Auf den Spuren der Zedern-Mafia

Von Marc Dugge |
Das Holz der marokkanischen Atlas-Zeder eignet sich hervorragend für Schnitzereien oder die Möbelproduktion. Ihr Bestand wird immer knapper, obwohl der Staat die Abholzung schon reglementiert hat. Illegale Baumfäller lassen sich davon nicht abschrecken.
"Alles, was ich will, ist, dass Gerechtigkeit herrscht. Ich bin bereit, dafür durchs Feuer zu gehen. Ich habe keine Angst. Dieser Wald muss gerettet werden."

Sein Leben war so ruhig, so friedlich. Das hat sich geändert - und er ist nicht mal traurig darüber. Ait Aziz ist Waldaufseher in Tikajouine, einem abgelegenen Dorf in den Höhen des Mittleren Atlas. Ein großer, schlanker Berber von 45 Jahren mit hagerem Gesicht und blauem Turban. Sein Blick strahlt ebenso viel Ruhe und Erhabenheit aus wie eine alte Zeder. Ait Aziz bringt so leicht nichts aus der Fassung.

"Man hat Stimmung gegen mich gemacht. Nachts warfen einige Leute große Steine gegen mein Haus und zertrümmerten eine Fensterscheibe. Glücklicherweise ist niemand von uns verletzt worden. Dann haben sie versucht, mein Haus niederzubrennen, das konnten wir aber verhindern. Und dann wurde ich in einem anonymen Brief bezichtigt, den König beleidigt zu haben."

Von diesem Vorwurf wurde Ait Aziz zwar mittlerweile freigesprochen. Ein Glück für ihn, denn den König zu beleidigen, ist in Marokko eine schwere Straftat. Doch er hat zu spüren bekommen, mit welchen Gegnern er es aufgenommen hat. Gegnern, die teilweise hoch in der Politik – und teilweise seine Nachbarn sind.

Ein Teil des Dorfes steht hinter Ait Aziz. Andere hassen ihn. Denn in Tikajouine leben viele, die mit der Mafia gemeinsame Sache machen. Immer wieder hätten ihm die illegalen Holzfäller Geld angeboten, sagt er. Damit er schweigt und keinen Wirbel macht. Doch er habe sich nicht bestechen lassen. Der Wald ist die einzige Lebensgrundlage von uns, sagt Ait Aziz. Und wird deswegen von Naturschützern gern als der Robin Hood von Marokko gefeiert.

Ait Aziz will uns seinen Wald zeigen. Also müssen wir hoch ins Gebirge, denn Zedern wachsen erst ab einer Höhe von etwa 1500 Metern. Nachbar Rachid stellt das Fahrzeug: Einen Peugeot 504 aus den 70er Jahren, fast völlig verrostet und eher ein alter Blechhaufen als ein Auto. Das Armaturenbrett existiert nur noch teilweise, im Bodenblech klaffen Löcher, die Türen gehen gelegentlich von selbst auf.

Ich kralle mich am Sitz fest, während der Wagen sich langsam über den Schotterweg quält. Das Auto: Ein Symbol für die Armut von Tikajouine. Ein Dorf, in dem es keine Landwirtschaft, keinen Ackerbau gibt, geschweige denn irgendeine Industrie. Wo die Menschen vor allem vom Wald leben, der immer kleiner wird. Die kahlen Hügel links und rechts – sie waren noch vor wenigen Jahren mit Bäumen bedeckt.

Nach ein paar Kilometern versagt der Motor. Eine Ziegenherde umringt das Auto. Rachid bekommt den Wagen nicht wieder zum Laufen. Wir müssen den Wagen stehenlassen und zu Fuß weiterlaufen.

Vor mir liegt nun der Zedernwald: Majestätische Bäume, 30-40 Meter hoch, hunderte Jahre alt, die Luft duftet würzig nach Holz. Der Anblick erinnert eher an Kanada als an Marokko. Immer noch gibt es 134000 Hektar Zedernwald im Altas, doch jedes Jahr sind es ein paar Tausend Hektar weniger.

Eine gewisse Anzahl an Zedern darf legal geschlagen werden – doch die meisten werden von illegalen Holzfällern abgesägt. Förster Abdelwahad Mahmoudi soll genau das verhindern. Mit seinem dicken Schnurrbart sieht er ein bisschen so aus wie die marokkanische Variante von Josef Stalin. Mahmoudi deutet auf einen Holzstapel neben dem Haus. Illegales Holz.

"Ich arbeite erst seit 10 Monaten hier, dieses Holz wurde schon vor mir beschlagnahmt. Normalerweise laufen solche Aktionen so ab: Wenn ich nachts durch den Wald streife und den Lärm der Holzfäller höre, rufe ich den Oberförster an, damit er mir die Erlaubnis gibt, einzuschreiten. Wenn die Holzfäller mich bemerken, fliehen sie. Oft lassen sie alles stehen und liegen, das beschlagnahmen wir dann."

Natürlich nur, wenn Förster Mahmoudi schnell genug ist. Denn oft sind die Holzfäller schon von Komplizen mit dem Handy gewarnt worden. Und haben rechtzeitig die Flucht ergriffen, zusammen mit ihren schwer bepackten Maultieren.

Förster Mahmoudi öffnet den Schrank in seinem Büro. Darin: Große Sägen, Hacken, große Holzhammer. Instrumente der Holzfäller. Die Täter selbst hat er nicht mehr zu fassen bekommen, sagt er. Kein Wunder, denn sie haben viele Komplizen: Unter ihnen Polizisten, andere Waldaufseher, Handwerker, Politiker, Richter. Sie alle sorgen dafür, dass das Geschäft mit den illegalen Bäumen weitergeht. Denn es lohnt sich.

Edelhotels in Marrakesch dekorieren ihre Zimmer damit, reiche Leute lassen sich Möbel daraus zimmern. Ein Kubikmeter hochwertiges Zedernholz erzielt Preise von bis zu 1800 Euro. So machen auch die illegalen Holzfäller einen guten Schnitt: Pro Nacht können sie schon mal 250 Euro verdienen – das Monatsgehalt von Förster Mahmoudi.

Aziz Akkaoui von der Menschenrechtsorganisation AMDH kann verstehen, warum die Bürger von Tikajouine auf Zedern-Jagd gehen. Die Schuld dafür trage er dem Staat: Der habe vor Jahren versprochen, dass 80% der Einnahmen aus dem legalen Holzabbau der Gemeinde zugute kommen. Nichts sei passiert. Tatsächlich gibt es hier noch nicht einmal einen Arzt – und die Stadt ist weit.

"Die Menschen haben sich dann gesagt: Na gut, der Staat stiehlt uns auf legale Weise unseren Wald - dann stehlen wir ihn doch lieber selbst! Manche Holzfäller tragen Waffen, sie sind bereit, zu töten. Sie sagen: Der Wald ist unsere einzige Lebensgrundlage. Wenn ihr uns diese raubt, dann sind wir bereit zu sterben."

Klar ist aber auch: Je mehr Zedern fallen, je mehr Bäume illegal abgeholzt werden, desto schwerer wird das Leben hier werden. Für Aziz ist die Zeder ein Baum jenseits der Zeit. Er deutet auf einen Hain junger Zedern. Sie sind drei Meter hoch. 40 Jahre haben sie gebraucht, um diese drei Meter zu erreichen. Dann zeigt Aziz auf einen Baumstumpf. Hier stand bis vor kurzem noch ein 30 Meter Baum, über 400 Jahre alt. In nicht mal zehn Minuten war er Geschichte.
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