Auf den Spuren der menschlichen Gier

Daniel Tyradellis im Gespräch mit Britta Bürger |
Ab dem 7. Juli lädt das Deutschen Hygiene-Museum auf die "MS Reichtum" ein. An Bord des protzigen Dampfers geht es um die Frage, warum der Mensch nie zufrieden ist mit dem, was er hat. Kurator und Philosoph Daniel Tyradellis glaubt nicht, dass der zunehmende Reichtum die Armen ärmer mache.
Britta Bürger: Die Lebenswelten von Reichen und Armen scheinen kaum noch etwas miteinander zu tun zu haben. Die Kluft wird weltweit immer größer. Warum nur steht der Wunsch nach finanziellem Wohlstand für so viele Menschen im Vordergrund ihrer Bestrebungen? Man weiß doch spätestens, seit Rio Reiser es besungen hat: Geld macht nicht glücklich, es beruhigt nur die Nerven. Der Kurator und Philosoph Daniel Tyradellis hat für das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden eine neue Sonderausstellung zum Thema konzipiert: "Reichtum mehr als genug". Ich grüße Sie, Herr Tyradellis!

Daniel Tyradellis: Guten Tag!

Bürger: Wie definiert unsere Gesellschaft eigentlich Reichtum und wie definieren Sie ihn in der Ausstellung?

Tyradellis: Der Untertitel zeigt ja schon ein bisschen die Richtung an. Es geht um das Mehr-als-genug, also Reichtum beginnt da, wo man das Reich des Notwendigen verlässt und sich nur noch in Sphären bewegt, wo man relativ frei und willkürlich darüber entscheiden kann, was und wie man handeln möchte. Ich denke, das ist ganz wesentlich im Hinterkopf zu haben: Reichtum ist immer auch eine Chiffre für Überschuss.

Bürger: Warum träumen so viele Menschen immer noch von Luxus, Wohlstand, Sicherheit – und damit meine ich jetzt nicht nur diejenigen, die Hunger leiden, sondern auch Leute mit einem Einkommen, von dem sie eigentlich ganz normal leben können. Warum also träumen auch diejenigen, die genug haben, vom Mehr-als-genug?

Tyradellis: Ja, weil genug für den Menschen oftmals eben nicht genug ist. Es scheint doch irgendwie tief im Menschen verankert zu sein, dass man halt nach diesem Mehr-als giert und man auch nicht so ohne Weiteres wüsste, was man denn mit seiner Zeit anfangen sollte, wenn es nicht diese Option gäbe, das Leben wäre noch steigerbar. Man muss sich einfach klarmachen, wenn es genug ist, scheinbar, dann haben wir das Problem, was machen wir denn jetzt eigentlich, was soll das hier alles.

Der Reichtum ist eine der wenigen verbliebenen Sinnfiguren, die wir so haben. Das heißt, wenn ich noch nicht so ganz glücklich bin im Leben, dann liegt das daran, dass ich eben noch nicht reich genug bin. Und so gibt man einem Leben eine Richtung, unabhängig davon, ob es denn wirklich wahr ist, dass der eingetretene Reichtum dann auch dieses Sinnerlebnis beschert, das man sich da erträumt.

Bürger: Würden Sie sagen tatsächlich, das ist eine Sinnfigur oder ist es ein Sinnersatz?

Tyradellis: Ich denke mal, wir leben in Zeiten, wo man das nicht mehr unterscheiden kann. Es ist eine Sinnfigur, weil es sehr, sehr, sehr vielen Menschen eine Richtung in ihrem Leben angibt. Wenn der Sinn dann eintritt, also will sagen, man ist reich, dann merkt man meistens, dass er dann doch nicht so das einlöst, was man sich davon versprochen hat. Da er aber in den meisten Fällen nur ein Motiv bleibt, das in der Ferne ist, funktioniert es relativ gut, einfach als Gelenk zur Organisation von Menschen und ihren Träumen und Energien.

Bürger: Dabei hängt für die Menschen, die im Reichtum leben, daran ja nicht nur das pure Glück, sondern auch genau das Gegenteil, die Angst vor Verlust, vor Überforderung, die Last, ja, der Verantwortung auch, oder?

