Auf den Spuren der Flüchtlinge

Von Von Dieter Wulf |
Vor rund 550 Jahren verließen über Zweihunderttausend Protestanten Frankreich, um ihrem Glauben nicht abschwören zu müssen. Seit zwei Jahren nun erinnert ein Wanderweg an diese große Flüchtlingsbewegung. Über 1800 Kilometer weit führt er von Südostfrankreich bis nach Hessen.
"Wir sind in Bourdoux. Es ist ein kleines Dorf in Südfrankreich neben dem Gebirge. Sie sehen hier Gebirge. Es ist ein Platz, wo man Zuflucht, Sicherheit finden konnte."

Erklärt mir Paul Castelnau, der viele Jahre hier evangelischer Pfarrer war. Wir sind zwar in Südfrankreich, die Weinbauregion Bordeaux aber ist Hunderte Kilometer entfernt. Das kleine Bergdorf Bourdoux, mit nur einigen Hundert Einwohnern, liegt in der Provinz Drôme, am Rand der französischen Alpen. Hier in dieser abgelegenen Gegend, weit entfernt von der Machtzentrale Paris konnten sich die Lehren der Reformatoren Luther und Calvin besonders schnell ausbreiten, meint Paul Castelnau:

"So vielleicht waren die Leute hier etwas freier, um Hugenotten zu bleiben. Dieses Dorf ist insgesamt ziemlich evangelisch im 16. Jahrhundert; nachher mussten natürlich alle Protestanten katholisch werden - es war Pflicht."

Nach vielen Religionskriegen hatte der französische König Henri der Vierte 1598 das sogenannte Edikt von Nantes erlassen, mit dem er den calvinistischen Protestanten im katholischen Frankreich religiöse Toleranz gewährte. Ein Religionsfriede, der dann knapp hundert Jahre hielt.

Castelnau: "Man konnte Kirchen bauen, evangelischen Kirche bauen bis Ludwig der vierzehnte 1685 gesagt hat: keine Kirche mehr, kein Pfarrer mehr. Also gab es keine evangelischen Leute mehr. Alle Leute sollen katholisch werden und es war verboten, in dieser Zeit Frankreich zu verlassen."

Die evangelischen Pfarrer mussten das Land verlassen. Die protestantischen Gemeindemitglieder nannte man "Neukatholiken". Ihre Kinder wurden katholisch getauft, wer nicht floh, musste sich anpassen. Offiziell war man Katholik, im Herzen aber blieben fast alle Protestanten, erklärt Paul Castelnau und deutet auf kleine Einfriedungen, die auf vielen Feldern zu sehen sind:

"Es gibt überall hier kleine Friedhöfe. Einige hier drüben. Und das zeigt: Die Leute haben getan, als seien sie Katholiken. Für Taufe, denn man musste die Taufe bekommen, um zu leben, um einen Namen zu haben, aber wenn sie gestorben sind, haben sie den katholischen Priester nicht gefragt."

Auf dem Sterbebett bekannten sich die Protestanten zu ihrer Überzeugung. Man beerdigte sie ohne den katholischen Priester:

"Jeder Bauernhof hat so einen kleinen Friedhof. Das zeigt, dass jede Familie evangelisch geblieben ist. Obwohl sie so taten, als seien sie katholisch."

Viele der Jüngeren, besonders Handwerker und besser Gebildete flohen auf verborgenen Wegen in das damals von Calvin geprägte Genf, um ihren Glauben nicht verraten zu müssen. Man schätzt, dass weit über zweihunderttausend Franzosen das Land verließen, damals etwa ein Zehntel der Bevölkerung.

Johannes Melsen geht mit mir in den Tempel, wie die Kirchen der reformierten Christen in Frankreich genannt werden. Er hatte vor einigen Jahren ein Theaterstück über die Flucht der Hugenotten geschrieben.

Aus dem Theaterstück entstand dann die Idee, einen Wanderweg entlang der historischen Fluchtwege entstehen zu lassen. Wie verliefen diese Routen aber genau? Historische Wegbeschreibungen gibt es so gut wie gar nicht. Die Fluchtwege sollten ja geheim bleiben. Aufschluss brachten die heute noch erhaltenen Akten der Gendarmerie, erklärt Johannes Melsen:

"Wer gefangen war, war im Turm von Crest oder im Turm von Aigues-Mortes und Männer auf Galeeren in Marseille. Und in diesen Registern findet man dann zurück, wo sie gefasst worden sind. Wir können davon ausgehen, dass wo sie gefasst worden sind, sie auch gelaufen sind."

Nach mehrjährigen Recherchen von Johannes Melsen und einigen Historikern konnten die ersten Etappen des Hugenottenwanderwegs 2010 auf französischer Seite eröffnet werden. Das erste Stück des großen mit blauen Plaketten gekennzeichneten Wanderweges, der sich von Südfrankreich über Genf bis nach Hessen zieht. Bei manchen Etappen, besonders in der Schweiz, fehlen die Markierungen noch.

So machen auch wir, etwa zwanzig Deutsche und Franzosen, uns auf den Weg. Seit zwei Jahren wird die Wanderwoche Exil und Toleranz in der Gegend von Die während der Karwoche veranstaltet. Auf schmalen Trampelpfaden geht es entlang der Bergkämme. In den Tälern, auf den normalen Handelswegen wäre zur Zeit der Verfolgungen die Gefahr einer Gefangennahme viel zu groß gewesen. Auch ohne schweres Gepäck ist der Weg beschwerlich.

Damals, ohne Wissen. Wo man Unterschlupf finden konnte, immer auf der Hut vor den Häschern des Königs, muss es eine wirkliche Tortur gewesen sein. Wir sind am Ostersonntag in aller Frühe von unserem Quartier in den Bergen aufgebrochen. Noch ist es Nacht. Nur mit Taschenlampen geht es mühsam voran. Wir gehen in die Morgendämmerung hinein. Langsam hebt sich der Schleier der Nacht.

Endlich kommen wir zu einem Felsvorsprung oberhalb des Städtchens Die, wo wir von Mitgliedern der evangelischen Gemeinde mit Gesang und warmem Tee empfangen werden. Seit einigen Jahren, erklärt mir Pfarrer Castelnau, versammele sich die Gemeinde hier oberhalb der Stadt am Fuß eines großen Eisenkreuzes, das die Stadt überragt.

"Die Bibel sagt, dass die Frauen zum Grab Christi gekommen sind am Anfang des Tages, als die Sonne hoch gestiegen ist. So beginnt Ostern am Sonntagmorgen, wenn die Sonne aufgeht."

Das schwere Eisenkreuz, unter dem wir stehen, ist durchsiebt von Einschusslöchern. Von deutschen Jagdfliegern, erklärt mir der Pfarrer. Hier im Vercors Gebirge war die französische Résistance gegen die Nationalsozialisten besonders stark. In Bergdörfern ganz in der Nähe wurden damals zur Abschreckung Hunderte Zivilisten von den Nazis ermordet. Mit diesen Gedanken im Hinterkopf beginnen wir, unter dem Kreuz zu beten.

Und dann singen die Franzosen ein Osterlied. In Deutschland wird diese Händel-Melodie als "Tochter Zion" in der Adventszeit gesungen. Hier sei es so etwas wie die Marseillaise der französischen Protestanten, die immer zu Ostern gesungen wird, erklärt mir Paul Castelnau.
Wandern auf dem Hugenottenweg in Südfrankreich (Religionen) Wandern auf dem Hugenottenweg in Südfrankreich
Wandern auf dem Hugenottenweg in Südfrankreich© Dieter Wulf
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