Auf den Geschmack gekommen

Von Udo Pollmer |
In vielen Familien herrscht ein steter Kampf darum, was das Kind essen soll, aber nicht essen will. Dabei sollte die Vorliebe für bestimmte Speisen nicht Gegenstand der Erziehung sein, meint unser Autor.
Tja, der liebe Kampf ums richtige Essen! Also mal Hand aufs Herz: Mögen Sie alles, was in deutschen Haushalten auf den Tisch kommt? Ich nicht - und warum soll das dann bei Kindern anders sein. Man staunt ja nicht schlecht, mit welcher Verve der Appetit mit welcher List die Unbefangenheit der Kinder auf den Pfad der Tugend geleitet werden sollen. Dabei wäre es so einfach. Am liebsten würde ich vielen Eltern ins Stammbuch schreiben: Lasst es lieber bleiben! Denn vorneweg gesagt: Jedes Kind ist anders! Die einen sind von Natur aus eher heikel, andere futtern sich quer durchs Angebot. Aber egal, was sie mögen, die meisten essen aus Sicht der Erwachsenen nicht das Richtige.

Trotz der unterschiedlichen Vorlieben gibt es doch auffällige Übereinstimmungen. Kleinere Kinder verweigern oft stark Gewürztes. Was die Kleinen stört, das ist nicht das Aroma, das ist die Schärfe. Fencheltee oder Vanillekipferl werden ja gern genommen. Aber Schärfe ist eine Schmerzempfindung, ganz klar, dass Kinder das nicht mögen. Bei dieser Reaktion gibt’s nix zu meckern.

Genauso sieht es beim Kochfisch aus; das arme Tier schwimmt ja buchstäblich in einem See aus Kindertränen. Aber warum sollte ein Kind freiwillig etwas schlucken, in dem sich Stacheln verstecken? Erst mit den grätenfreien Fischstäbchen wurde es an der Fischfront etwas ruhiger. Knusprige Panade drumrum und schon passt es. Fisch ist ja nicht gesünder als Fleisch, für ein Kind ist das nur Fleisch von nassen Tieren. Auch Rindfleisch löst bei den Kleinen nicht immer Begeisterung aus. Da stört das Kauen. In Form von Hackfleischbällchen wird es schnell zur Leibspeise.

Gemischter liegen die Dinge beim Gemüse. Das hat biologische Gründe: Alle Kinder sind nun mal einzigartig. Auf dieser Welt gibt es – abgesehen von Zwillingen - keine zwei Personen, die mit den gleichen Fähigkeiten zum Verdauen ausgestattet sind. Die Spezifität und die Aktivität unserer Enzyme, insbesondere in der Leber sind individueller als ein Fingerabdruck. Je nachdem, welche Abwehrstoffe sich in der Pflanze befinden, müssen sie vom Körper anders entgiftet werden. Ob Ihr Kind Karotten oder lieber Kohl mag, hängt schlicht davon ab, ob seine Leber damit klarkommt.

Die riskantesten Inhaltsstoffe, also die für Kinder giftigsten, das sind derzeit das Solanin und Chaconin. Beide stecken in den Schalen und Randschichten der Kartoffel. Sie überstehen sogar das Kochen. Die einzige Möglichkeit, diese Gifte vollständig zu zerstören, ist die – und jetzt müssen Sie ganz stark sein, liebe Mütter – ja es ist die Fritteuse. Deshalb fahren Kinder auf Pommes ab – und nicht wegen dem Fett. Backofenpommes haben davon gerade mal fünf Prozent. Also, ganz entspannt bleiben! Speisenvorlieben entstehen meist unbewusst, aber nach klaren inneren Regeln.

Allen Kindern gemeinsam ist die Ablehnung von Bitterem. Meist trifft es Kürbis-Süppchen und Zucchinigemüse, aber auch schon mal einen Gurkensalat. Bei den Bitterstoffen handelt es sich um Cucurbitacine. Es gibt tatsächlich Fälle, bei denen schon ein paar Löffelchen für ernste Vergiftungen genügten. Wenn also Ihre Kinder eine Speise ablehnen, weil sie "bitter" schmeckt, dann ist das gerade kein Ungehorsam – sondern Zeichen von kritischer Aufmerksamkeit – sehr löblich!

Was auf den Tisch kommt, entscheiden die Eltern und nicht die Kinder – aber der Körper des Kindes entscheidet, was er mag. Gegenstand der Pädagogik kann nicht die Erziehung von Magen, Leber und Darm sein. Wie wär´s, wenn man sich stattdessen mal den Tischmanieren zuwenden würde? Die sind tatsächlich Erziehungssache. Guten Appetit!

Literatur
1. Sharma RP, Salunke DK: Solanum Glycoalkaloids. Toxicants of Plant Origin 1989; 1: 179-236
2. Rytel E et al: Changes in glycoalkaloid and nitrate contents in potatoes during French fries processing. Journal of the Science of Food and Agriculture 2005; 85: 879-882
3. Bernhard MK et al: Cucurbitacin-Vergiftung durch Kürbisse – ein Fallbericht. Kinder- und Jugendmedizin 2003; 5: 199-200
4. Kirschman JC: Recent food poisonings from cucurbitacin in traditionally bred squash. Food and Chemical Toxicology 1989; 27: 555-556