Auf der Spur des Unfassbaren
Die alte Frage „Was ist Bewusstsein?“ steht im Mittelpunkt von Heinz Georg Schusters Buch „Bewusst oder unbewusst?“ Doch der Autor ist nicht etwa Geisteswissenschaftler, sondern er gibt als Professor für Theoretische Physik den neusten Stand der Bewusstseinsforschung wieder.
Was ist Bewusstsein? Wenn wir aus dem Schlaf erwachen und die Welt um uns herum wieder bewusst wahrnehmen? Wenn wir uns unter Kontrolle haben und bewusst – weil es die Situation erfordert – ein Lachen unterdrücken? Wenn wir uns selbst im Spiegel erkennen und wissen „Das bin ich“?
Heinz Georg Schuster versucht in seinem Buch „Bewusst oder unbewusst?“ zu klären, was das Bewusstsein ist und wie es sich entwickelt. Doch der Autor ist nicht etwa Geisteswissenschaftler, sondern Professor für Theoretische Physik in Kiel. Schuster nähert sich diesem Thema nicht über philosophische Erwägungen, sondern mit den Mitteln moderner Medizin und Naturwissenschaft. Ein durchaus zeitgemäßer Ansatz: Denn war das Bewusstsein über Jahrtausende die exklusive Domäne der Philosophie, so ist es jetzt auch mit naturwissenschaftlicher Methodik zu erforschen. Heute müssen sich die Gelehrten nicht mehr mit theoretischen Reflexionen begnügen. Überspitzt formuliert wollen die Naturwissenschaftler jetzt das Bewusstsein messen und dieses Phänomen in Computermodellen nachbilden.
Eine große Rolle spielen dabei Experimente und Studien mit Versuchspersonen: So lässt sich etwa durch Messen der elektrischen Ströme im Gehirn bestimmen, welche Hirnregionen bei welchen Tätigkeiten besonders aktiv sind. Es zeigt sich, dass Sportler bereits gut 0,1 Sekunden nach dem Startschuss aus dem Startblock springen, obwohl es sehr viel länger dauert, bis das Gehirn den Startschuss bewusst wahrnimmt. Offensichtlich kürzt das Gehirn die Reaktion auf solche Reize erheblich ab. Legen wir auch sonst unsere Handlung oft schon unbewusst fest? Dann hätte der Mensch keinen wirklich freien Willen!
Die für das menschliche Bewusstsein typischen Grundelemente sind das Vorhandensein eines Selbstbildes, die Fähigkeit zur Selbstreflexion und unsere Sprache. Informationen, die unser Bewusstsein steuern, werden im Gedächtnis für lange Zeit gespeichert. Lernvorgänge verändern diese Informationen, ähnlich wie Mutationen stetig unser Erbmaterial verändern und an entsprechende Gegebenheiten anpassen. Zudem hat das Bewusstsein des Menschen großen Einfluss auf das Sozialverhalten, was wiederum erhebliche evolutionäre Vorteile bringt. Kurz gesagt: Ohne Bewusstsein säßen wir noch immer auf den Bäumen. Denn wir müssen nicht auf die richtige Mutation im Erbgut warten. Der bewusste Mensch ist lernfähig und kann sich schneller anpassen.
In zehn Kapiteln behandelt Heinz Georg Schuster den aktuellen Forschungsstand zum Bewusstsein. Jedes Kapitel beginnt mit einer Vorschau auf die behandelten Aspekte. Es folgen zumeist detaillierte Schilderungen der durchgeführten Experimente und die daraus gezogenen Schlüsse. „Bewusst oder unbewusst?“ ist ein Sachbuch auf hohem Niveau, aber eine ungewöhnliche Mixtur aus Anatomie, Informatik, Soziologie, Psychologie und Physik. Es wendet sich laut Autor an den gebildeten Laien. Doch wer sich im Vokabular und der Denkweise dieser Fächer nicht auskennt, wird sich in diesem Buch schnell – bewusst oder unbewusst – verloren fühlen.
Wer sich aber auf das hohe fachliche Niveau einlassen kann, wird nach der Lektüre von Schusters Buch sich selbst und das eigene Verhalten anders wahrnehmen. Schuster schreibt große Teile des Buches in der Wir-Form. Das mag ganz am Anfang dem Leser noch eine gewisse Nähe suggerieren, wirkt aber schnell recht belehrend. Das Buch ist fast eine gedruckte Vorlesung. Etliche Schwarz-Weiß-Fotos und meist recht komplizierte Grafiken tragen nicht entscheidend zur Verständlichkeit des Buches bei.
Für den Nachttisch taugt „Bewusst oder unbewusst?“ sicher nicht. In diesem Buch kann man nicht schmökern. Man muss den Weg der Forscher zum Bewusstsein mühsam durcharbeiten – und wird das Ziel dennoch nicht erreichen. Denn es gebe, schreibt Heinz Georg Schuster zum Schluss, im Hirn etwa so viele Nervenzellen wie Sterne in der Milchstraße. Und Hirn wie Milchstraße seien hochkomplexe Systeme, an deren Verständnis noch lange zu arbeiten sei. Ob früher reine Philosophie oder heute harte Naturwissenschaft: Von einer echten Theorie des Bewusstseins sei man noch Lichtjahre entfernt.
