Auf der Suche nach der Traumfrau
Yusuf Atilgans Roman "Der Müßiggänger" von 1959 erinnert an frühe Filme von Michelangelo Antonioni, an "L'Avventura" oder "La Notte". Oder an den Nouveau Roman: Ein Mann gleitet allein durch Istanbul. Er hat kaum Augen für die Stadt und ihre Menschen, er nimmt alles wie durch einen engen Ausschnitt wahr. Manchmal wecken laute Rufe am Nebentisch seine Aufmerksamkeit oder quietschende Reifen auf der Straße. Dann dreht er sich um, um den Störenfried in Augenschein zu nehmen.
Aber in der Regel bestimmt er allein, wohin er blickt und geht. Immer wieder folgt der Mann jungen Frauen, wirft ihnen ein Wort zu, erzwingt einen Kuss. Fremd müssen sie allerdings sein. Nur weg von den bekannten und einst gar geliebten!
So vermindert ist dieser Mann, dass Yusuf Atilgan ihm nicht einmal einen Namen zugebilligt hat. C. wird der Müßiggänger genannt, der vom väterlichen Erbe lebt. Man hält ihn für einen Arbeitslosen, für einen Erbprasser, und er selbst behauptet dreist: "Ich lebe vom gestohlenen Geld", woraufhin die hilfsbereite junge Masseurin zitternd ihre Hand zurückzieht.
C. will außerhalb der Gesellschaft und der Moral stehen: Der 28-jährige hasst das Siezen, er verabscheut die bürgerliche Normalität mit Ehefrau, Arbeit und Kindern, die gesellschaftlichen Werte nennt er "heuchlerisch, falsch und oberflächlich". C. hält es ein wenig mit jener Amoralität, die André Gide umtrieb.
C.s einziges Ideal ist die Liebe. Er sehnt sich nach einer "Zwei-Personen-Gesellschaft" und sucht das ganze Buch hindurch nach seiner Traumfrau. Immer glaubt er sich am falschen Ort, immer hetzt er auf der Straße der Falschen hinterher.
Gibt er einmal der Sehnsucht nach und lässt sich mit einer ein, gibt es nach nur zwei Tagen den "üblichen Ärger mit Parfümgestank, geschminkten Lippen und dem Gefasel von Heirat".
Bei der Malerin Ayse ist es anders. Von ihr sagt er sich los, als er sie mit einem Mann sieht - einem Bekannten nur, aber das genügt ihm. Und die hübsche Studentin Güler? Sie macht schon bald den Fehler, von ihrem Familienwunsch zu sprechen. C. genießt die Enttäuschung, die er beizeiten auch vorweg nimmt: "Das war also auch vorbei."
Desillusionierte junge Männer und Frauen des wohlhabenden Mittelstands zeigt das Debüt des modernen türkischen Klassikers Yusuf Atilgan (1921-1989), der seine zwei Romane und den einen Erzählungsband nicht in Istanbul, sondern in der Provinz schrieb und so als Linker strafrechtlichen Ermittlungen entging. Die Atmosphäre ist bemerkenswert offen: Unbekannte sprechen einander an, Frauen begegnen den Annäherungen fremder Männer aufgeschlossen. Doch die Freiheit von Konventionen und Traditionen geht einher mit Angst: Sie treibt C. um.
Atilgans Debüt, eingeteilt in vier Jahreszeiten von Winter bis Herbst, beginnt mit dem Ich-Erzähler C. Danach ist der Erzähler der Hauptperson nur noch nahe und berichtigt ihn manchmal in Klammern. Hinzu kommen innere Monologe von C., Tagebucheintragungen von Ayse und Briefe von Güler. Der Roman, von Antje Bauer in ein passend sprödes, mit "bezecht" und "schnäuzte sich" etwas altertümliches Deutsch übersetzt, besieht sich seine Hauptperson mit zunehmender Distanz. Das ist ungewöhnlich, aber stringent.
Weniger schön ist, dass Atilgan der Desillusion und der Rätselhaftigkeit des Geschehens nicht recht traut und in die zweite Buchhälfte ein veritables Ödipustrauma implantiert.
