Auf dem Weg in alte Sowjetzeiten

Von Gesine Dornblüth, Deutschlandradio-Büro Moskau · 18.07.2013
Der Oppositionelle Alexej Nawalny ist in Russland zu fünf Jahren Arbeitslager verurteilt worden. Das Urteil sei politisch motiviert und ein fatales Signal für zwölf weitere Putin-Kritiker, die in Moskau gerade vor Gericht stehen, sagt Gesine Dornblüth.
Der Oppositionelle Alexej Nawalny ist in Russland zu fünf Jahren Arbeitslager verurteilt worden. Das Urteil sei politisch motiviert und ein fatales Signal für zwölf weitere Putin-Kritiker, die in Moskau gerade vor Gericht stehen, kommentiert die Deutschlandradio-Korrespondentin Gesine Dornblüth.

Der Prozess gegen Aleksej Nawalynj war ein politischer Prozess. Daran besteht kein Zweifel. In genau derselben Sache hatte ein Gericht bereits entschieden, es läge kein Schaden vor, folglich auch keine Straftat. Es sprach Nawalnyj frei. Danach ein "besonders schweres Verbrechen" festzustellen, ist, gelinde gesagt, husarisch.

Der Hauptbelastungszeuge konnte sich während des Verhörs nicht mehr daran erinnern, was er nur wenige Monate zuvor angeblich aus freien Stücken zu Protokoll gegeben hatte. Der Sprecher der Ermittlungsbehörde schließlich sagte ganz offen, Nawalnyj habe die Mächtigen geärgert und damit Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Deshalb werde sein Fall von den Ermittlern bevorzugt behandelt. In einem Rechtsstaat wäre dieses Verfahren eingestellt und ein anderes eröffnet worden.

Von dem heutigen Urteil gehen fatale Signale aus. Zur Zeit stehen in Moskau zwölf überwiegend junge Leute vor Gericht, die letztes Jahr gegen Putin demonstrierten. Ihnen drohen mehrere Jahre Haft. Das heutige Urteil lässt vermuten: Die Richterin wird nicht zögern. Und so wird es weitergehen. Denn politische Auseinandersetzung findet in Russland längst nicht mehr in Parlamenten statt, sondern in Gerichten. Und die willfährige Justiz steht allzeit bereit, die Gegner außer Gefecht zu setzen.

Zweitens signalisiert das Urteil der friedlichen Mehrheit innerhalb der Protestbewegung: Mit weißen Schleifen zu demonstrieren, bringt letztendlich nichts. Um Aleksej Navalnyj hatten sich vor allem gebildete und wohlhabende junge Menschen und Geschäftsleute versammelt. Sie haben daran geglaubt, das Regime mit friedlichen Methoden und innerhalb des Rechtsstaates verändern zu können. Sie wurden heute Lügen gestraft.

Und von dem Urteil geht noch ein Signal aus: Die russische Justiz tut nichts gegen Korruption, sondern verfolgt diejenigen, die Korruption öffentlich machen. Genau das tun Nawalnyj und seine Mitstreiter seit Jahren. Da kann Putin noch so oft behaupten, er wolle gegen dieses Grundübel der russischen Gesellschaft kämpfen. Das nehmen ihm mittlerweile nicht mal mehr Geschäftsleute und Banker ab. Unmittelbar nach der Urteilsverkündung sanken denn auch die Aktienkurse.

Viele Experten warnen nun vor einer weiteren Abwanderung der Eliten aus Russland. Viele sind schon weg. Und nicht nur politische Oppositionelle, sondern auch führende Wirtschaftsexperten. Zunehmend stellt sich die Frage, ob die Regierenden dieses Ausbluten nur billigend in Kauf nehmen, oder ob sie es nicht wissend vorantreiben. Der Rechtsnationalist Wladimir Schirinowskij, nur pro forma oppositionell, tönte heute, wer sich – wie Nawalnyj – mit dem Westen einlasse, dem blieben nur drei Alternativen: Gefängnis, Emigration oder Selbstmord. In Südrussland sammeln junge Leute bereits Unterschriften, um Regierungsgegner die Staatsbürgerschaft zu entziehen und sie zur Ausreise zu drängen. Am Ende wird Wladimir Putin mit seinen Getreuen allein zu Hause sein.

Das ist fatal. Denn eine Gesellschaft entwickelt sich nur über einen Wettbewerb der Ideen. Anders wird Russland die gewaltigen Probleme der Zukunft nicht bewältigen können. Aber nach dem heutigen Urteil sieht es so aus, als bewege sich Russland ohnehin mit Siebenmeilenschritten in die Vergangenheit.