Auf der Suche nach der Sacknäherin
Wie Italo Svevo, der seiner schriftstellerischen Berufung ebenfalls nur nebenberuflich nachging, hat Elsschot eine darstellerische Vorliebe für den sorgenvollen Alltag des "kleinen Mannes". Zu seinen wiederkehrenden Helden gehört der Büroangestellte Frans Laarmans.
In "Maria in der Hafenkneipe" begegnen wir ihm an einem Abend des Jahres 1938 auf den Straßen Antwerpens, in resignierter Stimmung auf dem Weg nach Hause, zu Frau und sechs Kindern. Er will schnell noch eine Zeitung kaufen, hinter der er sich vor der Familie verschanzen kann. Die Zeitungsfrau, die ihn seit 30 Jahren mit einem gewissen "Mijnheer Verbruggen" verwechselt, macht ihn freundlich auf einige Vorübergehende aufmerksam: "Schauen Sie mal, drei Reiskacker!"
Gemeint sind drei afghanische Seeleute, die die Stadt auf der Suche nach "Maria" durchstreifen. Es handelt sich um eine Sacknäherin, die am Morgen auf ihrem Schiff war und bei ihnen gewaltigen Eindruck hinterlassen hat. Jetzt wollen sie das Mädchen besuchen. Sie halten Laarmans ein Stück Karton mit der Marienbotschaft hin: "Klosterstraat 15".
Weil der Weg dorthin angesichts des verwinkelten Stadtplans auf broken english so schwer zu erklären ist, und weil die drei "Schwarzen" inzwischen von einem muskulösen Schlepper aus dem "Jolly Joker" behelligt werden, der sie zu Marienerscheinungen der anderen Art befördern will, nimmt sich Laarmans der Irrenden an. Ihre Suche nach Maria weckt Erinnerungen: Wie er selbst als junger Mann einst durch Bombay irrte, auf der Suche nach einer gewissen Fathma mit der roten Laterne.
In der Klosterstraße finden sie unter der angegebenen Hausnummer jedoch nur ein Geschäft für Vogelkäfige. Laarmans schlägt vor, auf der Polizeiwache Marias Adresse zu erfragen – eine Idee, die nur begrenzte Zustimmung findet: "Ja, wenn sie mit weißen Polizisten in Berührung kommen, geht die Sache für solche Herumtreiber selten gut aus…" Immerhin, nach komödienhaften Wirren bekommen sie eine weitere Adresse mit auf den Weg. Der führt sie schließlich in die verqualmte Hafenkneipe. Dort treffen sie auf ein paar Kartenspieler und Tänzer, zwei auf Gelegenheit und Liebe lauernde Mädchen, eine stillende junge Frau – aber von der sagenhaften Maria weiterhin keine Spur. Sie bleibt eine schöne Schimäre: "Sie ist wie ein Bild, das man im Wasser sieht. Wenn man danach greifen will, ist da nichts."
"Maria in der Hafenkneipe" ist ein Spätwerk von Elsschot, eine charmante, unkitschige Variation auf die Legende von den drei Königen aus dem Morgenland. Es ist eine Parabel über die Fremdheit und eine Geschichte ganz unterschiedlicher Sehnsüchte: Für Laarmans scheint die ominöse Maria eine sehr konkrete sinnliche Verheißung zu sein, für die drei Afghanen dagegen ein geradezu überirdisches Versprechen. Unaufdringlich ist die Novelle mit religiöser Symbolik unterfüttert; am Ende debattieren Laarmans und seine neuen Freunde über Christentum und Islam, gegenseitig befremdet, aber schonungsvoll ("armer Mann", meinen die Moslems über den Gekreuzigten).
Es ist die Geschichte einer zarten, behutsamen, Misstrauen überwindenden Begegnung fremder Kulturen, die zugleich rassistische Vorurteile thematisiert, in "einem Land, in dem Menschen mit einer dunklen Hautfarbe nicht mehr zählen als ein Foxterrier." Die Afghanen müssen allerhand verbale Tiefschläge einstecken ("Schwarzer Peter", "Affe", "hässliche Kröte"). 1946 erschienen, wirkt die Novelle heute noch erstaunlich aktuell. Der hilfsbereite Laarmans selbst ist dabei durchaus kein Gutmensch. Er will, von "Geilheit" getrieben, die Heimkehr zu jenen Menschen hinauszögern, "an die ich gebunden bin und die mich langweilen, unsagbar."
