Auf dem Weg zu neuen Zielen
Abtprimas Notker Wolf sieht Chancen durch das Pilgern. "Im Laufen werde ich vielleicht ein anderer Mensch, werde ich offener, kann ich überhaupt mal wieder auf andere hören", sagte der Autor des Buches "Wohin pilgern wir?".
Andreas Malessa: Der brasilianische Erzähler Paolo Coelho tat es, der deutsche TV-Komiker Harpe Kerkeling tat es, nun hat es auch Notker Wolf getan: ein Buch über das Pilgern auf dem Jakobsweg geschrieben. Notker Wolf ist Abtprimas, das heißt, er ist der höchste Repräsentant von rund 800 Benediktinerklöstern weltweit.
Er ist 69 Jahre alt, und auf den 253 Seiten seines Buches "Wohin pilgern wir?" pilgert er nicht nur nach Santiago de Compostela, sondern auch nach Altötting, Lourdes, Rom und Jerusalem. Er ist hier im Studio, einen recht schönen guten Nachmittag, Abt Notker Wolf, herzlich Willkommen!
Notker Wolf: Schönen guten Abend!
Malessa: Ich grüße Sie! Die erste Frage Ihres Buches lautet: Kann man sich den Glauben erlaufen? Und, kann man?
Wolf: Ich glaube nicht unmittelbar, man kann ihn aber auch nicht erlernen mithilfe von großen Theorien, sondern im Laufen werde ich vielleicht ein anderer Mensch, werde ich offener, kann ich überhaupt mal wieder auf andere hören. Wenn ich auf andere hören kann, kann ich vielleicht auch wieder auf Gott hören.
Malessa: Ich zitiere noch mal: "Ich glaube – sagen Sie in Ihrem Buch –, dass es eine Frömmigkeit des Körpers gibt, die mir – Notker Wolf – leichter fällt als evangelischen Christen, weil der Glaube für Katholiken nicht allein eine Angelegenheit des Herzens oder des Kopfes ist." Zitat Ende. Da habe ich mich gefragt, wie sieht die aus, diese katholisch-körperliche Frömmigkeit?
Wolf: Da ist die Freude, bei Prozessionen mitzugehen, wir benutzen das Weihwasser, wir haben also Zeichen, bekreuzigen uns, wir haben wesentlich mehr Riten, die einfach das Innere eines Menschen ausdrücken, aber auch den Menschen wiederum beeinflussen.
Malessa: Und dann widersprechen Sie noch dem inzwischen ja populär gewordenen Merksatz, der Weg sei das Ziel. Warum ist der Weg nicht das Ziel?
Wolf: Ist mir noch ein bisschen zu wenig. Der Weg ist zwar wichtig, ich würde sagen, der ist, ständig unterwegs zu sein. Ich bin ein Suchender, auch als Mönch, ich bin nie am Ziel, und trotzdem habe ich ein Ziel vor Augen, während ein Wanderer, der kann auch so wandern, das kann in sich etwas sein, wo ich meine Freude habe am Gehen, wo das Gehen allein genügt. Ein Pilger hat ein Ziel, selbst wenn er es nie erreicht, und wenn er immer wieder neu aufbricht zum Ziel.
Malessa: Für viele Pilger und Pilgerinnen ist ja das Ziel die Selbsterkenntnis, die Selbstfindung. War das bei Ihnen auch so?
Wolf: Würde ich nicht ohne Weiteres sagen. Es ist ein Aufbruch, ein Versuch, sich selber neu zu erleben, aber eben nicht ich in mir selber, sondern mit den anderen zusammen. Ganz wichtig sind die anderen, die mit unterwegs sind, die mich stützen, die mich aufmuntern, die mir aber auch mal sagen, du, da hast du ‛n Blödsinn gemacht.
