Auf den Spuren von Gramsci

Von Klaus Schroeder · 09.06.2011
Nun also auch die FDP. Mit ihrem Slogan vom mitfühlenden Liberalismus begehrt sie als letzte der im Bundestag vertretenen Parteien Einlass in den Club der Parteien, die linke Positionen übernommen haben. Zwar sind nicht alle Parteien 'links' in einem traditionellen Sinne geworden, aber der in den letzten Jahren zu beobachtende Linksruck auch in den Medien hat den politischen und gesellschaftlichen Diskurs nachhaltig verändert.
Einem grün-linken Kartell ist es gelungen, Themen und Begriffe zu besetzen und auf vielen Gebieten kulturelle Hegemonie zu erlangen, die schon der italienische Kommunist Antonio Gramsci als Voraussetzung einer erfolgreichen Politik postulierte. Nachdem zunächst bestimmte Begriffe und dahinter stehende Inhalte wie 'neoliberal', 'Marktwirtschaft' bzw. 'Kapitalismus' und 'Selbstverantwortung' diffamiert und stigmatisiert wurden, wird derzeit sogar 'Freiheit' negativ konnotiert. Sie sei angeblich im Kapitalismus nicht möglich. Positiv aufgebläht werden dagegen die Begriffe 'sozial' und 'soziale Gerechtigkeit', 'Gleichheit', 'Umverteilung', 'Staatseingriffe' sowie 'ökologisch', unabhängig davon, was der Einzelne darunter verstehen mag.

Gleichzeitig tritt häufig an die Stelle von Sachentscheidungen ein populistisch motivierter Moralismus. So geschehen bei der Begründung eines schnellen Atomausstiegs durch eine sogenannte Ethikkommission.

Ungeachtet der tatsächlichen Entwicklung wird – um ein anderes Beispiel zu nennen – penetrant behauptet, die Ungleichheit in Deutschland nehme immer stärker zu – die Armen würden immer ärmer, die Reichen immer reicher. Tatsächlich aber hat sich die Ungleichheit in den letzten zwei Jahrzehnten nur unwesentlich verändert. Die geringe Zunahme verdankt sich zudem vor allem dem sozialen Wandel, das heißt der höheren Zahl von Rentnern, Geschiedenen, Alleinerziehenden und Singles.

Linke Demagogen und Populisten haben es auch geschafft, dass sich kaum noch jemand traut, eine vermeintlich positive multikulturelle Gesellschaft oder demokratie- und freiheitsfeindliche Aspekte bestimmter Islaminterpretationen zu kritisieren. Wer dem linken Mainstream widerspricht, wird sofort in die rechte oder sogar rechtsradikale Ecke gestellt. Der politische Pluralismus erschöpft sich inzwischen weitgehend in linken Diskursen.

Ihr Meisterstück lieferten linke Wissenschaftler und Publizisten mit der Beschimpfung der sozialen und politischen Mitte ab. Diese sei nicht sozial, weil sie nicht freudig eine weitere Umverteilung zu ihren Lasten und zugunsten "sozial Benachteiligter" begrüße. Gleichzeitig grassiere bei vielen von ihnen rechtsextremistisches und fremdenfeindliches Gedankengut. Zwar stützen sich diese Vorwürfe auf fragwürdige bis obskure Umfragen und unbewiesene Behauptungen, aber dennoch wagt kaum einer zu widersprechen. Wer will da noch "Mitte" im klassischen Sinn sein?

Während die Mitte rhetorisch nach rechts gedrückt wird, wird der Linksextremismus für nicht existent erklärt. Linke Gewaltexzesse gegen ihre extremistischen Widersacher und gegen Polizisten werden ebenso wie die sich häufenden Anschläge geflissentlich übersehen oder bagatellisiert.

Liberal-konservative Kräfte haben derzeit der auf Nivellierung sowie Technik- und Wachstumsfeindlichkeit gerichteten grün-linken Politik kaum etwas entgegen zu setzen. Alte Positionen werden schneller geräumt, als der politische Gegner fordern kann. Die Käßmannisierung der Politik schreitet voran.

In den aktuellen Debatten um den schnellen Atomausstieg und eine neue, auf Gemeinschaftsschulen zielende Bildungspolitik sowie an der Kritik von Globalisierung und gesellschaftlicher Mobilität und Flexibilität wird deutlich, worauf das grün-linke Projekt langfristig zielt: die moralisch begründete Diktatur über die Bedürfnisse der Menschen.

Klaus Schroeder, Sozialwissenschaftler, geboren 1949 in Lübeck, leitet an der FU Berlin den Forschungsverbund SED-Staat und die Arbeitsstelle Politik und Technik und ist Professor am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin.
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