Auf dem Weg ins grüne Energiezeitalter

Rudolf Steinberg im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler |
Wenn die Energiewende gelingen soll, braucht Deutschland ein größeres Stromnetz. Mit dem Netzausbaubeschleunigungsgesetz soll das gelingen. Die juristischen Hintergründe des Verfahrens erläutert der Verfassungsrechtler Rudolf Steinberg.
Jan-Christoph Kitzler: Die von der Bundesregierung ausgerufene Energiewende in Deutschland stockt, und das liegt in erster Linie nicht daran, dass es nicht genügend Windräder, Wasserkraftwerke oder Solaranlagen gäbe. Das größte Problem sind die Stromleitungen, die die Energie zum Beispiel von dort, wo der Wind weht, dahin transportieren müssen, wo sie gebraucht wird.

Das wiederum liegt natürlich daran, dass die Netzbetreiber noch viel mehr investieren müssen: 3800 Kilometer an neuen Stromleitungen werden gebraucht, um den Ausstieg aus der Atomenergie zu schaffen. Das steht im sogenannten Netzentwicklungsplan der Bundesregierung. Aber nach Angaben der Bundesnetzagentur sind davon bisher erst 214 Kilometer gebaut worden.

Seit etwa einem Jahr gilt das Netzausbaubeschleunigungsgesetz. Aber Kritiker meinen, dieses Gesetz verdient seinen Namen nicht. Über die juristischen Fallstricke beim Netzausbau spreche ich jetzt mit Rudolf Steinberg, er ist Professor für öffentliches Recht und war unter anderem acht Jahre lang Präsident der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Schönen guten Morgen!

Rudolf Steinberg: Ja, schönen guten Morgen!

Kitzler: Das Problem ist erkannt, der gute Wille ist da. Aber damit wir es genau verstehen: Wie will denn das Netzausbaubeschleunigungsgesetz den Netzausbau konkret beschleunigen?

Steinberg: Dadurch, dass die Verwaltungsverfahren, in denen die Zulassung vorbereitet wird, erheblich verändert sind gegenüber den Normalverfahren. Und das erfolgt vor allem dadurch, dass bereits zum frühstmöglichen Zeitpunkt die Öffentlichkeit, Bürgervereinigungen beteiligt werden. Das ist ein wesentlicher Fortschritt gegenüber dem bisherigen Planungsrecht. Ich denke, dass hier bereits erste Erfahrungen aus dem Debakel von Stuttgart 21 umgesetzt wurden.

Kitzler: Auf der anderen Seite sollen ja die Verfahren des Einspruchs auch verkürzt werden, unter anderem dadurch, dass es nur noch eine Instanz gibt, die am Ende zuständig ist. Ist das eigentlich verfassungsrechtlich in Ordnung?

Steinberg: Also, ich halte die Begründung der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts am Ende für nicht sehr beschleunigend. Ich glaube, wirklich realistische empirische Untersuchungen darüber existieren nicht, man hat es auch in anderen Fällen gesehen, dass die Belastung des Bundesverwaltungsgerichts mit erstinstanzlichen Verfahren, in denen auch Beweis erhoben wird, in der Augenschein vor Ort eingenommen wird, das eigentliche Geschäft, nämlich die rechtliche Überprüfung von Entscheidungen von Landesgerichten, behindert und verzögert.

Aber zu Ihrer Frage, ob das rechtlich zulässig sei: Das ist eine durchaus offene Frage. Die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts wurde begründet nach der Herstellung der deutschen Einheit, durch das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz, das gab es eine wirklich überzeugende Begründung. Es gab damals noch keine Oberverwaltungsgerichte in den neuen Bundesländern oder die waren im Aufbau, und deswegen sagte man, dann soll das Bundesverwaltungsgericht das direkt entscheiden. Man hat die Geltung dieses Gesetzes ständig verlängert und dann die erstinstanzliche Zuständigkeit auf eine ganze Reihe anderer Verfahren auch übertragen. Und jetzt scheint offensichtlich die Idee aufgekommen zu sein, auch die Verfahren nach dem NABEG, also dem Netzausbaubeschleunigungsgesetz, zum Bundesverwaltungsgericht in erster Instanz zu bringen.

Ich halte das für rechtlich sehr, sehr problematisch, auch führende Richter des Bundesverwaltungsgerichts haben ihre Bedenken geltend gemacht. Ich bin überzeugt, dass sie heute gegen den Justizausbau der Bundesrepublik Deutschland verstößt, so wie er im Grundgesetz geregelt ist, und ich wundere mich ein klein wenig, dass die Bundesländer nicht so viel Stolz haben, um dieser Entwicklung endlich Einhalt zu gebieten.

Kitzler: Wir wissen ja, dass unser föderalistisches System die Dinge oft nicht gerade beschleunigt. Müsste die Verwaltungskompetenz, damit es schneller geht, nicht eigentlich beim Bund liegen?