Nachdem alles ausgesprochen ist, findet der Roman jedoch zu dem Anfangston zurück, und am Ende verzichtet er glücklicherweise auf jeden Trost. Der Widerstreit zwischen Moderne und Tradition hat den "Müßiggänger" zu einem faszinierenden Wechselbalg werden lassen.
Rezensiert von Jörg Plath
Yusuf Atilgan, Der Müßiggänger
Aus dem Türkischen von Antje Bauer. Nachwort von Yüksel Pazarkaya.
Unionsverlag, Zürich 2007, 252 Seiten, 19,90 Euro
So vermindert ist dieser Mann, dass Yusuf Atilgan ihm nicht einmal einen Namen zugebilligt hat. C. wird der Müßiggänger genannt, der vom väterlichen Erbe lebt. Man hält ihn für einen Arbeitslosen, für einen Erbprasser, und er selbst behauptet dreist: "Ich lebe vom gestohlenen Geld", woraufhin die hilfsbereite junge Masseurin zitternd ihre Hand zurückzieht.
C. will außerhalb der Gesellschaft und der Moral stehen: Der 28-jährige hasst das Siezen, er verabscheut die bürgerliche Normalität mit Ehefrau, Arbeit und Kindern, die gesellschaftlichen Werte nennt er "heuchlerisch, falsch und oberflächlich". C. hält es ein wenig mit jener Amoralität, die André Gide umtrieb.
C.s einziges Ideal ist die Liebe. Er sehnt sich nach einer "Zwei-Personen-Gesellschaft" und sucht das ganze Buch hindurch nach seiner Traumfrau. Immer glaubt er sich am falschen Ort, immer hetzt er auf der Straße der Falschen hinterher.
Gibt er einmal der Sehnsucht nach und lässt sich mit einer ein, gibt es nach nur zwei Tagen den "üblichen Ärger mit Parfümgestank, geschminkten Lippen und dem Gefasel von Heirat".
Bei der Malerin Ayse ist es anders. Von ihr sagt er sich los, als er sie mit einem Mann sieht - einem Bekannten nur, aber das genügt ihm. Und die hübsche Studentin Güler? Sie macht schon bald den Fehler, von ihrem Familienwunsch zu sprechen. C. genießt die Enttäuschung, die er beizeiten auch vorweg nimmt: "Das war also auch vorbei."
Desillusionierte junge Männer und Frauen des wohlhabenden Mittelstands zeigt das Debüt des modernen türkischen Klassikers Yusuf Atilgan (1921-1989), der seine zwei Romane und den einen Erzählungsband nicht in Istanbul, sondern in der Provinz schrieb und so als Linker strafrechtlichen Ermittlungen entging. Die Atmosphäre ist bemerkenswert offen: Unbekannte sprechen einander an, Frauen begegnen den Annäherungen fremder Männer aufgeschlossen. Doch die Freiheit von Konventionen und Traditionen geht einher mit Angst: Sie treibt C. um.
Atilgans Debüt, eingeteilt in vier Jahreszeiten von Winter bis Herbst, beginnt mit dem Ich-Erzähler C. Danach ist der Erzähler der Hauptperson nur noch nahe und berichtigt ihn manchmal in Klammern. Hinzu kommen innere Monologe von C., Tagebucheintragungen von Ayse und Briefe von Güler. Der Roman, von Antje Bauer in ein passend sprödes, mit "bezecht" und "schnäuzte sich" etwas altertümliches Deutsch übersetzt, besieht sich seine Hauptperson mit zunehmender Distanz. Das ist ungewöhnlich, aber stringent.
Weniger schön ist, dass Atilgan der Desillusion und der Rätselhaftigkeit des Geschehens nicht recht traut und in die zweite Buchhälfte ein veritables Ödipustrauma implantiert.
Nachdem alles ausgesprochen ist, findet der Roman jedoch zu dem Anfangston zurück, und am Ende verzichtet er glücklicherweise auf jeden Trost. Der Widerstreit zwischen Moderne und Tradition hat den "Müßiggänger" zu einem faszinierenden Wechselbalg werden lassen.
Rezensiert von Jörg Plath
Yusuf Atilgan, Der Müßiggänger
Aus dem Türkischen von Antje Bauer. Nachwort von Yüksel Pazarkaya.
Unionsverlag, Zürich 2007, 252 Seiten, 19,90 Euro