Auf den Spuren der Indianer
In seinem neuen Sachbuch beschreibt der Romancier Thomas Jeier die Ansiedlung der indianischen Völker in Nordamerika. Dabei geht er vor allem auf die zahlreichen Schlachten und elenden Menschenrechtsverletzungen der Weißen gegen die Ureinwohner ein.
In zehn Kapiteln erzählt Jeier die Geschichte der nordamerikanischen Indianer. Auch wenn das Buch ehrlicherweise "eine" Geschichte der Indianer heißt und nicht "die", bleibt es ein ehrgeiziges Unterfangen – beschäftigen sich doch die bisher erhältlichen Nachschlagewerke und Kompendien eher mit einzelnen Stämmen oder Landstrichen, in denen die "First Americans" Kultur und Geschichte bis heute prägen.
Akribisch berichtet Jeier von der Ansiedlung der indianischen Völker – und geradezu leidenschaftlich beteiligt er sich an der Debatte, ob die amerikanischen Ureinwohner mit denen Mesoamerikas verwandt seien (die Antwort fällt positiv aus); doch dann tut sich eine große Lücke auf: Wie es jedoch zur Stammesbildung kam, zur Heranbildung der unterschiedlichen Kulturen und Sprachen, dazu schweigt Jeier. In den Kapiteln, die blumige Überschriften tragen wie "Die Macht der Sonne" oder "Demokratie der Wildnis" werden vielmehr die zahlreichen Schlachten und elenden Menschenrechtsverletzungen der Weißen gegen die Indianer, aber auch die Kriege der Natives untereinander aufgezählt. Das ermüdet schnell, weil Jeier keinen roten Faden in seinem Erzählgewebe findet. Dem Buch fehlt es entscheidend entweder an empathisch geschilderten Protagonisten – oder an einem kühl-pragmatischen Überblick über die Datenmenge.
Leider wird auch die Hoffnung, dass ein Schriftsteller die Geschichte der Indianer besser erzählen könnte als ein reiner Wissenschaftler, bitter enttäuscht: So sympathisch es ist – und in Deutschland immer noch ungewöhnlich –, dass ein Romancier auf dem Feld seiner fiktionalen Leidenschaft auch Sachbücher schreibt (und umgekehrt), so wenig kann hier die eine Identität Jeiers der anderen helfen: Es ist geradezu schockierend, wie unbeholfen Jeier formuliert.
Das Buch leidet vor allem an einem gestelzten Nominalstil: So heißt es, "Unterdrückung, Marginalisierung, Enteignung und Diskriminierung" bestimmten das Leben der Indianer im zweiten Jahrtausend – übrigens auch, ohne dass diese Begriffe sauber unterschieden würden. Ein Scharmützel wird zum Massaker "hochstilisiert", Gouverneuren ist "an der Verwirklichung ihres Traums gelegen", die Franzosen im 17. Jahrhundert tun vieles, "um verlustreiche Auseinandersetzungen zu umgehen". Das ist grammatisch umständlich, stilistisch blass und sprachlich hilflos.
Manchmal beschwört Jeier dadurch sogar gefährliche Missverständnisse herauf, zum Beispiel wenn er im fünften Kapitel gegen den Mythos von der angeblich "unberührten Natur" anschreibt und vermerkt, im 15. Jahrhundert sei das Grasland dichter bevölkert gewesen – und damit ökologisch gefährdeter – als im 18. Jahrhundert; Jeier zitiert zustimmend einen Wissenschaftler aus Wisconsin: "Erst nachdem sich die Bevölkerung wegen der aus der Alten Welt eingeschleppten Krankheiten verringert hatte, erholte sich die Natur in vielen Gegenden." Sollten die Indianer also den weißen Eroberern dankbar für die eingeschleppte Grippe sein?
Streckenweise wirkt das Buch einfach so, als habe der Autor zu lange in den USA gelebt, um im Deutschen noch heimisch zu sein. Das wäre dann eine Aufgabe für einen guten Lektor gewesen. Noch besser: Man hätte gleich einen guten Übersetzer engagiert, denn es gibt ausgezeichnete amerikanische Bücher zur Geschichte der Indianer. Stephen Trimbles aktuelles Buch "The People" über den Südwesten wartet aber ebenso auf eine Übersetzung wie solche Klassiker wie Helen Hunt "Century of Dishonor". Das ist seit 1883 auf dem Markt.
