Auf der Suche nach dem Dialog

Von Rupert Neudeck |
Dass es diese Konferenz gibt, die "Deutsche Islam-Konferenz", ist einfach erst mal gut. In eine Sache, die man politisch hat sträflich schleifen lassen, wird jetzt Bewegung kommen. Dass man in einer Demokratie miteinander redet, konferiert, streitet, lernt zu streiten ist etwas Normales, an das wir uns manchmal ausdrücklich wieder gewöhnen sollten.
Die Einladung der türkisch-islamischen Milli-Görüs-Organisation ist natürlich richtig. Denn man soll doch nicht nur mit denen reden, mit denen man befreundet ist und die einem recht sind. Gerade diejenigen gilt es für das Glück der freiheitlichen Streitkultur und Demokratie zu gewinnen, die bisher noch abseits stehen.

Gerade weil der säkulare Staat für viele unserer neuen Mitbürger noch keine klare Selbstverständlichkeit ist, ist es wichtig, sie hier an diese Gesellschaftsordnung heranzuführen. Das ist übrigens keine Beleidigung, sondern einfach nur Ausdruck der Realität. Weder die Türken haben in ihrem Herkunftsland bisher eine mustergültige Demokratie erleben können, noch die Arabischen Muslime, die zu uns gekommen sind.

Eine der wichtigsten, nein: Die wichtigste Zukunftsfrage, an der sich das gedeihliche Zusammenleben zwischen den verschiedenen Gruppen entscheiden wird, ist die Stellung der Frau in der Gesellschaft. Bei den verschiedenen islamischen Gruppen wird oft theologisch-vornehm darauf hingewiesen, dass sich der Islam vom Christentum darin unterscheide, dass sein Bild der Frau ein anderes sei. Nun ist das Bild der Frau nicht von äußerlichen Kleidungsstücken abhängig zu machen, sondern von der Möglichkeit, sich als Mädchen, als Schülerin, als Lehrling, als Ärztin oder als Studentin in der Gesellschaft zu bewegen.

Da blockieren oft islamische Gesellschaften. Frauen müssen in der Familie von den Männern, Töchter manchmal von Ihren Brüdern geschützt werden. Die Frage der Gleichberechtigung der Frau wird für die Zukunft der Religionen entscheidend sein. Und zwar in der christlichen Kirche wie in der Moschee. Nur ist es in den christlichen Kirchen anders dramatisch geworden: Die Frauen treten einfach aus der Kirche aus. Das Herausgehen aus dem Islam, das den Islam Kritisieren gilt in weiten Teilen der islamischen Hemisphäre als ein zu ahnendes Verbrechen. Auch das Konvertieren in die falsche Richtung. Die angeblich richtige ist möglich, und das ist die von Christen oder anderen zum Islam. Aber wehe, ein Muslim Abdul Rahman tritt in Kabul zum Christentum über.

Ein doppeltes Versäumnis gilt es festzuhalten. Warum werden manche Fragen von vornherein europäisch behandelt, anderen offenbar ebenso selbstverständlich national. Die Islam-Frage wäre doch eine, die dem säkularen Europa als europäische aufgegeben ist. Und dazu gibt es ein zweites Versäumnis, das in die Augen springt, wenn der deutsche Innenminister Wolfgang Schäuble von einem Gesellschaftsvertrag spricht, den er ganz offenbar mit muslimischen Gruppen schließen will.

Diese Konferenz hätte von der Teilnahme der einzigen eingeborenen Europäischen Muslime - nämlich der Bosnier Muslime - sehr stark profitiert. Der Reiz ul Ulema in Sarajevo, Mustafa Ceric, bittet seine europäischen Muslime, aber auch die säkularen Gesellschaften, den einzig autochthonen europäischen Islam ernst zu nehmen.

Die europäischen Muslime aus Bosnien sind schon europäisch, als Muslime schon immer Europäer. Sie (haben auch schon den Prozeß durchgemacht, und) sind theologisch die Avantgarde der europäischen Muslime. Nur unser Europa hat in seiner Arroganz den Balkan wieder vernachlässigt. Der Balkan, der nach Reichskanzler Otto von Bismarck auch nicht die Knochen eines Pommerschen Grenadiers wert ist.

Die Theologie der europäischen Muslime könnte die überwölbende Form werden, in der sich Muslime in Europa einfinden und mit Christen und nicht Christen in Europa zusammenleben.

Mustafa Ceric hat in seiner Deklaration für die europäischen Muslime 2005 sensationell für uns alle und besonders für die Muslime, die mit ihrer Religion in unserer Gesellschaft leben wollen, gesagt:

Dieses Europa sei nicht das Daru-i –Islam" also das "Haus des Islam". Denn es gäbe hier ja andere große Religionen. Es sei aber auch nicht das - koranisch gesagt - Daru i-Harb, das "Haus des Krieges". Europa, so der große erste Repräsentant eines Europäischen Islam, der sich das Europäersein nicht erst verdienen muss, sondern der es war, ist und sein wird – sogar über den Versuch eines von der westlichen Welt zugelassenen Völkermordes in Srebrenica: - Europa ist das "Daru ui Sulh", das "Haus des Gesellschaftsvertrages". Das Haus, in dem verschiedene Wohnungen und Lebensweisen koexistieren. Das ist so ähnlich wie bei Rousseau - der Grand Mufti kennt natürlich seinen Rousseau -, der den Contract Social schrieb - das Buch, das die moderne Demokratie in Europa und der Welt begründete.

Warum, frage ich mich jetzt schon wieder, verzichtet Europa auf seinen wertvollsten Agenten bei einer solchen Islam-Konferenz?

In diesem bosnischen Islam sind auch Humor, Witz und etwas Unorthodoxes beinhaltet. Der bosnisch-muslimische Schriftsteller Dzevad Karahasan erzählte in Sarajevo jüngst, dass bei einer großen Versammlung der Muslime, ein Heißsporn gerufen habe: "Der Karahasan trinkt!"
Da habe der Reiz Ul Ulema von Sarajevo mit einer Geste, wie sie nur große Gläubige erweisen können, gesagt: "Das machen und halten wir so in Bosnien!"


Rupert Neudeck wurde 1939 in Danzig geboren. Nach abgebrochenem Jurastudium zog es ihn nach Bonn, Münster und Salzburg. Dort promovierte er 1972 in Theologie. Anschließend war Neudeck als freier Journalist tätig und arbeitete vor allem für den Deutschlandfunk in Köln. Zusammen mit Heinrich Böll gründete er das Komitee "Cap Anamur/Deutsche Notärzte e. V." Weltweit bekannt wurde Neudeck durch die Rettung tausender vietnamesischer Flüchtlinge (boat people) im Chinesischen Meer mit der Cap Anamur. Neudeck erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter auch die Theodor-Heuss-Medaille, den Erich Kästner-Preis und den Marion-Dönhoff-Preis sowie den Europäischen Sozialpreis.