Auf den Spuren der Schriftsteller

James Joyce und Friedrich Dürrenmatt, Gottfried Keller und die Familie Mann - sie alle lebten kürzer oder länger in Zürich und haben ihre Spuren hinterlassen. Auf denen ist die in Zürich geborene Journalistin Esther Scheidegger durch die Stadt gelaufen. Sie hat sieben Spaziergänge zusammengestellt, die - en passant - Geschichte und Geschichten erzählen.
"Genießen Sie das Leben jetzt; es wird nicht immer fortgesetzt!" Diesen Reim schuf Fridolin Tschudi, Autor der "Weltwoche". Er schrieb Libretti und Hörspiele, Texte für das Schweizer Kabarett und Chansons. Der 1912 geborene Schriftsteller Tschudi liegt seit 1966 auf dem Zürcher Friedhof Fluntern im Familiengrab Nummer 81059, in der Nachbarschaft von weitaus bekannteren Toten, wie zum Beispiel James Joyce oder Elias Canetti. Esther Scheidegger, der wir die Bekanntschaft mit Fridolin Tschudi verdanken, hat in seinem Werk ein Gedicht entdeckt, das den Titel "Literarische Lenzgefühle" trägt:

"Die lauen Tulpennächte sind wie schwerer Wein im Blut. Mir ist so Huch und Wedekind und Maupassant zumut.
Ich fühle mich ganz Bergengrün, Jack London und Karl May und - der Vergleich ist freilich kühn - sogar Christopher Fry.
Der Frühling macht mich Bernanos, und zwar mit aller Kraft, sowie fast etwas Aischylos und Lasker-Schülerhaft.
Pardon, falls ich zu Werfel war und allzu Peter Bamm, statt viel zu wenig offenbar Le Fort und August Stramm.
Die Hyazinthennächte sind wie süßes Gift im Blut. Mir ist so wunderlich: halb Strind-, halb Lichtenberg zumut."


"Mir gefällt halt auch, dass er einen Haufen von Autoren, die ich sehr schätze, da verewigt hat."

Die Zürcherin Esther Scheidegger hat viele Jahre als Lokaljournalistin für den "Tages-Anzeiger" gearbeitet. Als weitere Quelle ihres Wissens nennt sie:

"Meinen verstorbenen Mann, der Buchhändler war, und der mich mit seinen vielfältigen Kontakten und Interessen wirklich sehr gefördert hat. Das sag ich gerne. Und meine Wohnung liegt auch inmitten - lag, nein, ich muss sagen: lag - inmitten von Buchhandlungen: Die berühmte Buchhandlung Oprecht war da, die es nicht mehr gibt, es gab in der Kirchgasse eine Buchhandlung, die auch nicht mehr da ist. Das Karolinum lag gegenüber, die erste Schule für - damals nur - junge Männer, die mehr oder weniger von Karl dem Großen gestiftet wurde, dem wir auch das Großmünster verdanken, das Wahrzeichen von Zürich."

Zürich, gesehen aus der Perspektive einer Eingeborenen, ist mehr als die so vielfältigen Personen, Orte und Ereignisse, die sich seit der Gründung einer keltischen Siedlung an der Limmat ebendort zusammenballten: Thomas Mann am Kilchberg, Ulrich von Hutten auf der Insel Ufenau, das Café Sprüngli mitten auf der edlen Bahnhofstraße am noch edleren Paradeplatz oder das Baur au Lac, gegründet von österreichischen Gastwirt Johannes Baur, das Nobelhotel aller Nobelhotels. Oder die ruhigen Wohnstraßen mit den behaglichen Villen am Hang des bürgerlichen Zürichbergs. Dort wohnen heute noch berühmte Menschen. Über die erfahren wir allerdings gar nichts in diesem Buch. Esther Scheidegger:

"Das ist das Konzept der Reihe dieser Arche-Spaziergänge: Man geht auf den Spuren von Verstorbenen."

Was die sieben Spaziergänge auch unterhaltend und lehrreich macht. Da geht es am Cabaret Voltaire vorbei und an Lenins Wohnhaus. Wir sitzen in den Cafés und Restaurants an den Tischen, an denen einst die Berühmten aus Literatur, Theater und Bildender Kunst schmausten und tranken. Die Stadt mitten in Europa blieb im Zweiten Weltkrieg unzerstört, und viele der Orte, Wohnungen und Hotels sind noch vorhanden, wenn auch manchmal in anderer Funktion. Dort, wo das Geburtshaus der Barbara Schulthess stand, die mit Goethe Briefe wechselte und sich um die schöngeistige Bildung ihrer Töchter höchstpersönlich kümmerte, gibt es eine Plakette am Haus.

"Da steht der Besucher vor einem Haus, was sehr schön aussieht, was auch unter Denkmalschutz ist. Aber hinein kann er nicht mehr, weil es jetzt privat ist."

Dort war einmal eine Buchhandlung, in der es auch ein Zimmer gab, in dem an die Bäbe genannte Bildungsbürgerin erinnert wurde. Jetzt wird im Parterre-Geschäft Whisky verkauft, "The world of liquid pearls". In die benachbarte ehemalige Film-Buchhandlung ist "Mister Pinocchio" eingezogen, mit Kinderbüchern, Spielzeug und Zubehör.

Eine von solchen Überraschungen überwiegend freie Route geht über den Zürichsee, der auch ohne Tagestour und Bildungsziel seine Besucher reich beschenkt mit atemraubenden Blicken auf die Bergwelt und friedlicher Erholung. Esther Scheidegger schlägt einen Spaziergang "auf dem Zürichsee" vor. Man kommt dabei von der Familie Mann zu Gottfried Keller und Annemarie Schwarzenbach und wendet sich auf der Insel Ufenau, auf der Ulrich von Hutten begraben liegt, wieder gen Stadt Zürich.

"Man kann sich auch nur nach Kilchberg begeben, kann dort verweilen, oder man kann zur Ufenau fahren. Das ist auf alle Fälle nicht nur für Literaturliebhaber ein großes Vergnügen."

Es sind Entdeckungen zu machen. Esther Scheidegger hat viel zu erzählen auf ihren sieben Spaziergängen durch die Altstadt, über den Zürichberg und rund um den Zürichsee. Das Buch ist klar gegliedert. Die Spaziergänge sind in angemessener Zeit zu bewältigen, und immer zwischendurch kann man Station machen in den Restaurants, Beizen und Cafés, in denen dann neben der bekannt grundanständigen Schweizer Küche allerhand internationale kulinarische Entdeckungen zu machen sind.

Rezensiert von Jens Brüning

Esther Scheidegger: Spaziergänge durch das Zürich der Literaten und Künstler,
Arche Literatur Verlag, Zürich-Hamburg 2008, 192 Seiten, 14,80 Euro