Auf der Suche nach einer neuen Welt
Jens Sparschuh hat ein schwarzes Buch geschrieben. "Schwarze Dame" ist ein Nachtstück, das auf den Spuren der Romantiker wandelt und voller schwarzem Humor steckt. Es gibt unzählige Variationen in schwarz in diesem Buch und auch das genaue Gegenteil. Am Ende scheint allein gewiss, dass sich mit Bildern in Schwarz-Weiß nicht viel anfangen lässt.
Die Geschichte, die Jens Sparschuh erzählt, erweckt den Eindruck, als hätte sie sich nur an zwei Tagen abgespielt. Dies scheint unbezweifelbar zu sein. Im Buch werden zwei Daten erwähnt: Es beginnt am 15. Oktober und endet am 16. desselben Monats. Die Aussage ist zunächst richtig. Doch jeder Logikstudent im ersten Semester würde mit dieser Behauptung Schiffbruch erleiden, da nichts über das Jahr gesagt wird.
Alexander, von dem Sparschuh in seinem neuen Roman Schwarze Dame erzählt, hätte sich zu einer solchen Aussage nie hinreißen lassen. Für einen Logiker wäre sie ihm zu unkonkret. Der Mann hat schließlich Hegel gelesen und Vorlesungen bei einem weltweit anerkannten Spezialisten wie Bergelson gehört.
Die Wissenschaftstiefen der Logik hat Alexander im sozialistischen Bruderland Sowjetunion erforscht. Aber mit dem Instrumentarium, das ihm zur Verfügung steht, vermag er nach der "Wende" nicht sehr viel anzufangen. Alexander kann zwar die dunkelsten Ecken der Weltgeschichte logisch ausleuchten, aber ihm ist die dazu notwendige Lampe abhanden gekommen, nachdem dem Kommunismus - weltpolitisch gesehen - der Strom ausging.
Wie einst Kolumbus hat sich Alexander auf die Suche nach einer neuen Welt gemacht und landet wie dieser dort, wo er eigentlich nicht hin wollte. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass Alexander dadurch nicht berühmt wird. Dennoch war die Reise nicht umsonst. Denn wer in Leningrad studiert hat, der hat Überlebensstrategien ausgebildet, die sich in einer gänzlich anderen Welt als nützlich erweisen.
"Die Welt ist alles, was der Fall ist", sagt nicht Kolumbus, sondern der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein. Auch von ihm ist in Sparschuhs Roman die Rede. Allerdings muss man in keinem philosophischen Seminar gesessen haben, um an dieser schwarzen Geschichte seine helle Freude zu haben. Man muss auch nichts vom Schachspiel verstehen, obwohl die schwarze Dame, die im Buchtitel erwähnt wird, jene Königsgattin sein könnte, die sich auf den 64 Spielfeldern nahezu alles erlauben darf.
Oder ist am Ende doch Jelena gemeint, die schwarzhaarige Schöne, die Alexander einige schwer zu lösende Rätsel aufgibt? Genau lässt sich das nicht sagen. Alexander kann es schon gar nicht, denn ihm verdunkeln sich plötzlich die einfachsten Aussagen. Ist es wirklich so, dass p = p ist? Ihm bleibt die Einsicht nicht erspart, dass wirklich nichts ist, wie es ist. Diese Erkenntnis ist besorgniserregend, auch wenn sie Adornos Feststellung: "Es gibt kein wahres Leben im falschen", durchaus fragwürdig erscheinen lässt.
Jens Sparschuh nimmt seine Leser auf eine Reise in das zauberhafte Leningrad mit, die sich jedoch als problematisch erweist. Zwar stimmt Jean Pauls Satz: "Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus welchem wir nicht vertrieben werden können." Aber dieser Satz behält nur dann seinen tieferen Sinn, wenn man die Stätten der Erinnerung nicht erneut betritt.
Zumindest macht Alexander diese wesentliche Erfahrung, als er nach Jahren erneut Leningrad bereist. Inzwischen heißt die Stadt, in der er einst studierte, wieder Petersburg. Während er Erinnerungen auf der Spur ist und ihm eine schwarzhaarige Schöne mit blauen Augen nicht aus dem Sinn geht, erinnert er sich auch an eine Schachaufgabe. Bergelson hätte ihm damals beinahe erklärt, wie einfach sie zu lösen ist. Wo die schwarze Dame ihren Platz haben muss, findet Alexander heraus. Es kann eine folgenreiche Lösung sein.
Jens Sparschuh hat ein schwarzes Buch geschrieben. Ein Nachtstück, das auf den Spuren der Romantiker wandelt und voller schwarzem Humor steckt. Es gibt unzählige Variationen in schwarz in diesem Buch und auch das genaue Gegenteil. Am Ende scheint allein gewiss, dass sich mit Bildern in Schwarz-Weiß nicht viel anfangen lässt. Irgendwie scheint Clovs Bemerkung aus Becketts Endspiel, die Welt sei nicht grau, sondern "hellschwarz" eine Wahrnehmung zu sein, die Alexander unterschreiben würde.
Man ist verblüfft, auf welchem Niveau Sparschuh erzählerisch zu wandeln versteht. Er ist philosophisch exakt und äußerst genau in seinen Beschreibungen. Sparschuh hinterfragt, was scheinbar nicht mehr hinterfragt werden muss.
