Auf den Spuren der Apartheid
Soweto als Touristenattraktion: Bustouren durch das Township gibt es schon seit Längerem, sie führen an den Häusern Nelson Mandelas und Bischof Tutus vorbei. Neu ist, dass Township-Bewohner jetzt auch Unterkünfte für Touristen anbieten. Sie hoffen, dass auch die Besucher der WM 2010 in Soweto übernachten wollen. Vielen Ausländern scheint das allerdings zu gefährlich.
Touristenführer Philipp Malepa: „Soweto ist eines der bekanntesten Townships in Südafrika. Es gibt ein Sprichwort das besagt: Wenn Soweto niest, dann bekommt das ganze Land eine Erkältung.“
Tourist Brett Sanders: „Ich würde Südafrikanern und Ausländern empfehlen, hierher zu kommen. Vielleicht lernen sie sogar etwas von den Menschen in Soweto.“
Pensionsbesitzer Lebochang Malepa: „Viele denken bei Soweto zuerst an Kriminalität. Aber ich hätte hier bestimmt keine Pension für Rucksackreisende eröffnet, wenn die Sicherheit der Touristen in Gefahr wäre.“
Gastronom Wandie Bendala: „Die ersten Touristen waren Landwirte aus Kapstadt. Der Standard unserer Restaurants und Unterkünfte wird immer höher. Die Gastfreundschaft steht an erster Stelle.“
Acht Uhr morgens. Die Sonne steht hoch über dem kleinen Innenhof. Eine junge Frau kehrt mit einem Besen den betonierten Weg zwischen zwei rechteckigen Gebäuden, summt versunken eine Melodie. Die Atmosphäre ist friedlich. Das wundert viele beim ersten Besuch in Soweto, sagt Lebochang Malepa lachend. Der 32-Jährige setzt sich auf die Stufe vor seinem Zimmer. Olivgrüne Cargohose, T-Shirt, Baseballkappe, eine Tasse Kaffee in der Hand. Vor fast neun Jahren eröffnet er Lebo's Soweto Backpackers.
„Ich habe die vielen Busse gesehen, die in die Nachbarschaft kamen. Damals wohnte ich schon hier im Haus meiner Großeltern. Ich nahm mir vor, den Touristen Soweto zu zeigen, ihnen für ihre Pounds und Dollars etwas zu bieten. Diese Idee hat mein Leben verändert. Die Zukunft meines Landes interessierte mich auf einmal. Denn die Touristen erzählten mir, wie schön Südafrika ist, während ich damals nur das Township kannte, also die schlechten Seiten. Ich habe angefangen, mich mit der Geschichte zu beschäftigen, um den Leuten genau erzählen zu können, was hier in Südafrika passiert ist.“
Lebo nippt an seinem Kaffee, lehnt sich lässig zurück. Er erzählt seine Geschichte gern. Nicht zum ersten Mal, souverän und selbstbewusst.
„Der Widerstand gegen die Apartheid wurde zu unserer Kultur, ein Teil unseres täglichen Lebens. Wir sangen Revolutionslieder, unsere Vorbilder waren politische Aktivisten. Meine Eltern haben 1976 beim Schüleraufstand mit demonstriert. Mein Vater war einer der Anführer. Nach der blutigen Niederschlagung des Protests durch die Polizei wurde er verhaftet. Glücklichweise kam er auf Kaution frei, ging ins Exil nach Botswana. Meine Mutter folgte ihm. Ich blieb hier in Soweto bei meinen Großeltern und zog erst 1985 nach. Fünf Jahre später, da war ich 15, konnten wir alle heimkehren, Nachdem die politischen Gefangenen freigelassen wurden.“
Der 32-Jährige steht auf, geht durch den Innenhof. Drei Holztüren: einfache Zimmer für Touristen. 20 Euro kostet eine Nacht im Doppelzimmer, 8 Euro eine Übernachtung im Gemeinschaftsraum, erzählt Lebo. Momentan, in der Nebensaison, ist nur ein Zimmer belegt. Aber in der Hauptsaison ist mehr los, beteuert er, rückt seine Kappe zurecht. Topfpflanzen säumen den schmalen Betonweg. Vor der Küche stehen zwei runde Plastiktische mit Sonnenschirmen. Die Ausstattung ist einfach, die Atmosphäre offen und familiär. Die Touristen sollen den Alltag in Soweto hautnah erleben – das ist das Markenzeichen von Lebo's Backpackers.
„Die meisten Touristen, die nach Soweto kommen, haben organisierte Touren gebucht – schon von ihren Heimatländern aus. Sie kommen hierher, machen das Programm mit und fahren wieder. Davon hat Soweto nicht viel. Ich setzte deshalb auf eine andere Klientel. Individualreisende, die selbst entscheiden, was sie sehen, wie lange sie bleiben und wie viel sie ausgeben wollen.“
Der 32-Jährige zeigt auf ein Bild an der Hauswand vor der Küche: eine Straßenszene in Soweto, spielende Kinder und Touristen auf Fahrrädern. Das sind die Touren, die ich anbiete, sagt er: maßgeschneidert, zu Fuß oder mit dem Rad, geführt von ihm selbst oder seinem Bruder Philipp. Der ist elf Jahre jünger, aber zwei Köpfe größer. In Jeans und T-Shirt, einen blitzenden Strassstein am Ohr, geht er gerade über den Hof. Neben ihm Brett Sanders, dunkle Haare, blaue Augen, Shorts. Der 41-jährige Südafrikaner aus Durban ist der einzige Gast in Lebo's Backpackers und hat für heute eine Tour bei Philipp gebucht.