Rezensiert von Dirk Lorenzen
Heinz Georg Schuster: Bewusst oder unbewusst?
Wiley-VCH 2007
161 Seiten, 24,90 Euro
Heinz Georg Schuster versucht in seinem Buch „Bewusst oder unbewusst?“ zu klären, was das Bewusstsein ist und wie es sich entwickelt. Doch der Autor ist nicht etwa Geisteswissenschaftler, sondern Professor für Theoretische Physik in Kiel. Schuster nähert sich diesem Thema nicht über philosophische Erwägungen, sondern mit den Mitteln moderner Medizin und Naturwissenschaft. Ein durchaus zeitgemäßer Ansatz: Denn war das Bewusstsein über Jahrtausende die exklusive Domäne der Philosophie, so ist es jetzt auch mit naturwissenschaftlicher Methodik zu erforschen. Heute müssen sich die Gelehrten nicht mehr mit theoretischen Reflexionen begnügen. Überspitzt formuliert wollen die Naturwissenschaftler jetzt das Bewusstsein messen und dieses Phänomen in Computermodellen nachbilden.
Eine große Rolle spielen dabei Experimente und Studien mit Versuchspersonen: So lässt sich etwa durch Messen der elektrischen Ströme im Gehirn bestimmen, welche Hirnregionen bei welchen Tätigkeiten besonders aktiv sind. Es zeigt sich, dass Sportler bereits gut 0,1 Sekunden nach dem Startschuss aus dem Startblock springen, obwohl es sehr viel länger dauert, bis das Gehirn den Startschuss bewusst wahrnimmt. Offensichtlich kürzt das Gehirn die Reaktion auf solche Reize erheblich ab. Legen wir auch sonst unsere Handlung oft schon unbewusst fest? Dann hätte der Mensch keinen wirklich freien Willen!
Die für das menschliche Bewusstsein typischen Grundelemente sind das Vorhandensein eines Selbstbildes, die Fähigkeit zur Selbstreflexion und unsere Sprache. Informationen, die unser Bewusstsein steuern, werden im Gedächtnis für lange Zeit gespeichert. Lernvorgänge verändern diese Informationen, ähnlich wie Mutationen stetig unser Erbmaterial verändern und an entsprechende Gegebenheiten anpassen. Zudem hat das Bewusstsein des Menschen großen Einfluss auf das Sozialverhalten, was wiederum erhebliche evolutionäre Vorteile bringt. Kurz gesagt: Ohne Bewusstsein säßen wir noch immer auf den Bäumen. Denn wir müssen nicht auf die richtige Mutation im Erbgut warten. Der bewusste Mensch ist lernfähig und kann sich schneller anpassen.
In zehn Kapiteln behandelt Heinz Georg Schuster den aktuellen Forschungsstand zum Bewusstsein. Jedes Kapitel beginnt mit einer Vorschau auf die behandelten Aspekte. Es folgen zumeist detaillierte Schilderungen der durchgeführten Experimente und die daraus gezogenen Schlüsse. „Bewusst oder unbewusst?“ ist ein Sachbuch auf hohem Niveau, aber eine ungewöhnliche Mixtur aus Anatomie, Informatik, Soziologie, Psychologie und Physik. Es wendet sich laut Autor an den gebildeten Laien. Doch wer sich im Vokabular und der Denkweise dieser Fächer nicht auskennt, wird sich in diesem Buch schnell – bewusst oder unbewusst – verloren fühlen.
Wer sich aber auf das hohe fachliche Niveau einlassen kann, wird nach der Lektüre von Schusters Buch sich selbst und das eigene Verhalten anders wahrnehmen. Schuster schreibt große Teile des Buches in der Wir-Form. Das mag ganz am Anfang dem Leser noch eine gewisse Nähe suggerieren, wirkt aber schnell recht belehrend. Das Buch ist fast eine gedruckte Vorlesung. Etliche Schwarz-Weiß-Fotos und meist recht komplizierte Grafiken tragen nicht entscheidend zur Verständlichkeit des Buches bei.
Für den Nachttisch taugt „Bewusst oder unbewusst?“ sicher nicht. In diesem Buch kann man nicht schmökern. Man muss den Weg der Forscher zum Bewusstsein mühsam durcharbeiten – und wird das Ziel dennoch nicht erreichen. Denn es gebe, schreibt Heinz Georg Schuster zum Schluss, im Hirn etwa so viele Nervenzellen wie Sterne in der Milchstraße. Und Hirn wie Milchstraße seien hochkomplexe Systeme, an deren Verständnis noch lange zu arbeiten sei. Ob früher reine Philosophie oder heute harte Naturwissenschaft: Von einer echten Theorie des Bewusstseins sei man noch Lichtjahre entfernt.
Rezensiert von Dirk Lorenzen
Heinz Georg Schuster: Bewusst oder unbewusst?
Wiley-VCH 2007
161 Seiten, 24,90 Euro