Auf den Spuren von Donna Leon

08.06.2005
Gerade ist der 13. Fall für Commissario Brunetti, dem Protagonisten der amerikanischen Autorin Donna Leon erschienen: "Beweise, dass es böse ist". Stefan Maelck, selbst Krimi-Autor, hat Leon bei den Händelfestspielen in Halle getroffen und sie zu Brunettis neuestem Fall, zu ihrem Verhältnis zur Kriminalliteratur und zu ihrem im Herbst erscheinenden Essay-Band befragt.
Comissario Brunetti ist müde oder erschöpft oder zu satt vom Essen oder er ist, wie im neuesten Donna Leon Roman, erstmal gar nicht da sondern im Urlaub. Bis er sich des Falles annimmt, dauert es 80 Seiten und das nur zum Teil, weil Brunetti so behäbig ist. Umso überraschender ist die Erscheinung der Frau, die ihn erschuf.

Die in Venedig lebende amerikanische Krimi-Autorin Donna Leon ist anlässlich der Händel-Festspiele in Halle. Sie kommt gerade aus der Maske, die 63 sieht man ihr nicht an, und sie ist viel freundlicher als erwartet. Sie sollte dringend ein anderes Foto machen lassen für die Bücher, eins, auf dem sie nicht so streng guckt, eines, was ihrem frischen Wesen entspricht. Auf dem Foto des Diogenes-Verlages schaut sie, als wäre sie böse auf Brunetti und manchmal hat sie da ja allen Grund. Denn diesen Brunetti wünscht man sich schon manchmal etwas böser, etwas aggressiver, eben mehr wie einen harten Typen und nicht wie den butterweichsten Gondolierie von Venedig.

"Ich mag keine Gewalt, ich kann nicht diesen amerikanischen blutrünstigen Stoff lesen. Es ärgert mich, dass so viele Menschen sich für diesen Karm interessieren, wie Jamey Ellroy, der ist doch besessen. Als Studentin habe ich jede Menge amerikanische Krimi-Autoren gelesen. Die üblichen Verdächtigen: Chandler, Hammett, Ros McDonald, Ruh Rendell, P.D:James - ich hab sie alle gelesen."

Fragt man sich nur, warum Donna Leon Brunetti diese Klassiker verbietet. Ansonsten wäre der doch nicht so ein Familientier. Immer brav nach Hause zu Paola und den Kindern. Wenn Phillip Marlow die Schublade seines Schreibtisches öffnet, so erwartet man drei Dinge, die er hervorholt: Die Pulle, die Wumme und die Fluppe. Und Brunetti: Der zieht höchstens eine Fluppe, wenn seine unterilluminerten Mitarbeiter mal wieder Mist machen. Wie im neusten Fall, den sie gleich zu den Akten legen, weil sie meinen, die rumänische Haushaltshilfe des Opfers, die passt doch gut in jedes Klischee. Aber diese Vorurteile bestätigen sich natürlich nicht, ebenso wenig wie die über Donna Leon. Die sieht ihren Brunetti durchaus kritisch, und dass macht sie nicht nur daran fest, dass der Kleine immer sein Telefonino vergisst, nein, sie stellt ihm einfach - in den letzten Büchern immer stärker - eine Kollegin an die Seite, die alles hat, was Brunetti nicht hat. Das gibt Donna Leon natürlich nicht zu, aber ihre Augen verraten, dass sie weiß, dass der Leser weiß.

"Ich weiß manchmal gar nicht, warum sie da ist, was macht die da. Sie hat ihren Job in der Bank von Italien aufgegeben, und das ist schließlich der Traum eines jeden Italieners - in einer Bank zu arbeiten. Stattdessen arbeitet sie lieber bei der Polizei. Warum hat sie alle diese Freunde wie Georgio, der für eine Telefonkompanie arbeitet und sie ständig mit Informationen versorgt und ihr Schlüssel für Lösungen geben? Brunetti wäre verloren ohne sie, er vergisst sein telefonino, er weiß nicht wie man ne E-Mail schreibt, und er weiß nicht, wofür ein Faxgerät ist, außer jemand zieht es ihm über den Schädel - er braucht Elettra!"

Na bitte, wie vermutet, dieser Brunetti ist doch der Oberschlurfi, der ist wie Columbo auf Codein. Also andere Autoren sind da gnadenloser. Henning Mankell hat Wallander von seiner Tochter ablösen lassen und Arne Dahl hat seine Serie über Paul Hjelm gleich auf zehn Bände angelegt ebenso wie Hakan Nesser. Was dürfen wir also vermuten? Hat sich Frau Leon einen schönen Lebensplan gebastelt: Altwerden mit Brunetti, ja war vielleicht alles abgekartetes Spiel, ein Masterplan, erdacht schon lange bevor sie nach Venedig ging? Sollen die Gondeln doch alleine Trauer tragen. Venedig, dass muss ja nicht der Trost von Fremden sein, wie bei Ian Mc Ewan.