„Ich war vorher noch nie in Soweto. Für mich als weißer Südafrikaner ist es ein bisschen wie eine No-Go-Area. Man hört jede Menge negativer Dinge und wie gefährlich es hier ist. Viele Leute haben mich gewarnt. Sie wären selbst nie hierher gekommen. Mich aber hat das eher neugierig gemacht. Ich wollte es mit eigenen Augen sehen.“
Philipp schiebt das Metalltor zur Straße auf: kein Schloss, keine Alarmanlage, kein Stacheldrahtzaun, wie in Johannesburg oder anderen südafrikanischen Großstädten. Sicherheit ist hier kein Thema, sagt der 21-Jährige mit einem breiten Grinsen. Aber das glauben Touristen erst, wenn sie es selbst erleben.
„Hier im Stadtteil Orlando West ist die Kriminalität nicht besonders hoch. Es ist ein historischer Teil Sowetos, viele Leute haben sich daran gewöhnt, dass Touristen herkommen. Viele leben inzwischen vom Tourismus, wissen also, dass sie darunter leiden werden, wenn den Besuchern etwas zustößt. Sie achten also darauf, das erst gar nichts passiert.“
Direkt hinter der Straße liegt eine Wiese, etwa so groß wie zwei Fußballfelder. Zwei Tore, zwei Parkbänke – und ein dutzend Kühe. Eine reibt sich an einem der dürren Bäumchen, dass sich heftig biegt. Philipp flucht.
„Früher war das hier eine Müllhalde. Bis wir die Kinder aus der Nachbarschaft zusammengetrommelt, alles aufgeräumt und Bäume gepflanzt haben. Doch die ersten wurden geklaut und jetzt haben die Kühe einige kaputt gemacht.“
Die Kühe gehören einem Nachbarn, erzählt Philipp. Ursprünglich kommt der aus dem Zululand. Dort sind Kühe ein Zeichen von Reichtum. Eine Tradition, die in Soweto fehl am Platz wirkt. Denn ländlich ist hier nichts: zwei bis vier Millionen Menschen leben in dem Township, die meisten in kleinen rechteckigen Bungalows oder selbst gebauten Blechhütten. Das Erbe der Rassentrennung in Südafrika. Auf der Straße, in die Philipp und sein Begleiter jetzt einbiegen, herrscht dichter Verkehr, Frauen bieten am Straßenrand Obst und Gemüse an.
„Einer der Gründe dafür, dass Soweto so viele Stadtteile hat, über 30, ist, dass die frühere Regierung die ethnischen Gruppen auseinander halten wollte – Zulus hier, Xhosas da und so weiter. Damit sie sich nicht verbünden. Heute gibt es diese Trennung immer noch, aber sie ist nicht mehr so stark wie zu Zeiten der Apartheid. Die Leute lernen miteinander auszukommen, egal welchem Stamm sie angehören. Allerdings gibt es jetzt Spannungen zwischen Südafrikanern und Einwanderern aus anderen afrikanischen Ländern.“
Philipp und Brett überqueren die Straße, gehen zu einer Brücke, die über ein Bahngleis führt. Täglich bringen die gelb-grauen Züge zehntausende Menschen nach Johannesburg oder die Vororte. Denn in Soweto gibt es kaum Jobs, erzählt der 21-jährige Touristenführer. Auf der Brücke kommen ihnen zwei Männer entgegen, mustern den Touristen an Philipps Seite, nicken den beiden zu.
Von hier oben haben die beiden einen guten Blick auf das Township: Häuser so weit das Auge reicht, nur wenige Bäume und Grasflächen, das Fußballstadion der Lokal-Matadoren Orlando Pirates, zwei buntbemalte Kühltürme, ein riesiges rotes Backsteingebäude – das größte Krankenhaus in Afrika südlich der Sahara. Zwischendrin über 15 Meter hohe Straßenlampen.
„Während des Ausnahmezustands verhängte die Regierung eine Ausgangssperre. Sie begann um neun Uhr Abends. Dann wurden diese Lampen bis zum frühen Morgen angeschaltet. Sie waren übrigens die erste Form von Elektrizität in Soweto. Wen die Polizei nachts auf den Straßen erwischte, der wurde verhaftet. Vor allem, wenn man in einer Gruppe unterwegs war, warfen sie einem vor, im Widerstand zu sein, einen Boykott oder etwas anderes gegen die Regierung zu planen.“
Die Kinder lernen leider wenig über die Apartheid, sagt Philipp zu Brett, während sie an einer Grundschule vorbeigehen. Es ist Pause. Auf dem Hof spielen ein paar Jungs in grauer Schuluniform Fußball. Ich habe von meinem Vater viel über das Leben damals erfahren, erzählt er. Heute ist die Kontrolle der weißen Regierung für viele junge Südafrikaner unvorstellbar. Genauso wie für die Touristen.
„Die Regierung wolle zum Beispiel jederzeit genau wissen, wie viele Menschen in Soweto sind und wie viele in Johannesburg. Man musste ständig einen Pass dabei haben, damit die Polizei kontrollieren konnte, ob man sich legal in Johannesburg aufhält. Im Pass stand dein Name, deine ethnische Zugehörigkeit und der Grund für den Aufenthalt in Soweto, normalerweise war das Arbeit. Außerdem waren die Arbeitszeiten vermerkt, der Name des Unternehmens und Anschrift und Telefonnummer deines Arbeitgebers.“
Eine Straße weiter sind Marktstände aufgebaut: geschnitzte Nashörner und Giraffen, Tücher mit südafrikanischen Designs, T-Shirts und Postkarten für die Touristen. Philipp grüßt rechts und links, überquert die Straße zielstrebig, geht weiter auf einen gepflegten Platz zu, stellt sich routiniert vor einen großen Stein mit einer Gedenktafel. Im Hintergrund ein modernes Gebäude aus Glas und Backstein, aus dem gerade eine Schulklasse strömt.