Tyradellis: Ja, man unterschätzt das, denke ich, auch oft. Man polarisiert gerne und sagt, die Armen und die Reichen und unterstellt dann, dass dieser Reichtum eben scheinbar eine Sorglosigkeit mit sich bringen würde. Aber in der Realität sind es ja schleichende Prozesse. Man wird langsam vermögender und reicher und dadurch ändert sich sehr viel im Leben und man muss sich dann auch mit den damit verbundenen Problemen auseinandersetzen und das kann nicht jeder gleich gut.

Wir neigen vielleicht ein bisschen zu sehr dazu zu sagen, na ja, ach Gott, das sind jetzt Luxusprobleme, die die Reichen da haben. Aber das kann auch existenziell werden und etwa eben sehr, sehr große Ängste vor seiner Umwelt produzieren und eine Verzerrung auch des Sozialen, weil man gar nicht mehr weiß, mögen die Leute mich eigentlich, weil ich ich bin, oder mögen sie nur mein Geld. Und das sind schon Probleme, die einem wirklich zu schaffen machen können.

Bürger: Reichtum ist ja nicht nur ein Freibrief für schrankenlosen Genuss, sondern mit ihm geht auch die Forderung nach Verantwortung in unserer Gesellschaft einher. Wie wichtig sind also die Reichen für den Bestand unserer Gesellschaft?

Tyradellis: Da sprechen Sie einen wirklich wichtigen Punkt an, weil man muss sich klarmachen, in Deutschland ist etwa jeder 100. Mensch ein Millionär. Und man fragt sich ein bisschen, wo sind die denn alle – man redet auch selten so offensiv darüber – und die Zahl wird sich noch vergrößern. Das heißt, diese Menschen haben wirklich einen signifikanten Einfluss auf diese Gesellschaft und das kann auch positiv sein.

Der Aspekt der Verantwortung ist für viele Reiche auch wirklich ein wichtiger Punkt. Zugleich ist aber die öffentliche Debatte und auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Reichen völlig unterbelichtet im Vergleich zur Armutsforschung etwa. Das heißt, wir wissen gar nicht so richtig, was machen die eigentlich und mit welchen Fragen setzen die sich praktisch auseinander oder wo können sich auch Reiche nach orientieren in der Frage, was es heißt, Verantwortung zu leben. Es kann ja nicht nur darum gehen, seinen Reichtum wieder abzugeben und dadurch per se Gerechtigkeit herzustellen, sondern es geht auch um die Frage, wie gehe ich aktiv mit meinem Reichtum so um, dass die Gesellschaft als solche davon profitieren kann.

Bürger: Das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden fragt nach dem Wert von Reichtum in unserer Gesellschaft. Kurator dieser neuen Sonderausstellung ist Daniel Tyradellis. Mit ihm sind wir im Gespräch hier im Deutschlandradio Kultur. Ihr Gedankengebäude zum Thema Reichtum, das haben wir jetzt so ein bisschen schon aufgebaut, bleibt die Frage und auch Ihre Aufgabe, dafür jetzt Räume und Bilder zu finden. Sie haben den Reichtum im Museum in einem Kreuzfahrtschiff verortet, einem Luxusliner, durch den der Ausstellungsparcours im Deutschen Hygiene-Museum führt. Ich vermute mal, die MS Reichtum ist kein wirkliches Schiff, oder?

Tyradellis: Na, wenn Sie an Bord sind, können Sie es, glaube ich, schon manchmal meinen, Sie seien auf einem echten Schiff, weil wenn Sie aus den Bullaugen herausschauen, schwankt es, Sie hören auch das Stampfen des Motors, aber in der Tat, das Ding wird sich nicht bewegen, es ist fest im Hygiene-Museum verankert.

Bürger: In jedem dieser Räume wird ein Aspekt des Reichtums verhandelt. Geben Sie uns ein, zwei Beispiele?

Tyradellis: Na ja, Sie gehen an Bord und erfahren dort erst einmal ein bisschen, wo wir als Deutschland global stehen, und dann kommen Sie etwa in eine Luxuskabine, wo wir uns mit dem Kernproblem auseinandersetzen, also das Problem von Einkommen und Vermögen. Während in Deutschland über lange Zeit das Vermögen und die Besitzverhältnisse sehr stark über die Besteuerung von Arbeit geregelt wurden, wird heute das Vermögen immer wichtiger. Darauf ist unsere Gesellschaft schlecht vorbereitet, das wird in der Luxuskabine verhandelt.