Das ist das Problem. Wer einmal damit anfängt, dem hilft Logik kaum noch, vielmehr lauert drohend der Wahnsinn hinter jeder Gehirnwindung. Es kann wahnsinnig komisch sein, wenn man ernst macht mit dem ungetrübten Blick.
Rezensiert von Michael Opitz
Jens Sparschuh: Schwarze Dame
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007, 339 Seiten, 18,90
Alexander, von dem Sparschuh in seinem neuen Roman Schwarze Dame erzählt, hätte sich zu einer solchen Aussage nie hinreißen lassen. Für einen Logiker wäre sie ihm zu unkonkret. Der Mann hat schließlich Hegel gelesen und Vorlesungen bei einem weltweit anerkannten Spezialisten wie Bergelson gehört.
Die Wissenschaftstiefen der Logik hat Alexander im sozialistischen Bruderland Sowjetunion erforscht. Aber mit dem Instrumentarium, das ihm zur Verfügung steht, vermag er nach der "Wende" nicht sehr viel anzufangen. Alexander kann zwar die dunkelsten Ecken der Weltgeschichte logisch ausleuchten, aber ihm ist die dazu notwendige Lampe abhanden gekommen, nachdem dem Kommunismus - weltpolitisch gesehen - der Strom ausging.
Wie einst Kolumbus hat sich Alexander auf die Suche nach einer neuen Welt gemacht und landet wie dieser dort, wo er eigentlich nicht hin wollte. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass Alexander dadurch nicht berühmt wird. Dennoch war die Reise nicht umsonst. Denn wer in Leningrad studiert hat, der hat Überlebensstrategien ausgebildet, die sich in einer gänzlich anderen Welt als nützlich erweisen.
"Die Welt ist alles, was der Fall ist", sagt nicht Kolumbus, sondern der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein. Auch von ihm ist in Sparschuhs Roman die Rede. Allerdings muss man in keinem philosophischen Seminar gesessen haben, um an dieser schwarzen Geschichte seine helle Freude zu haben. Man muss auch nichts vom Schachspiel verstehen, obwohl die schwarze Dame, die im Buchtitel erwähnt wird, jene Königsgattin sein könnte, die sich auf den 64 Spielfeldern nahezu alles erlauben darf.
Oder ist am Ende doch Jelena gemeint, die schwarzhaarige Schöne, die Alexander einige schwer zu lösende Rätsel aufgibt? Genau lässt sich das nicht sagen. Alexander kann es schon gar nicht, denn ihm verdunkeln sich plötzlich die einfachsten Aussagen. Ist es wirklich so, dass p = p ist? Ihm bleibt die Einsicht nicht erspart, dass wirklich nichts ist, wie es ist. Diese Erkenntnis ist besorgniserregend, auch wenn sie Adornos Feststellung: "Es gibt kein wahres Leben im falschen", durchaus fragwürdig erscheinen lässt.
Jens Sparschuh nimmt seine Leser auf eine Reise in das zauberhafte Leningrad mit, die sich jedoch als problematisch erweist. Zwar stimmt Jean Pauls Satz: "Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus welchem wir nicht vertrieben werden können." Aber dieser Satz behält nur dann seinen tieferen Sinn, wenn man die Stätten der Erinnerung nicht erneut betritt.
Zumindest macht Alexander diese wesentliche Erfahrung, als er nach Jahren erneut Leningrad bereist. Inzwischen heißt die Stadt, in der er einst studierte, wieder Petersburg. Während er Erinnerungen auf der Spur ist und ihm eine schwarzhaarige Schöne mit blauen Augen nicht aus dem Sinn geht, erinnert er sich auch an eine Schachaufgabe. Bergelson hätte ihm damals beinahe erklärt, wie einfach sie zu lösen ist. Wo die schwarze Dame ihren Platz haben muss, findet Alexander heraus. Es kann eine folgenreiche Lösung sein.
Jens Sparschuh hat ein schwarzes Buch geschrieben. Ein Nachtstück, das auf den Spuren der Romantiker wandelt und voller schwarzem Humor steckt. Es gibt unzählige Variationen in schwarz in diesem Buch und auch das genaue Gegenteil. Am Ende scheint allein gewiss, dass sich mit Bildern in Schwarz-Weiß nicht viel anfangen lässt. Irgendwie scheint Clovs Bemerkung aus Becketts Endspiel, die Welt sei nicht grau, sondern "hellschwarz" eine Wahrnehmung zu sein, die Alexander unterschreiben würde.
Man ist verblüfft, auf welchem Niveau Sparschuh erzählerisch zu wandeln versteht. Er ist philosophisch exakt und äußerst genau in seinen Beschreibungen. Sparschuh hinterfragt, was scheinbar nicht mehr hinterfragt werden muss.
Das ist das Problem. Wer einmal damit anfängt, dem hilft Logik kaum noch, vielmehr lauert drohend der Wahnsinn hinter jeder Gehirnwindung. Es kann wahnsinnig komisch sein, wenn man ernst macht mit dem ungetrübten Blick.
Rezensiert von Michael Opitz
Jens Sparschuh: Schwarze Dame
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007, 339 Seiten, 18,90