„Wir sind hier auf dem Hector Pieterson Gedenkplatz vor dem gleichnamigen Museum. Es erinnert an den Schüleraufstand am 16.Juni 1976. Die Schüler protestierten damals friedlich gegen die Einführung von Afrikaans als Unterrichtssprache. Die Polizei schlug den Aufstand gewaltsam nieder, schoss in die Menge, setzte Tränengas ein. Die Schüler begannen Steine zu werfen, sich mit Mülltonnendeckeln zu schützen.“
Der 13-jährige Hector Pieterson ist einer der jüngsten Schüler, die damals ums Leben kommen, erzählt Philipp, zeigt auf das Bild, das um die Welt ging und hier Großformat hängt: ein Junge in Latzhose, das Entsetzen ins Gesicht geschrieben, trägt den verletzten Hector Pieterson, daneben dessen Schwester in Schuluniform. Südafrika steht unter Schock, der Protest weitet sich aus – mindestens 600 Schüler werden in den kommenden Monaten getötet, tausende verletzt und festgenommen. So steht es auf einer roten Marmortafel auf dem Gedenkstein.
„Die Regierung begann damals zu verstehen, dass die Leute es ernst meinen, wenn sie sagen ‚jetzt reicht es‘. Dass sie es nicht weiter einfach hinnehmen werden, dass die Regierung ihr Leben ruiniert. Die Tatsache, dass Kinder und Jugendliche sich dagegen auflehnten, öffnete der ganzen Welt die Augen dafür, was in Südafrika geschah. Viele Länder drohten dem Land mit Sanktionen für den Fall, dass sich nichts an der Situation ändert.“
Philipp geht ein paar Schritte, setzt sich auf eine Stufe vor dem Bild von Hector Pieterson. Brett, der 41-jährige Südafrikaner in Jeans und T-Shirt, bleibt vor dem Gedenkstein stehen, liest die Inschrift.
„Als weiße Südafrikaner sind wir ziemlich ignorant aufgewachsen, bequem, ohne wirklich wissen zu wollen, was um uns herum passiert. Deshalb ist es interessant zu erfahren, wie es den Schulkindern damals ging, was sie fühlten und dachten. Das Ganze endete so tragisch. Das berührt mich schon.“
Ein Bus mit Touristen hält vor dem Platz, drei dutzend sonnenverbrannte Amerikaner steigen aus, die Kameras vor dem Bauch folgen sie ihrer blonden Touristenführerin ins Museum. Philipp runzelt die Stirn unter seiner Baseballkappe, verengt die Augen.
„Das verärgert viele Einheimische hier. Die Touristen kommen in großen Bussen, fotografieren im Vorbeifahren durchs Fenster, als hätten sie Angst davor, auszusteigen. Wie bei einer Safari. Nur hier für das Museum machen sie eine Ausnahme. Sie fahren also ein paar Stunden nach Soweto, sprechen mit niemandem, der hier wohnt, erleben Menschen und Kultur nicht. Grund ist der schlechte Ruf des Townships: durch die Medien aber vor allem durch andere Südafrikaner. Sie erzählen den Touristen, dass Soweto gefährlich ist, dass man hier umgebracht wird. Das macht ihnen natürlich Angst.“
Gegen dieses schlechte Image anzukämpfen, ist schwierig, sagt Philipp seufzend, schaut einen Moment auf seine Turnschuhe, geht über die Kreuzung, eine mit Bäumen gesäumte Straße entlang, biegt rechts ab in die Vilakazi Street.
Auf der Straße fünf Männer – sie tanzen nach Zulu Tradition mit Lederschurz, Fellstulpen, nacktem Oberkörper, Speer und Schild in der Hand. Zwei blonde Frauen sitzen auf der Stufe zu einem Kiosk, schauen ihnen dabei zu. Gegenüber: das frühere Haus von Nelson Mandela, Freiheitskämpfer, Friedensnobelpreisträger, erster demokratisch gewählter Präsident Südafrikas. Philipp ist wieder ganz Touristenführer.
„Er wohnte hier mit seiner ersten Frau Evelyn, danach mit seiner zweiten Frau Winnie. Als Nelson Mandela im Gefängnis war, lebte sie hier unter Hausarrest. Inzwischen ist es ein kleines Familienmuseum: die Möbel stehen noch genauso da wie früher, außerdem sind Fotos und Dokumente aus der Zeit ausgestellt. Nicht weit von hier steht übrigens auch das Haus von Erzbischof Desmond Tutu, der immer noch in Soweto lebt, so wie Winnie Mandela. Aber Nelson Mandela wohnt nicht mehr hier.“
Die Tanzgruppe beendet ihre Aufführung, setzt sich auf einer Mauer in der Sonne, wartet auf die nächsten Touristen. Philipp geht mit seinem Besucher weiter. Es ist kurz nach Mittag. Ein paar Straßen weiter riecht es verlockend nach gebratenem Fleisch und Gemüse. Ein paar Männer sitzen vor einem Hauseingang, grüßen Philipp mit Handschlag.