Elsschot ist ein Klassiker der niederländisch-belgischen Literatur, der sich sowohl bei Feinschmeckern als auch beim großen Publikum andauernder Beliebtheit erfreut. Sein lakonischer Stil, seine souveräne Ironie und seine unsentimentale Themenwahl, die viel Mitgefühl nicht ausschließt, tragen dazu bei. All diese Qualitäten sind auch in dieser Weihnachtsgeschichte der anderen Art zu finden.
Besprochen von Wolfgang Schneider
Willem Elsschot: Maria in der Hafenkneipe
Aus dem Niederländischen von Gert Busse
Unionsverlag 2009
92 Seiten, 9,90 Euro
Gemeint sind drei afghanische Seeleute, die die Stadt auf der Suche nach "Maria" durchstreifen. Es handelt sich um eine Sacknäherin, die am Morgen auf ihrem Schiff war und bei ihnen gewaltigen Eindruck hinterlassen hat. Jetzt wollen sie das Mädchen besuchen. Sie halten Laarmans ein Stück Karton mit der Marienbotschaft hin: "Klosterstraat 15".
Weil der Weg dorthin angesichts des verwinkelten Stadtplans auf broken english so schwer zu erklären ist, und weil die drei "Schwarzen" inzwischen von einem muskulösen Schlepper aus dem "Jolly Joker" behelligt werden, der sie zu Marienerscheinungen der anderen Art befördern will, nimmt sich Laarmans der Irrenden an. Ihre Suche nach Maria weckt Erinnerungen: Wie er selbst als junger Mann einst durch Bombay irrte, auf der Suche nach einer gewissen Fathma mit der roten Laterne.
In der Klosterstraße finden sie unter der angegebenen Hausnummer jedoch nur ein Geschäft für Vogelkäfige. Laarmans schlägt vor, auf der Polizeiwache Marias Adresse zu erfragen – eine Idee, die nur begrenzte Zustimmung findet: "Ja, wenn sie mit weißen Polizisten in Berührung kommen, geht die Sache für solche Herumtreiber selten gut aus…" Immerhin, nach komödienhaften Wirren bekommen sie eine weitere Adresse mit auf den Weg. Der führt sie schließlich in die verqualmte Hafenkneipe. Dort treffen sie auf ein paar Kartenspieler und Tänzer, zwei auf Gelegenheit und Liebe lauernde Mädchen, eine stillende junge Frau – aber von der sagenhaften Maria weiterhin keine Spur. Sie bleibt eine schöne Schimäre: "Sie ist wie ein Bild, das man im Wasser sieht. Wenn man danach greifen will, ist da nichts."
"Maria in der Hafenkneipe" ist ein Spätwerk von Elsschot, eine charmante, unkitschige Variation auf die Legende von den drei Königen aus dem Morgenland. Es ist eine Parabel über die Fremdheit und eine Geschichte ganz unterschiedlicher Sehnsüchte: Für Laarmans scheint die ominöse Maria eine sehr konkrete sinnliche Verheißung zu sein, für die drei Afghanen dagegen ein geradezu überirdisches Versprechen. Unaufdringlich ist die Novelle mit religiöser Symbolik unterfüttert; am Ende debattieren Laarmans und seine neuen Freunde über Christentum und Islam, gegenseitig befremdet, aber schonungsvoll ("armer Mann", meinen die Moslems über den Gekreuzigten).
Es ist die Geschichte einer zarten, behutsamen, Misstrauen überwindenden Begegnung fremder Kulturen, die zugleich rassistische Vorurteile thematisiert, in "einem Land, in dem Menschen mit einer dunklen Hautfarbe nicht mehr zählen als ein Foxterrier." Die Afghanen müssen allerhand verbale Tiefschläge einstecken ("Schwarzer Peter", "Affe", "hässliche Kröte"). 1946 erschienen, wirkt die Novelle heute noch erstaunlich aktuell. Der hilfsbereite Laarmans selbst ist dabei durchaus kein Gutmensch. Er will, von "Geilheit" getrieben, die Heimkehr zu jenen Menschen hinauszögern, "an die ich gebunden bin und die mich langweilen, unsagbar."
Elsschot ist ein Klassiker der niederländisch-belgischen Literatur, der sich sowohl bei Feinschmeckern als auch beim großen Publikum andauernder Beliebtheit erfreut. Sein lakonischer Stil, seine souveräne Ironie und seine unsentimentale Themenwahl, die viel Mitgefühl nicht ausschließt, tragen dazu bei. All diese Qualitäten sind auch in dieser Weihnachtsgeschichte der anderen Art zu finden.
Besprochen von Wolfgang Schneider
Willem Elsschot: Maria in der Hafenkneipe
Aus dem Niederländischen von Gert Busse
Unionsverlag 2009
92 Seiten, 9,90 Euro