Aber es gibt da etwa auch einen Ballsaal, der sich mit der vermeintlichen oder tatsächlichen Erfolgsgeschichte Deutschlands auseinandersetzt seit den Nachkriegsjahren oder ein Sonnendeck, wo man sich die Frage stellt: Was mach ich denn jetzt eigentlich, wenn der Reichtum eingetreten ist, womit verbringe ich meine Zeit und wofür investiere ich sie? Es gibt aber auch ein Krankenzimmer und es gibt eine Kombüse, es gibt eine Brücke, die danach fragt: Wer steuert das Schiff eigentlich, wohin fährt es? Und es gibt nicht zuletzt einen Maschinenraum, der fragt: Und was treibt das hier alles an?

Bürger: Es gibt also diese Räume, Sie sagen, in denen werden die Themen verhandelt, aber es gibt darüber hinaus wohl keine klassischen Exponate, keine Diademe und Roben, keinen Prunk und Protz. Wie machen Sie den Reichtum denn auch sinnlich oder hat der gar keine sinnliche Ebene?

Tyradellis: Ich denke, das ganze Schiff ist etwas protzig, alle Gänge sind in Gold gehalten, der Titanic nachempfunden. Wir haben eine Shoppingmall, in der wir sehr exemplarisch mit Luxusartikeln operieren und ein bisschen von deren Fetischfunktion und deren Faszination erzählen. Also ich denke, wir haben schon diese Prunkseite – auch im Ballsaal, wo wir ganz viel mit Filmausschnitten arbeiten eben von solchen luxuriösen Szenen an Bord von Luxuskreuzdampfern –, aber tatsächlich haben wir als solches nur eine Handvoll originaler Exponate.

Das Allermeiste wird durch Inszenierung insbesondere auch von statistischen Informationen dargestellt. Wir haben hier wirklich mal versucht, Statistik sehr sinnlich erlebbar zu machen, indem wir das, was in diesen Räumen üblicherweise ist, also zum Beispiel im Ballsaal gibt es Torten, und diese Torten sind dann eben tatsächlich Darstellung von Grafiken, von Zusammenhängen, die man kennen sollte, über arm und reich oder Sektgläser, die die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts darstellen, oder Kofferstapel, die zeigen, wie das Vermögen in Deutschland verteilt ist.

So kann der Besucher in jedem Raum auch wieder ganz neu und spielerisch entdecken, was für Zusammenhänge sich hinter der Inszenierung verbergen, wobei mir wichtig ist zu sagen, dass diese Statistiken durchaus abgründig sind. Auf den ersten Blick scheinen sie ein bestimmtes Vorurteil zu bestätigen, auf den zweiten Blick – das erfolgt dann meistens durch ergänzenden Informationen innerhalb dieser Statistik – merkt man, hoppsa, das ist ja schwieriger, als ich dachte. Und schließlich gibt es eine dritte Ebene, die versucht klarzumachen, wie es aus einer gesellschaftlichen und nicht aus einer individuellen Perspektive sich noch einmal ganz anders darstellt.

Bürger: Und diese Vorurteile, die Sie gerade genannt haben, was ist damit gemeint: dass man sich den Reichtum niemals ehrlich verschafft?

Tyradellis: Das wäre ein Vorurteil, ja. Aber es ist, glaube ich, auch ein Vorurteil, wenn wir heute etwa von der Arm-Reich-Schere sprechen, dass die immer größer wird. Dann stimmt das auf der einen Seite, auf der anderen Seite muss man auch sagen, wenn man die Zahlen genau liest, es stimmt, dass die Reichen immer reicher werden, aber die Armen werden auch immer reicher. Und das Bild, das dadurch, dass die Reichen reicher würden, die Armen automatisch ärmer würden, stimmt so einfach nicht. Das muss man schon komplexer betrachten. Es ist aber ein klassisches Vorurteil, was auch gerade heute in der Mediensituation und vielleicht zum Teil sogar politisch gewollt doch etwas verzerrt dargestellt wird.

Bürger: "Reichtum – mehr als genug". Ab morgen ist die Ausstellung im Dresdener Hygiene-Museum zu sehen, bis zum 10. November, kuratiert von Daniel Tyradellis. Ich danke Ihnen sehr fürs Gespräch!

Tyradellis: Ich danke Ihnen!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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