Drinnen: ein langer schmaler Raum mit einem ebenso langen Tisch, gegenüber der Tür eine Bar. Visitenkarten und Fotos hängen an den Wänden, daneben Grüße und Sprüche der Gäste aus aller Welt. Internationales Flair inmitten Sowetos. Fünf Männer und Frauen sitzen am Tisch, dem Akzent nach US-Amerikaner. Um sie herum räumen Kellner Teller und Besteck weg, tragen sie in die Küche. Gerade war eine ganze Busladung Touristen da, erklärt ein untersetzter Mann in dunklem Anzug, während er auf Philipp und seinen Begleiter zu kommt. Wandie Lendala, der Besitzer des Restaurants „Wandie's“.
„Die Touristen kommen in großen Gruppen, genauso wie unsere Leute. Sie begegnen sich hier, mischen sich, das ist schön zu sehen. Besonders, wenn es einen wichtigen Sportwettkampf gibt, Rugby oder Cricket, dann beginnen sie zu miteinander zu diskutieren, Australier, Südafrikaner, Briten, einfach alle.“
An dem langen Tisch sitzen alle zusammen, erzählt der 51-Jährige. Statt Speisekarte gibt es ein Buffet, an dem sich die Gäste dann wieder treffen und ins Gespräch kommen.
„Unser Essen ist ausschließlich südafrikanisch. Lamm, Hühnchen, Rind und Pap – der Brei aus Maismehl ist unser Hauptnahrungsmittel. Außerdem ein traditionelles Gericht der Tswana, das schmeckt sehr sauer, aber auch sehr gut, ist nahrhaft und gesund. Dazu gibt es eine Art Semmelklöße, die mögen besonders die Franzosen, Salate, Spinat und das südafrikanische Blattgemüse Morogo.“
Der Restaurantbesitzer greift über die Theke zum Telefon. In Soweto ist Wandie ein bekannter und beliebter Geschäftsmann, erklärt Philipp seinem Begleiter. 1981 richtet er in diesem Haus eine illegale Kneipe ein, erst zehn Jahre später bekommt er eine Lizenz für sein Restaurant. Heute bewirtet er rund hundert Gäste am Tag – unter der Woche überwiegend Touristen, am Wochenende Einheimische. Für die Zukunft hat der Geschäftsmann ehrgeizige Pläne, eröffnet gerade ein neues Lokal am Johannesburger Flughafen. Auch für die Touristen, die 2010 zur Fußball-Weltmeisterschaft nach Südafrika kommen.
„Ich bin bereit für die WM. Ich warte nicht auf 2010, ich beginne schon jetzt mit den Vorbereitungen. Wir müssen zusammen mit dem Organisationskomitee dafür sorgen, dass die Touristen überall, wo sie hinkommen, unterhalten werden. Das ist das wichtigste. Ihnen darf nicht langweilig werden. Man muss ihnen mehr als nur Fußball bieten. Soweto bemüht sich sehr um einen hohen Standard für die Touristen. Wir sind ein Trendsetter für alle Townships in Südafrika.“
Wandie Lendala klopft Philipp väterlich auf die Schulter, gibt Brett die Hand. Er hat noch einen Geschäftstermin.
Philipp und Brett gehen zurück zur Pension, vorbei an den eingezäunten kleinen Bungalows. Einige bieten Zimmer für Touristen an. Doch ausgebucht sind sie so gut wie nie, erzählt der 21-jährige. Über achteinhalb Millionen Touristen kommen jedes Jahr nach Südafrika, Soweto aber zählt nur rund 200.000 Besucher, inklusive Südafrikaner aus anderen Landesteilen. Ob sich das in absehbarer Zukunft ändern wird, ob die WM 2010 die Wende bringt? Philipp zuckt mit den Schultern.
„Soweto bekommt momentan wegen der Weltmeisterschaft 2010 ein Facelifting. Wir haben unser eigenes Einkaufszentrum bekommen, Fahrradwege sollen eingerichtet werden, Bäume werden gepflanzt. Das ist für die Leute aufregend, außerdem hoffen sie natürlich, an der WM zu verdienen.“
Von der Straße geht Philipp den Hügel zum Bahngleis hinauf, überquert die Schienen, geht über eine Wiese zurück zu seinem Zuhause, Lebo's Backpackers, der kleinen Pension seines Bruders.
Lebochang Malepa kniet im Innenhof vor einem Mountainbike, als Philipp durch das offene Tor tritt. Jetzt steht er auf, setzt sich mit seinem Bruder und dem Touristen an einen der runden Plastiktische, will von Brett Sanders wissen, wie die Tour war.
„Zum einen habe ich mich die ganze Zeit über sicher gefühlt. Zum anderen habe ich viel darüber erfahren, wie die Menschen hier leben. Sie hatten in der Vergangenheit so eine harte Zeit und leben immer noch unter sehr schwierigen Umständen. Trotzdem gibt es den Drang nach Entwicklung in Soweto, danach ein besseres Leben zu führen. Das spürt man überall.“
Lebo und Philipp Malepa nicken – der Wunsch des jüngeren Bruders ist es, ein Musikstudio in Soweto aufzubauen. Das Ziel des älteren die Fußball-WM 2010.
„Für mich, für uns kleine Unternehmer ist es eine Möglichkeit, die Regierung auf die Probe zu stellen. Denn die sagt immer, dass der Tourismus der Bevölkerung zu Gute kommen soll. Wenn das so ist, dann sollten Menschen wie wir von der WM 2010 profitieren. Wenn wir es nicht tun, zeigt das, dass niemand im Land etwas davon hatte. Natürlich werden einige wenige Millionen verdienen, aber wir wollen wenigstens unseren Anteil daran.“
Die kleine Pension soll in den nächsten beiden Jahren einen Anbau bekommen, sagt Lebo. Damit noch mehr Touristen hier übernachten können. Ob sie dann wirklich kommen, das steht auf einem anderen Blatt.