Steinberg: Also, die Verwaltungskompetenz hier in diesem Zulassungsverfahren ist ohnehin schon geteilt. Für die über Landesgrenzen übergreifende Planung, in denen die Trassen festgelegt werden, liegt ohnehin bei einer Bundesbehörde, der Bundesnetzagentur. Das ist auch richtig. Aber die Planfeststellungsverfahren im Einzelnen liegen bei den Ländern, und dafür spricht sehr vieles. Erstens die verfassungsrechtliche Lage, zweitens dass die Länder aufgrund ihrer Verwaltungserfahrungen, ihrer auch vor Ort Problemkenntnisse viel besser in der Lage sind, diese Verfahren zu betreiben als eine weit abseits gelegene Bundesbehörde.

Allerdings ist in dem NABEG eine Möglichkeit eröffnet, dass durch eine Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates diese Kompetenz für die Durchführung der Planfeststellungsverfahren, also der zweite Verfahrensstufe, auch der Bundesnetzagentur übertragen wird. Ich halte diese für verfassungswidrig und fürchte, dass hier eine erhebliche Rechtsunsicherheit geschaffen würde. Jedes der daraufhin zustande gekommen Planfeststellungsbeschlüsse würde sich der Gefahr aussetzen, aufgehoben zu werden, weil die Bundesnetzagentur dafür keine Zuständigkeit hat.

Kitzler: Rechtsunsicherheit ist ein gutes Stichwort. Es gab ja unter Fachleuten viel Kritik in letzter Zeit an so einigen Gesetzen, die in Kraft treten. Da gab es immer wieder Fälle, wo Gesetze dann vom Bundesverfassungsgericht kassiert wurden, weil sie handwerklich nicht sauber gemacht waren. Wie ist das denn bei diesem Gesetz, was sagt der Fachmann: saubere Arbeit oder eher ein Schnellschuss?

Steinberg: Was diese Kompetenzfrage, die Sie angesprochen haben, angeht, sicherlich: Die Erwägung war Schnelligkeit um jeden Preis. Das enthebt aber nicht von den Bindungen der Verfassung. Und deswegen bin ich skeptisch gewesen. Aber insgesamt mag dieses NABEG durchaus zu einer Beschleunigung der Zulassungsverfahren für derartige Höchstspannungsleitungen beitragen.

Ich glaube nicht, dass am Ende die Frage der gerichtlichen Instanzen die Mitwirkungsmöglichkeiten des Bürgers wesentlich verändern. Die Ausgestaltung des Verfahrens, die ist wichtig und die geht in dem neuen NABEG in eine gute, vernünftige Richtung. Wenn ich vielleicht noch einen Hinweis geben darf, was neu ist an dem Gesetz: Es ist vorgesehen, dass ein Projektmanager eingerichtet werden kann, der wesentliche Verfahrensschritte dann auch betreut, auch im Sinne einer frühzeitigen, umfassenden und kontinuierlichen Beteiligung der Bürger im Verfahren.

Kitzler: Ich habe ja vorhin die Zahlen genannt. Es ist so, dass jetzt bisher alles hinterherhinkt. Muss man diesem Gesetz zugestehen, bei einem solchen Mammutprojekt wie dem Netzausbau, wirkt das erst auf die längere Zeit?

Steinberg: Ich denke, dass man auch die Ausgestaltung der Verfahren für die Lösung dieser großen Probleme, die Sie ja richtig beschrieben haben, nicht überschätzen darf. Letztendlich ist viel wichtiger, dass es gelingt, die Bürgerinnen und Bürger davon zu überzeugen, dass diese Maßnahmen, auch wenn sie sie beeinträchtigen, notwendig sind, und dass die Bürgerinnen und Bürger und die Gemeinden, in denen sie leben, und auch die Länder keine Obstruktion betreiben. Sie können ein noch so gutes Verfahren haben, aber sie können derartige große Projekte nicht gegen den, ich sag es mal, massiven Widerstand der betroffenen Bevölkerung durchsetzen. Und deswegen ist Konsensmanagement am Ende viel wichtiger als die Ausgestaltung von Verfahrensdetails.

Kitzler: Also liegt am Ende doch nicht alles nur am Gesetz. Das war ...

Steinberg: ... nein, es liegt nicht alles am Gesetzgeber. Es liegt letztendlich auch an der Politik, die für derartige große Projekte ein hinreichendes Maß an Zustimmung besorgen muss. Das ist natürlich nicht einfach, aber Sie können nicht eine derartige gewaltige Politikänderung im Handstreich durchsetzen. Da, denke ich, ist das Problem, und das kann man dem Gesetzgeber des NABEG sicherlich nicht zum Vorwurf machen.

Kitzler: Die Fallstricke beim Netzausbau. Das war Rudolf Steinberg, Professor für öffentliches Recht und unter anderem acht Jahre lang Präsident der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Vielen Dank für das Gespräch und einen schönen ...

Steinberg: ... ich bedanke mich auch, auf Wiederhören!

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