Malessa: In Ihrem Heimatkloster in St. Ottilien in Bayern wird ein Armknochen der heiligen Ottilia unter dem Hochaltar ausgestellt, und Sie schreiben in Ihrem Buch dazu, Zitat: "Mit ihren Reliquien lieferte die Kirche handfeste Gründe für die Glaubwürdigkeit des christlichen Glaubens." Da habe ich mir an den Rand geschrieben, mit Verlaub, Abt Notker: Ist das sein Ernst? Ist der monströse Schwindel mit Reliquien nicht gerade ein Indiz für die Unglaubwürdigkeit?
Wolf: Also es gibt Reliquien, die nicht unbedingt einen Schwindel darstellen. Wenn Sie später mal aus meinem Grab ein Bein rausholen, dann werden Sie das nicht schreiben. Also bei der heiligen Ottilia durfte diese Armreliquie sehr wohl echt sein, stammt nämlich aus dem Elsass aus ihrem Sarg. Also von daher … Dann gibt es, die Reliquien sind eigentlich wesentlich mehr als jetzt nur, dass man da dieses Drum sozusagen hat, sondern das sind Erinnerungsstücke, Gedächtnisstücke – wenn ich an diesem Grabe oder an diesem Stück bin. Ich hab beispielsweise, mir hat jemand eine Reliquie des seligen Notker geschenkt.
Malessa: Also Ihres Namenspatrons?
Wolf: Meines Namenspatrons. Ich weiß nicht, ob das nun wirklich ein Stück von ihm ist, spielt aber auch gar nicht die Rolle. Es ist von der Tradition her mir so überliefert, und damit werde ich an meinen Namenspatron erinnert. Ich werde herausgefordert, etwas zu tun, so wie es er war.
Malessa: Und die Grenze zum abergläubischen Amulett, wo ist die?
Wolf: Ist die, warum ich mithilfe dieses Reliquienstücks oder dieser Reliquie irgendwelche Wunder bewirken möchte, Heilungen bewirken möchte, darum geht es bei mir nicht. Für mich sind das wertvolle Erinnerungsstücke, wie beispielsweise an meinen Vater oder an meine Mutter.
Malessa: Noch ein Zitat, wenn Sie gestatten: "Beißende Kritik an den Praktiken der Kirche und Bejahung des Glaubens zu verbinden, halte ich – Notker Wolf – für eine weise Einstellung. Ich übe mich bis heute darin.", schreiben Sie. Welche beißende Kritik an Ihrer Kirche üben Sie denn?
Wolf: Ja, dass die Kirche immer noch sehr gerne an der Macht festhält, nicht die Kirche, das sind Kirchenleute, eben doch sehr viele, dass er auch noch meint, mit Mitren und all diesen Dingen etwas Besonderes darzustellen. Die Welt muss betrogen sein vielleicht, die braucht all diese Dinge. Ich sehe es nicht ganz ein.
Malessa: Fast 2000 Jahre katholische Kirchengeschichte lang hatten Bischöfe immer ein gespanntes Verhältnis zu Äbten. Klöster und Diözesen mögen sich bisweilen nicht. Sie sitzen in Sant’Anselmo mitten in Rom, wie ist Ihres, zum Heiligen Stuhl zum Beispiel?
Wolf: Ach, wir haben ein sehr positives Verhältnis, weil wir nicht viel miteinander zu tun haben. Ich möchte nicht mehr den Leuten auf den Wecker gehen, als unbedingt notwendig ist, und ich möchte auch nicht mehr gestört werden von anderen.
Malessa: Und wenn’s ein bayrischer Landsmann wäre.
Wolf: Ja, warum auch nicht.
Malessa: Am Ende Ihres Buches schreiben Sie, Überdruss sei ein probates Motiv, um eine Pilgerreise anzutreten. Wieso denn Überdruss?
Wolf: Ja, Überdruss, sei es überhaupt am Leben, dass man sagt, jetzt stinkt mir sozusagen alles, ich habe einfach die Schnauze voll, das Ganze gibt mir nichts mehr. Es gibt Leute, die kommen tatsächlich auch in die Position, dass sie sagen: Jetzt hab ich zwar alles hier so durchlebt, aber das macht das Leben noch nicht aus. Und dann brechen sie einfach auf.