Tourist Brett Sanders: „Ich würde Südafrikanern und Ausländern empfehlen, hierher zu kommen. Vielleicht lernen sie sogar etwas von den Menschen in Soweto.“
Pensionsbesitzer Lebochang Malepa: „Viele denken bei Soweto zuerst an Kriminalität. Aber ich hätte hier bestimmt keine Pension für Rucksackreisende eröffnet, wenn die Sicherheit der Touristen in Gefahr wäre.“
Gastronom Wandie Bendala: „Die ersten Touristen waren Landwirte aus Kapstadt. Der Standard unserer Restaurants und Unterkünfte wird immer höher. Die Gastfreundschaft steht an erster Stelle.“
Acht Uhr morgens. Die Sonne steht hoch über dem kleinen Innenhof. Eine junge Frau kehrt mit einem Besen den betonierten Weg zwischen zwei rechteckigen Gebäuden, summt versunken eine Melodie. Die Atmosphäre ist friedlich. Das wundert viele beim ersten Besuch in Soweto, sagt Lebochang Malepa lachend. Der 32-Jährige setzt sich auf die Stufe vor seinem Zimmer. Olivgrüne Cargohose, T-Shirt, Baseballkappe, eine Tasse Kaffee in der Hand. Vor fast neun Jahren eröffnet er Lebo's Soweto Backpackers.
„Ich habe die vielen Busse gesehen, die in die Nachbarschaft kamen. Damals wohnte ich schon hier im Haus meiner Großeltern. Ich nahm mir vor, den Touristen Soweto zu zeigen, ihnen für ihre Pounds und Dollars etwas zu bieten. Diese Idee hat mein Leben verändert. Die Zukunft meines Landes interessierte mich auf einmal. Denn die Touristen erzählten mir, wie schön Südafrika ist, während ich damals nur das Township kannte, also die schlechten Seiten. Ich habe angefangen, mich mit der Geschichte zu beschäftigen, um den Leuten genau erzählen zu können, was hier in Südafrika passiert ist.“
Lebo nippt an seinem Kaffee, lehnt sich lässig zurück. Er erzählt seine Geschichte gern. Nicht zum ersten Mal, souverän und selbstbewusst.
„Der Widerstand gegen die Apartheid wurde zu unserer Kultur, ein Teil unseres täglichen Lebens. Wir sangen Revolutionslieder, unsere Vorbilder waren politische Aktivisten. Meine Eltern haben 1976 beim Schüleraufstand mit demonstriert. Mein Vater war einer der Anführer. Nach der blutigen Niederschlagung des Protests durch die Polizei wurde er verhaftet. Glücklichweise kam er auf Kaution frei, ging ins Exil nach Botswana. Meine Mutter folgte ihm. Ich blieb hier in Soweto bei meinen Großeltern und zog erst 1985 nach. Fünf Jahre später, da war ich 15, konnten wir alle heimkehren, Nachdem die politischen Gefangenen freigelassen wurden.“
Der 32-Jährige steht auf, geht durch den Innenhof. Drei Holztüren: einfache Zimmer für Touristen. 20 Euro kostet eine Nacht im Doppelzimmer, 8 Euro eine Übernachtung im Gemeinschaftsraum, erzählt Lebo. Momentan, in der Nebensaison, ist nur ein Zimmer belegt. Aber in der Hauptsaison ist mehr los, beteuert er, rückt seine Kappe zurecht. Topfpflanzen säumen den schmalen Betonweg. Vor der Küche stehen zwei runde Plastiktische mit Sonnenschirmen. Die Ausstattung ist einfach, die Atmosphäre offen und familiär. Die Touristen sollen den Alltag in Soweto hautnah erleben – das ist das Markenzeichen von Lebo's Backpackers.
„Die meisten Touristen, die nach Soweto kommen, haben organisierte Touren gebucht – schon von ihren Heimatländern aus. Sie kommen hierher, machen das Programm mit und fahren wieder. Davon hat Soweto nicht viel. Ich setzte deshalb auf eine andere Klientel. Individualreisende, die selbst entscheiden, was sie sehen, wie lange sie bleiben und wie viel sie ausgeben wollen.“
Der 32-Jährige zeigt auf ein Bild an der Hauswand vor der Küche: eine Straßenszene in Soweto, spielende Kinder und Touristen auf Fahrrädern. Das sind die Touren, die ich anbiete, sagt er: maßgeschneidert, zu Fuß oder mit dem Rad, geführt von ihm selbst oder seinem Bruder Philipp. Der ist elf Jahre jünger, aber zwei Köpfe größer. In Jeans und T-Shirt, einen blitzenden Strassstein am Ohr, geht er gerade über den Hof. Neben ihm Brett Sanders, dunkle Haare, blaue Augen, Shorts. Der 41-jährige Südafrikaner aus Durban ist der einzige Gast in Lebo's Backpackers und hat für heute eine Tour bei Philipp gebucht.
