in der Sowjetunion. So wie ihre kleine Heldin Alina aus ihrem Debütroman "Die Fische von Berlin". Beide zieht es nach Deutschland, in das Land der Vorväter, "wo bestimmt keine Stiefel auf der Straße festfroren". Doch Heimat war ihr die DDR, in die Eleonora Hummel 1982 mit ihrer Familie übersiedelte, nicht.

"In der DDR war zwar alles freundlicher als in der Sowjetunion, auch vom zwischenmenschlichen Klima, das hat mir schon besser gefallen, aber es war trotzdem eine Diktatur, ein totalitäres Regime. Obwohl wir Deutsch lernen konnten und Deutsch sprechen. Und das Gefühl eine Heimat zu haben, das hat sich erst eingestellt 1989 mit der Wiedervereinigung Deutschlands."

Eine Zeitlang hatte sie das Gefühl, etwas zu verpassen, wenn sie in Dresden bliebe. Aber nach ein paar Reisen quer durch Deutschland kommt sie immer wieder gern zurück.

"Erst seit ich in Dresden lebe, habe ich einen Bezug, was kann eine Stadt für ein Leben bieten, was in Jahrhunderten gewachsen ist."

Vielleicht auch, weil ihre Familiengeschichte voller Brüche ist, die Suche nach den eigenen Wurzeln letztendlich vergeblich war.

"Mit 19, da habe ich was gehört von Leuten, die einen Stammbaum haben. Da habe ich gedacht, das wäre prima, so was anzulegen und habe meine Großmutter ausgefragt. Schon sie konnte sich nicht mehr an die Geburtsdaten erinnern. Da bin ich an den Punkt gekommen, es bricht schon bei den Großeltern ab. Dann habe ich festgestellt: Ich habe zu spät angefangen zu fragen."

Ganz anders als ihre 11-jährige Romanheldin Alina, die mit ihrer kindlichen Neugier den verstummten Großvater zum Reden bringt. Er geriet im Zweiten Weltkrieg zwischen die Fronten, überlebte elf Jahre Sibirisches Straflager.

"Diese neugierigen Fragen, die hätte ich nie gestellt, weil, wenn man mir gesagt hätte, gib Ruhe, hätte ich Ruhe gegeben. In meinem Roman wollte ich das anders sehen."

Der große Computer, auf dem Eleonora Hummel am liebsten ihren neuen Roman schreiben würde, gehört ihrem Mann Thomas und steht in ihrer kleinen Neubauwohnung, in Sichtweite zum Großen Garten. Thomas ist Oberlausitzer, und das heißt: stolz und fest mit seiner Heimat verwurzelt.

"Für mich etwas Beneidenswertes, weil ich's ja nicht habe."

Auf einem engen Tisch im Wohnzimmer, eingezwängt zwischen Ledersofa, Schrankwand und Balkonfenster, steht Eleonora Hummels alter schwerer Laptop.

"Ich nehme ihn ungern. Außerdem ist er so laut und das stört mich."

Trotzdem, hier entsteht schon das neue Manuskript, die Fortsetzung von Alinas Geschichte, das Leben einer Russlanddeutschen in der DDR.

Eleonora Hummel führt ein Doppelleben: Sie ist Mutter von zwei Kindern und arbeitet halbtags als Fremdsprachensekretärin an der Dresdner Universität. Hier verdient sie das Geld fürs Schreiben. Zehn Jahre hat sie für ihren Debütroman "Die Fische von Berlin" gebraucht.

"Ich bin eine extreme Wenig- und Langsamschreiberin. Weil ich sehr lange nachdenke, was schreibe ich und wie. Das ist extrem anstrengend. Im Moment ist es eine ideale Lösung, dass ich auch teilweise noch etwas anderes zu tun habe. Weil ich mir vorstellen könnte, dass man dem Druck nicht standhält."

Wenn ihr alles zu viel wird, hört sie Musik: am liebsten Techno, und das schon seit vielen Jahren. Sie weiß, dass man ihr das nicht ansieht. Überhaupt kann man sich die stille, zurückhaltende Frau schlecht vorstellen im aggressiven Literaturbetrieb.

"Je öfter man sich dieser Sache stellt, umso selbstsicherer wird man."

Sagt die 36-Jährige, die neben vielen anderen Preisen auch ein Stipendium in Klagenfurt gewann. Einmal im Monat geht sie auf Lesereise. Doch erstmal fährt sie nach Berlin zum PEN-Kongress - als Gast von Günter Grass.

"Noch sind wir gar nicht in Kontakt gekommen. Ich kenne ihn nur als Literaturnobelpreisträger und als Autor, der beim selben Verlag ist wie ich. Über den Verlag ist ja auch der Kontakt zustande gekommen, dass er mein Buch gelesen hat und mich aufgrund des Buches zum PEN-Kongress als Gast geladen hat. Ich kenne die 'Blechtrommel'. Ich lese den 'Krebsgang'. Aber natürlich habe ich nie gedacht, dass ich ihm mal die Hand schüttle. Soweit habe ich nie gedacht."