Malessa: Und das empfehlen Sie und wollen Sie befördern durch Ihr Buch "Wohin pilgern wir?". Das Buch hat den Untertitel "Alte Wege und neue Ziele", geschrieben hat es Notker Wolf, es ist im Rowohlt-Verlag erschienen und kostet 19,90 Euro.
Er ist 69 Jahre alt, und auf den 253 Seiten seines Buches "Wohin pilgern wir?" pilgert er nicht nur nach Santiago de Compostela, sondern auch nach Altötting, Lourdes, Rom und Jerusalem. Er ist hier im Studio, einen recht schönen guten Nachmittag, Abt Notker Wolf, herzlich Willkommen!
Notker Wolf: Schönen guten Abend!
Malessa: Ich grüße Sie! Die erste Frage Ihres Buches lautet: Kann man sich den Glauben erlaufen? Und, kann man?
Wolf: Ich glaube nicht unmittelbar, man kann ihn aber auch nicht erlernen mithilfe von großen Theorien, sondern im Laufen werde ich vielleicht ein anderer Mensch, werde ich offener, kann ich überhaupt mal wieder auf andere hören. Wenn ich auf andere hören kann, kann ich vielleicht auch wieder auf Gott hören.
Malessa: Ich zitiere noch mal: "Ich glaube – sagen Sie in Ihrem Buch –, dass es eine Frömmigkeit des Körpers gibt, die mir – Notker Wolf – leichter fällt als evangelischen Christen, weil der Glaube für Katholiken nicht allein eine Angelegenheit des Herzens oder des Kopfes ist." Zitat Ende. Da habe ich mich gefragt, wie sieht die aus, diese katholisch-körperliche Frömmigkeit?
Wolf: Da ist die Freude, bei Prozessionen mitzugehen, wir benutzen das Weihwasser, wir haben also Zeichen, bekreuzigen uns, wir haben wesentlich mehr Riten, die einfach das Innere eines Menschen ausdrücken, aber auch den Menschen wiederum beeinflussen.
Malessa: Und dann widersprechen Sie noch dem inzwischen ja populär gewordenen Merksatz, der Weg sei das Ziel. Warum ist der Weg nicht das Ziel?
Wolf: Ist mir noch ein bisschen zu wenig. Der Weg ist zwar wichtig, ich würde sagen, der ist, ständig unterwegs zu sein. Ich bin ein Suchender, auch als Mönch, ich bin nie am Ziel, und trotzdem habe ich ein Ziel vor Augen, während ein Wanderer, der kann auch so wandern, das kann in sich etwas sein, wo ich meine Freude habe am Gehen, wo das Gehen allein genügt. Ein Pilger hat ein Ziel, selbst wenn er es nie erreicht, und wenn er immer wieder neu aufbricht zum Ziel.
Malessa: Für viele Pilger und Pilgerinnen ist ja das Ziel die Selbsterkenntnis, die Selbstfindung. War das bei Ihnen auch so?
Wolf: Würde ich nicht ohne Weiteres sagen. Es ist ein Aufbruch, ein Versuch, sich selber neu zu erleben, aber eben nicht ich in mir selber, sondern mit den anderen zusammen. Ganz wichtig sind die anderen, die mit unterwegs sind, die mich stützen, die mich aufmuntern, die mir aber auch mal sagen, du, da hast du ‛n Blödsinn gemacht.
Malessa: In Ihrem Heimatkloster in St. Ottilien in Bayern wird ein Armknochen der heiligen Ottilia unter dem Hochaltar ausgestellt, und Sie schreiben in Ihrem Buch dazu, Zitat: "Mit ihren Reliquien lieferte die Kirche handfeste Gründe für die Glaubwürdigkeit des christlichen Glaubens." Da habe ich mir an den Rand geschrieben, mit Verlaub, Abt Notker: Ist das sein Ernst? Ist der monströse Schwindel mit Reliquien nicht gerade ein Indiz für die Unglaubwürdigkeit?