„Ich war vorher noch nie in Soweto. Für mich als weißer Südafrikaner ist es ein bisschen wie eine No-Go-Area. Man hört jede Menge negativer Dinge und wie gefährlich es hier ist. Viele Leute haben mich gewarnt. Sie wären selbst nie hierher gekommen. Mich aber hat das eher neugierig gemacht. Ich wollte es mit eigenen Augen sehen.“
Philipp schiebt das Metalltor zur Straße auf: kein Schloss, keine Alarmanlage, kein Stacheldrahtzaun, wie in Johannesburg oder anderen südafrikanischen Großstädten. Sicherheit ist hier kein Thema, sagt der 21-Jährige mit einem breiten Grinsen. Aber das glauben Touristen erst, wenn sie es selbst erleben.
„Hier im Stadtteil Orlando West ist die Kriminalität nicht besonders hoch. Es ist ein historischer Teil Sowetos, viele Leute haben sich daran gewöhnt, dass Touristen herkommen. Viele leben inzwischen vom Tourismus, wissen also, dass sie darunter leiden werden, wenn den Besuchern etwas zustößt. Sie achten also darauf, das erst gar nichts passiert.“
Direkt hinter der Straße liegt eine Wiese, etwa so groß wie zwei Fußballfelder. Zwei Tore, zwei Parkbänke – und ein dutzend Kühe. Eine reibt sich an einem der dürren Bäumchen, dass sich heftig biegt. Philipp flucht.
„Früher war das hier eine Müllhalde. Bis wir die Kinder aus der Nachbarschaft zusammengetrommelt, alles aufgeräumt und Bäume gepflanzt haben. Doch die ersten wurden geklaut und jetzt haben die Kühe einige kaputt gemacht.“
Die Kühe gehören einem Nachbarn, erzählt Philipp. Ursprünglich kommt der aus dem Zululand. Dort sind Kühe ein Zeichen von Reichtum. Eine Tradition, die in Soweto fehl am Platz wirkt. Denn ländlich ist hier nichts: zwei bis vier Millionen Menschen leben in dem Township, die meisten in kleinen rechteckigen Bungalows oder selbst gebauten Blechhütten. Das Erbe der Rassentrennung in Südafrika. Auf der Straße, in die Philipp und sein Begleiter jetzt einbiegen, herrscht dichter Verkehr, Frauen bieten am Straßenrand Obst und Gemüse an.
„Einer der Gründe dafür, dass Soweto so viele Stadtteile hat, über 30, ist, dass die frühere Regierung die ethnischen Gruppen auseinander halten wollte – Zulus hier, Xhosas da und so weiter. Damit sie sich nicht verbünden. Heute gibt es diese Trennung immer noch, aber sie ist nicht mehr so stark wie zu Zeiten der Apartheid. Die Leute lernen miteinander auszukommen, egal welchem Stamm sie angehören. Allerdings gibt es jetzt Spannungen zwischen Südafrikanern und Einwanderern aus anderen afrikanischen Ländern.“
Philipp und Brett überqueren die Straße, gehen zu einer Brücke, die über ein Bahngleis führt. Täglich bringen die gelb-grauen Züge zehntausende Menschen nach Johannesburg oder die Vororte. Denn in Soweto gibt es kaum Jobs, erzählt der 21-jährige Touristenführer. Auf der Brücke kommen ihnen zwei Männer entgegen, mustern den Touristen an Philipps Seite, nicken den beiden zu.
Von hier oben haben die beiden einen guten Blick auf das Township: Häuser so weit das Auge reicht, nur wenige Bäume und Grasflächen, das Fußballstadion der Lokal-Matadoren Orlando Pirates, zwei buntbemalte Kühltürme, ein riesiges rotes Backsteingebäude – das größte Krankenhaus in Afrika südlich der Sahara. Zwischendrin über 15 Meter hohe Straßenlampen.
„Während des Ausnahmezustands verhängte die Regierung eine Ausgangssperre. Sie begann um neun Uhr Abends. Dann wurden diese Lampen bis zum frühen Morgen angeschaltet. Sie waren übrigens die erste Form von Elektrizität in Soweto. Wen die Polizei nachts auf den Straßen erwischte, der wurde verhaftet. Vor allem, wenn man in einer Gruppe unterwegs war, warfen sie einem vor, im Widerstand zu sein, einen Boykott oder etwas anderes gegen die Regierung zu planen.“
Die Kinder lernen leider wenig über die Apartheid, sagt Philipp zu Brett, während sie an einer Grundschule vorbeigehen. Es ist Pause. Auf dem Hof spielen ein paar Jungs in grauer Schuluniform Fußball. Ich habe von meinem Vater viel über das Leben damals erfahren, erzählt er. Heute ist die Kontrolle der weißen Regierung für viele junge Südafrikaner unvorstellbar. Genauso wie für die Touristen.
„Die Regierung wolle zum Beispiel jederzeit genau wissen, wie viele Menschen in Soweto sind und wie viele in Johannesburg. Man musste ständig einen Pass dabei haben, damit die Polizei kontrollieren konnte, ob man sich legal in Johannesburg aufhält. Im Pass stand dein Name, deine ethnische Zugehörigkeit und der Grund für den Aufenthalt in Soweto, normalerweise war das Arbeit. Außerdem waren die Arbeitszeiten vermerkt, der Name des Unternehmens und Anschrift und Telefonnummer deines Arbeitgebers.“
Eine Straße weiter sind Marktstände aufgebaut: geschnitzte Nashörner und Giraffen, Tücher mit südafrikanischen Designs, T-Shirts und Postkarten für die Touristen. Philipp grüßt rechts und links, überquert die Straße zielstrebig, geht weiter auf einen gepflegten Platz zu, stellt sich routiniert vor einen großen Stein mit einer Gedenktafel. Im Hintergrund ein modernes Gebäude aus Glas und Backstein, aus dem gerade eine Schulklasse strömt.