Besprochen von Gabriela Jaskulla
Thomas Jeier: Die ersten Amerikaner. Eine Geschichte der Indianer
DVA, München 2011
352 Seiten, 22,95 Euro
Akribisch berichtet Jeier von der Ansiedlung der indianischen Völker – und geradezu leidenschaftlich beteiligt er sich an der Debatte, ob die amerikanischen Ureinwohner mit denen Mesoamerikas verwandt seien (die Antwort fällt positiv aus); doch dann tut sich eine große Lücke auf: Wie es jedoch zur Stammesbildung kam, zur Heranbildung der unterschiedlichen Kulturen und Sprachen, dazu schweigt Jeier. In den Kapiteln, die blumige Überschriften tragen wie "Die Macht der Sonne" oder "Demokratie der Wildnis" werden vielmehr die zahlreichen Schlachten und elenden Menschenrechtsverletzungen der Weißen gegen die Indianer, aber auch die Kriege der Natives untereinander aufgezählt. Das ermüdet schnell, weil Jeier keinen roten Faden in seinem Erzählgewebe findet. Dem Buch fehlt es entscheidend entweder an empathisch geschilderten Protagonisten – oder an einem kühl-pragmatischen Überblick über die Datenmenge.
Leider wird auch die Hoffnung, dass ein Schriftsteller die Geschichte der Indianer besser erzählen könnte als ein reiner Wissenschaftler, bitter enttäuscht: So sympathisch es ist – und in Deutschland immer noch ungewöhnlich –, dass ein Romancier auf dem Feld seiner fiktionalen Leidenschaft auch Sachbücher schreibt (und umgekehrt), so wenig kann hier die eine Identität Jeiers der anderen helfen: Es ist geradezu schockierend, wie unbeholfen Jeier formuliert.
Das Buch leidet vor allem an einem gestelzten Nominalstil: So heißt es, "Unterdrückung, Marginalisierung, Enteignung und Diskriminierung" bestimmten das Leben der Indianer im zweiten Jahrtausend – übrigens auch, ohne dass diese Begriffe sauber unterschieden würden. Ein Scharmützel wird zum Massaker "hochstilisiert", Gouverneuren ist "an der Verwirklichung ihres Traums gelegen", die Franzosen im 17. Jahrhundert tun vieles, "um verlustreiche Auseinandersetzungen zu umgehen". Das ist grammatisch umständlich, stilistisch blass und sprachlich hilflos.
Manchmal beschwört Jeier dadurch sogar gefährliche Missverständnisse herauf, zum Beispiel wenn er im fünften Kapitel gegen den Mythos von der angeblich "unberührten Natur" anschreibt und vermerkt, im 15. Jahrhundert sei das Grasland dichter bevölkert gewesen – und damit ökologisch gefährdeter – als im 18. Jahrhundert; Jeier zitiert zustimmend einen Wissenschaftler aus Wisconsin: "Erst nachdem sich die Bevölkerung wegen der aus der Alten Welt eingeschleppten Krankheiten verringert hatte, erholte sich die Natur in vielen Gegenden." Sollten die Indianer also den weißen Eroberern dankbar für die eingeschleppte Grippe sein?
Streckenweise wirkt das Buch einfach so, als habe der Autor zu lange in den USA gelebt, um im Deutschen noch heimisch zu sein. Das wäre dann eine Aufgabe für einen guten Lektor gewesen. Noch besser: Man hätte gleich einen guten Übersetzer engagiert, denn es gibt ausgezeichnete amerikanische Bücher zur Geschichte der Indianer. Stephen Trimbles aktuelles Buch "The People" über den Südwesten wartet aber ebenso auf eine Übersetzung wie solche Klassiker wie Helen Hunt "Century of Dishonor". Das ist seit 1883 auf dem Markt.
Besprochen von Gabriela Jaskulla
Thomas Jeier: Die ersten Amerikaner. Eine Geschichte der Indianer
DVA, München 2011
352 Seiten, 22,95 Euro