Auf der Bühne gegen Vorurteile

Von Carsten Beyer · 29.12.2012
Kosice, die 240.000-Einwohner-Stadt im Osten der Slowakei, ist Kulturhauptstadt 2013 und nur den Wenigsten ein Begriff. Dabei hat Kosice durchaus einiges zu bieten. Beispielsweise das "Divadlo Romathan", das einzige staatlich geförderte Roma-Theater der Welt.
Virtuose Geigen, farbenfrohe Kostüme, Lebensfreude in Spiel und Tanz - so hat das Divadlo Romathan in den vergangenen 20 Jahren ein internationales Publikum erobert. Doch seine Heimstätte wirkt alles andere als fröhlich: ein heruntergekommenes Mietshaus am Rande der Altstadt von Kosice. Das Ambiente ist schäbig, der Putz bröckelt von den Wänden, und in Ermangelung eines Portiers oder einer Sekretärin empfängt mich der Chef gleich selbst. Karel Adam ist seit vielen Jahren in Personalunion Theaterdirektor, Dirigent und erster Geiger des Romathan-Orchesters:

"Das Divadlo Romathan wurde 1992 gegründet, kurz nach der Wende. Damals war die Zeit günstig, denn das slowakische Parlament hatte die Roma erstmals als nationale Minderheit anerkannt. Das heißt, dass seitdem auch unsere Sprache und unsere Kultur unter dem Schutz der Verfassung stehen. Viele Schriftsteller, Schauspieler und Musiker haben sich zunächst für die Gründung des Theaters engagiert. Aber dann hat die Unterstützung immer mehr nachgelassen. Und nur wenige haben uns wohl zugetraut, dass wir so lange durchhalten würden."

Karel Adam, ein untersetzter Mann Mitte 50, sitzt am Schreibtisch im Intendantenzimmer und raucht Kette. 60 von ursprünglich mal 100 Mitarbeitern hat er über die Jahre entlassen müssen. Gerade erst hat man ihm wieder die staatlichen Zuschüsse gekürzt. Und der versprochene Neubau eines Theatersaals wurde ebenfalls auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben. Trotzdem macht Karel Adam weiter, denn er hat eine Mission. Er will endlich mit den Vorurteilen über sein Volk aufräumen.

"In der Slowakei glauben die meisten Menschen, dass alle Roma wunderbar singen, tanzen und Musik können, ansonsten aber zu nichts gut sind und vor allem keine Lust haben zu arbeiten. Das ist natürlich kompletter Blödsinn. Die Leute hier am Theater haben ihr Talent nicht einfach vom Heiligen Geist geschenkt bekommen. Die meisten Musiker zum Beispiel kommen von einem privaten Roma-Konservatorium, mit dem wir seit Jahren zusammenarbeiten. Also die haben nicht einfach Talent, die haben sich ihr Können hart erarbeitet."

Das geringe Ansehen der Roma in der slowakischen Bevölkerung beschäftigt auch Blanka Berkyova. Die junge Frau, die selbst aus einem Roma-Dorf an der ukrainischen Grenze stammt, ist im Vorbereitungs-Komitee Kulturhauptstadt Kosice 2013 für die Belange der Minoritäten zuständig. Und da gibt es eine Menge zu tun. Denn außer im Romathan, sagt Blanka Berkyova, findet man Roma-Kultur in Kosice höchstens noch bei Straßenmusikern, die in der Fußgängerzone für ein Trinkgeld spielen.

"Wenn man die Kultur der Roma und die der Mehrheitsgesellschaft in der Slowakei vergleicht, dann gibt es natürlich Unterschiede. Aber der eigentliche Grund für die Probleme liegt im wirtschaftlichen und sozialen Wandel, den unser Land in den letzten 20 Jahren durchgemacht hat. Im Kommunismus hatten alle einen Arbeitsplatz. Dann, nach der samtenen Revolution, haben vor allem diejenigen ihren Job verloren, die ungelernt waren oder keinen Schulabschluss besaßen, darunter sehr viele Roma. Manche von ihnen haben seit zehn, zwölf Jahren nicht mehr gearbeitet. Es ist, als hätte man sie aufgegeben."

Diese Menschen zu erreichen, sie wieder in die Gesellschaft zu integrieren, ist eine schwierige Aufgabe für das kleine Land. Doch wenn das nicht gelingt, so befürchtet Blanka Berkyova, blüht der Slowakei das gleiche Schicksal wie dem benachbarten Ungarn. Dort haben rechtsradikale Parteien mit fremdenfeindlichen Parolen mehr und mehr Zulauf und so genannte Bürgermilizen verbreiten in den Roma- Siedlungen Angst und Schrecken.

"Es kann nicht die Aufgabe der Kulturhauptstadt sein, diese wirtschaftlichen und sozialen Probleme zu lösen. Aber was wir unbedingt tun sollten, ist den Reichtum der Roma-Kultur zu präsentieren, zu zeigen, wie begabt und kreativ diese Menschen sind. Dadurch lassen sich am ehesten Vorurteile abbauen, und das ist es, was diese Stadt dringend braucht."

An diesem Vormittag wird im Romathan Theater das Märchen von Wilko gespielt, einem kleinen Jungen, der seine Sprache verloren hat und nur noch mit den Tieren sprechen kann. Eine wilde Story, bei der getanzt, gesungen und vor allem viel gelacht wird.

Über hundert Schüler drängen sich in dem kleinen Vorführraum. Die meisten von ihnen sind mit Bussen aus umliegenden Roma-Dörfern gekommen, aber es sind auch einige slowakische Kinder im Publikum. Und die, sagt Karel Adam, sind unsere wichtigsten Zuschauer. Wenn man die nicht erreichen kann, dann wird sich hier nie etwas ändern: Kultur-Hauptstadt hin oder her.

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