„Wir sind hier auf dem Hector Pieterson Gedenkplatz vor dem gleichnamigen Museum. Es erinnert an den Schüleraufstand am 16.Juni 1976. Die Schüler protestierten damals friedlich gegen die Einführung von Afrikaans als Unterrichtssprache. Die Polizei schlug den Aufstand gewaltsam nieder, schoss in die Menge, setzte Tränengas ein. Die Schüler begannen Steine zu werfen, sich mit Mülltonnendeckeln zu schützen.“
Der 13-jährige Hector Pieterson ist einer der jüngsten Schüler, die damals ums Leben kommen, erzählt Philipp, zeigt auf das Bild, das um die Welt ging und hier Großformat hängt: ein Junge in Latzhose, das Entsetzen ins Gesicht geschrieben, trägt den verletzten Hector Pieterson, daneben dessen Schwester in Schuluniform. Südafrika steht unter Schock, der Protest weitet sich aus – mindestens 600 Schüler werden in den kommenden Monaten getötet, tausende verletzt und festgenommen. So steht es auf einer roten Marmortafel auf dem Gedenkstein.
„Die Regierung begann damals zu verstehen, dass die Leute es ernst meinen, wenn sie sagen ‚jetzt reicht es‘. Dass sie es nicht weiter einfach hinnehmen werden, dass die Regierung ihr Leben ruiniert. Die Tatsache, dass Kinder und Jugendliche sich dagegen auflehnten, öffnete der ganzen Welt die Augen dafür, was in Südafrika geschah. Viele Länder drohten dem Land mit Sanktionen für den Fall, dass sich nichts an der Situation ändert.“
Philipp geht ein paar Schritte, setzt sich auf eine Stufe vor dem Bild von Hector Pieterson. Brett, der 41-jährige Südafrikaner in Jeans und T-Shirt, bleibt vor dem Gedenkstein stehen, liest die Inschrift.
„Als weiße Südafrikaner sind wir ziemlich ignorant aufgewachsen, bequem, ohne wirklich wissen zu wollen, was um uns herum passiert. Deshalb ist es interessant zu erfahren, wie es den Schulkindern damals ging, was sie fühlten und dachten. Das Ganze endete so tragisch. Das berührt mich schon.“
Ein Bus mit Touristen hält vor dem Platz, drei dutzend sonnenverbrannte Amerikaner steigen aus, die Kameras vor dem Bauch folgen sie ihrer blonden Touristenführerin ins Museum. Philipp runzelt die Stirn unter seiner Baseballkappe, verengt die Augen.
„Das verärgert viele Einheimische hier. Die Touristen kommen in großen Bussen, fotografieren im Vorbeifahren durchs Fenster, als hätten sie Angst davor, auszusteigen. Wie bei einer Safari. Nur hier für das Museum machen sie eine Ausnahme. Sie fahren also ein paar Stunden nach Soweto, sprechen mit niemandem, der hier wohnt, erleben Menschen und Kultur nicht. Grund ist der schlechte Ruf des Townships: durch die Medien aber vor allem durch andere Südafrikaner. Sie erzählen den Touristen, dass Soweto gefährlich ist, dass man hier umgebracht wird. Das macht ihnen natürlich Angst.“
Gegen dieses schlechte Image anzukämpfen, ist schwierig, sagt Philipp seufzend, schaut einen Moment auf seine Turnschuhe, geht über die Kreuzung, eine mit Bäumen gesäumte Straße entlang, biegt rechts ab in die Vilakazi Street.
Auf der Straße fünf Männer – sie tanzen nach Zulu Tradition mit Lederschurz, Fellstulpen, nacktem Oberkörper, Speer und Schild in der Hand. Zwei blonde Frauen sitzen auf der Stufe zu einem Kiosk, schauen ihnen dabei zu. Gegenüber: das frühere Haus von Nelson Mandela, Freiheitskämpfer, Friedensnobelpreisträger, erster demokratisch gewählter Präsident Südafrikas. Philipp ist wieder ganz Touristenführer.
„Er wohnte hier mit seiner ersten Frau Evelyn, danach mit seiner zweiten Frau Winnie. Als Nelson Mandela im Gefängnis war, lebte sie hier unter Hausarrest. Inzwischen ist es ein kleines Familienmuseum: die Möbel stehen noch genauso da wie früher, außerdem sind Fotos und Dokumente aus der Zeit ausgestellt. Nicht weit von hier steht übrigens auch das Haus von Erzbischof Desmond Tutu, der immer noch in Soweto lebt, so wie Winnie Mandela. Aber Nelson Mandela wohnt nicht mehr hier.“
Die Tanzgruppe beendet ihre Aufführung, setzt sich auf einer Mauer in der Sonne, wartet auf die nächsten Touristen. Philipp geht mit seinem Besucher weiter. Es ist kurz nach Mittag. Ein paar Straßen weiter riecht es verlockend nach gebratenem Fleisch und Gemüse. Ein paar Männer sitzen vor einem Hauseingang, grüßen Philipp mit Handschlag.
Drinnen: ein langer schmaler Raum mit einem ebenso langen Tisch, gegenüber der Tür eine Bar. Visitenkarten und Fotos hängen an den Wänden, daneben Grüße und Sprüche der Gäste aus aller Welt. Internationales Flair inmitten Sowetos. Fünf Männer und Frauen sitzen am Tisch, dem Akzent nach US-Amerikaner. Um sie herum räumen Kellner Teller und Besteck weg, tragen sie in die Küche. Gerade war eine ganze Busladung Touristen da, erklärt ein untersetzter Mann in dunklem Anzug, während er auf Philipp und seinen Begleiter zu kommt. Wandie Lendala, der Besitzer des Restaurants „Wandie's“.