Wolf: Also es gibt Reliquien, die nicht unbedingt einen Schwindel darstellen. Wenn Sie später mal aus meinem Grab ein Bein rausholen, dann werden Sie das nicht schreiben. Also bei der heiligen Ottilia durfte diese Armreliquie sehr wohl echt sein, stammt nämlich aus dem Elsass aus ihrem Sarg. Also von daher … Dann gibt es, die Reliquien sind eigentlich wesentlich mehr als jetzt nur, dass man da dieses Drum sozusagen hat, sondern das sind Erinnerungsstücke, Gedächtnisstücke – wenn ich an diesem Grabe oder an diesem Stück bin. Ich hab beispielsweise, mir hat jemand eine Reliquie des seligen Notker geschenkt.
Malessa: Also Ihres Namenspatrons?
Wolf: Meines Namenspatrons. Ich weiß nicht, ob das nun wirklich ein Stück von ihm ist, spielt aber auch gar nicht die Rolle. Es ist von der Tradition her mir so überliefert, und damit werde ich an meinen Namenspatron erinnert. Ich werde herausgefordert, etwas zu tun, so wie es er war.
Malessa: Und die Grenze zum abergläubischen Amulett, wo ist die?
Wolf: Ist die, warum ich mithilfe dieses Reliquienstücks oder dieser Reliquie irgendwelche Wunder bewirken möchte, Heilungen bewirken möchte, darum geht es bei mir nicht. Für mich sind das wertvolle Erinnerungsstücke, wie beispielsweise an meinen Vater oder an meine Mutter.
Malessa: Noch ein Zitat, wenn Sie gestatten: "Beißende Kritik an den Praktiken der Kirche und Bejahung des Glaubens zu verbinden, halte ich – Notker Wolf – für eine weise Einstellung. Ich übe mich bis heute darin.", schreiben Sie. Welche beißende Kritik an Ihrer Kirche üben Sie denn?
Wolf: Ja, dass die Kirche immer noch sehr gerne an der Macht festhält, nicht die Kirche, das sind Kirchenleute, eben doch sehr viele, dass er auch noch meint, mit Mitren und all diesen Dingen etwas Besonderes darzustellen. Die Welt muss betrogen sein vielleicht, die braucht all diese Dinge. Ich sehe es nicht ganz ein.
Malessa: Fast 2000 Jahre katholische Kirchengeschichte lang hatten Bischöfe immer ein gespanntes Verhältnis zu Äbten. Klöster und Diözesen mögen sich bisweilen nicht. Sie sitzen in Sant’Anselmo mitten in Rom, wie ist Ihres, zum Heiligen Stuhl zum Beispiel?
Wolf: Ach, wir haben ein sehr positives Verhältnis, weil wir nicht viel miteinander zu tun haben. Ich möchte nicht mehr den Leuten auf den Wecker gehen, als unbedingt notwendig ist, und ich möchte auch nicht mehr gestört werden von anderen.
Malessa: Und wenn’s ein bayrischer Landsmann wäre.
Wolf: Ja, warum auch nicht.
Malessa: Am Ende Ihres Buches schreiben Sie, Überdruss sei ein probates Motiv, um eine Pilgerreise anzutreten. Wieso denn Überdruss?
Wolf: Ja, Überdruss, sei es überhaupt am Leben, dass man sagt, jetzt stinkt mir sozusagen alles, ich habe einfach die Schnauze voll, das Ganze gibt mir nichts mehr. Es gibt Leute, die kommen tatsächlich auch in die Position, dass sie sagen: Jetzt hab ich zwar alles hier so durchlebt, aber das macht das Leben noch nicht aus. Und dann brechen sie einfach auf.
Malessa: Und das empfehlen Sie und wollen Sie befördern durch Ihr Buch "Wohin pilgern wir?". Das Buch hat den Untertitel "Alte Wege und neue Ziele", geschrieben hat es Notker Wolf, es ist im Rowohlt-Verlag erschienen und kostet 19,90 Euro.