"Nein, nein, nein. Brunetti ist das Produkt eines Witzes. Vielleicht ist das ja mein ganzes Leben, wer weiß, nein, mit meinem Freund Gabriele, einem Dirigenten habe ich über einen anderen Dirigenten getratscht und dann fing mein Freund an darüber zu spekulieren, was mit dem anderen Dirigenten passiert ist und ich sagte: Guter Stoff für eine Kriminalgeschichte. Ich hatte vorher nie daran gedacht eine zu schreiben. Die Idee hing sich fest und ich schrieb und hatte Glück einen Verlag zu finden, der es druckte und immer noch ein Buch wollte ..."

Inzwischen sind es 13. Mag man denken, in den USA trifft man manchmal kerngesunde Menschen um die 40, die bereits Polizisten im Ruhestand sind, und der arme Brunetti muss sich immer weiter schinden, um Donna Leon die Rente zu verdienen. Die Welt ist nicht fair, diesen Satz lässt Donna Leon Brunetti oft denken, aber Gnade kennt sie trotzdem nicht mit ihrem Protagonisten.

" Nein, ich mag ihn zu sehr und es macht zu viel Spaß. Ich kann richtig laut und viel lachen, wenn ich schreibe. Meine Freunde müssen das dann ertragen, wenn ich sie anrufe, weil ich denke ich habe was Cleveres geschrieben und das übersetze ich dann ins Italienische und lese es ihnen vor. So lange dieser Spaß anhält, mache ich weiter und bisher gibt es keine Anzeichen zum Aufhören."

Armer Brunetti. Aber ihm bleibt ja die Hoffnung darauf, dass mehr von ihm bleibt als von den meisten, mit denen er sich so beschäftigt. Zumindest denkt er oft über die Endlichkeit nach im neuen Buch. Schlimm muss auch diese Ungewissheit sein. Nicht mal seine Schöpferin weiß schließlich, was genau passiert im nächsten Buch und Brunetti ist der letzte, der erfährt, was sich Donna Leon wieder ausgedacht hat. Nein, Serienheld möchte man nicht sein.

"Gewöhnlich springt mich etwas an. Oft kleine Vorfälle, von denen ich in der Zeitung lese, kleine verstreute Informationen. Die arbeiten dann in meinen Gedanken und ich versuche herauszufinden, was jemanden dazu getrieben hat, das und das zu tun und so zu reagieren. Ich weiß auch vorher nicht, wer die anderen Figuren sind usw. Ich kenne auch den Täter nicht vorher, das entsteht alles erst beim Schreiben. Also muss ich das Buch zu Ende schreiben, um herauszufinden, wer der Täter ist."

Sag ich doch, tauschen möchte man nicht mit diesem Brunetti aus vielen Gründen und aus diesem besonders: Zitat: Er dachte an die Kinder und daran, wie müde sie nach dem Essen gewesen waren, während sein Blick an Paolas Körper hinabwanderte. Er stellte sein Glas auf den Tisch und beugte sich zu ihr: "Meinst du, wir könnten unsere Erforschung der sieben Todsünden fortsetzen" fragte er.

Dann ist das Kapitel vorbei. Brunetti arme Sau. Aber zum Glück erscheint im Herbst Donna Leons Essay und dann erfahren wir hoffentlich alles, was wir nicht wissen:

"Ja, das ist eine ergänzende Serie von Essay, vor allem solche, die ich für die Weltwoche in Zürich in den letzten drei Jahren geschrieben habe. Und endlich kann ich über meine neun Horrormonate in Saudi-Arabien sprechen, über meine Familie, über meine Zeit als Tomaten-Königin in New Jersey. Die meisten sind leichter Stoff, einige sehr ernst. Der Text über Saudi-Arabien entstand voller Wut. Ich habe ihn runtergeschrieben, korrigiert und abgeschickt. Und dann habe ich gedacht: mein Gott, die Leute, die das Lesen, müssen denken, ich bin eine bis zu den Zähnen bewaffnete Verrückte, weil mein ganzer Hass, mein Frust und meine Angst in diesem Essay herauskommen."

Na, bitte, geht doch. Brunetti könnte davon ja auch mal. Böse werden kann sie also doch, das stimmt milde. Und überhaupt ist diese Donna Leon viel charmanter und viel lebendiger als vermutet, wie gesagt, sie sollte diesem Brunetti mal etwas Dampf machen und Diogenes sollte ein neues Foto spendieren. Eins wo Donna Leon lacht, wie im richtigen Leben!