„Die Touristen kommen in großen Gruppen, genauso wie unsere Leute. Sie begegnen sich hier, mischen sich, das ist schön zu sehen. Besonders, wenn es einen wichtigen Sportwettkampf gibt, Rugby oder Cricket, dann beginnen sie zu miteinander zu diskutieren, Australier, Südafrikaner, Briten, einfach alle.“
An dem langen Tisch sitzen alle zusammen, erzählt der 51-Jährige. Statt Speisekarte gibt es ein Buffet, an dem sich die Gäste dann wieder treffen und ins Gespräch kommen.
„Unser Essen ist ausschließlich südafrikanisch. Lamm, Hühnchen, Rind und Pap – der Brei aus Maismehl ist unser Hauptnahrungsmittel. Außerdem ein traditionelles Gericht der Tswana, das schmeckt sehr sauer, aber auch sehr gut, ist nahrhaft und gesund. Dazu gibt es eine Art Semmelklöße, die mögen besonders die Franzosen, Salate, Spinat und das südafrikanische Blattgemüse Morogo.“
Der Restaurantbesitzer greift über die Theke zum Telefon. In Soweto ist Wandie ein bekannter und beliebter Geschäftsmann, erklärt Philipp seinem Begleiter. 1981 richtet er in diesem Haus eine illegale Kneipe ein, erst zehn Jahre später bekommt er eine Lizenz für sein Restaurant. Heute bewirtet er rund hundert Gäste am Tag – unter der Woche überwiegend Touristen, am Wochenende Einheimische. Für die Zukunft hat der Geschäftsmann ehrgeizige Pläne, eröffnet gerade ein neues Lokal am Johannesburger Flughafen. Auch für die Touristen, die 2010 zur Fußball-Weltmeisterschaft nach Südafrika kommen.
„Ich bin bereit für die WM. Ich warte nicht auf 2010, ich beginne schon jetzt mit den Vorbereitungen. Wir müssen zusammen mit dem Organisationskomitee dafür sorgen, dass die Touristen überall, wo sie hinkommen, unterhalten werden. Das ist das wichtigste. Ihnen darf nicht langweilig werden. Man muss ihnen mehr als nur Fußball bieten. Soweto bemüht sich sehr um einen hohen Standard für die Touristen. Wir sind ein Trendsetter für alle Townships in Südafrika.“
Wandie Lendala klopft Philipp väterlich auf die Schulter, gibt Brett die Hand. Er hat noch einen Geschäftstermin.
Philipp und Brett gehen zurück zur Pension, vorbei an den eingezäunten kleinen Bungalows. Einige bieten Zimmer für Touristen an. Doch ausgebucht sind sie so gut wie nie, erzählt der 21-jährige. Über achteinhalb Millionen Touristen kommen jedes Jahr nach Südafrika, Soweto aber zählt nur rund 200.000 Besucher, inklusive Südafrikaner aus anderen Landesteilen. Ob sich das in absehbarer Zukunft ändern wird, ob die WM 2010 die Wende bringt? Philipp zuckt mit den Schultern.
„Soweto bekommt momentan wegen der Weltmeisterschaft 2010 ein Facelifting. Wir haben unser eigenes Einkaufszentrum bekommen, Fahrradwege sollen eingerichtet werden, Bäume werden gepflanzt. Das ist für die Leute aufregend, außerdem hoffen sie natürlich, an der WM zu verdienen.“
Von der Straße geht Philipp den Hügel zum Bahngleis hinauf, überquert die Schienen, geht über eine Wiese zurück zu seinem Zuhause, Lebo's Backpackers, der kleinen Pension seines Bruders.
Lebochang Malepa kniet im Innenhof vor einem Mountainbike, als Philipp durch das offene Tor tritt. Jetzt steht er auf, setzt sich mit seinem Bruder und dem Touristen an einen der runden Plastiktische, will von Brett Sanders wissen, wie die Tour war.
„Zum einen habe ich mich die ganze Zeit über sicher gefühlt. Zum anderen habe ich viel darüber erfahren, wie die Menschen hier leben. Sie hatten in der Vergangenheit so eine harte Zeit und leben immer noch unter sehr schwierigen Umständen. Trotzdem gibt es den Drang nach Entwicklung in Soweto, danach ein besseres Leben zu führen. Das spürt man überall.“
Lebo und Philipp Malepa nicken – der Wunsch des jüngeren Bruders ist es, ein Musikstudio in Soweto aufzubauen. Das Ziel des älteren die Fußball-WM 2010.
„Für mich, für uns kleine Unternehmer ist es eine Möglichkeit, die Regierung auf die Probe zu stellen. Denn die sagt immer, dass der Tourismus der Bevölkerung zu Gute kommen soll. Wenn das so ist, dann sollten Menschen wie wir von der WM 2010 profitieren. Wenn wir es nicht tun, zeigt das, dass niemand im Land etwas davon hatte. Natürlich werden einige wenige Millionen verdienen, aber wir wollen wenigstens unseren Anteil daran.“
Die kleine Pension soll in den nächsten beiden Jahren einen Anbau bekommen, sagt Lebo. Damit noch mehr Touristen hier übernachten können. Ob sie dann wirklich kommen, das steht auf einem anderen Blatt.