Auf dem rechten Auge blind?
In Sachsen-Anhalt sorgen Rechtsextremisten immer wieder für Schlagzeilen. Das Land führt die bundesweite Statistik rechtsextremer Straftaten bezogen auf die Einwohnerzahl an. Aber auch der Umgang der Polizei mit Rechtsextremismus steht in der Kritik.
Die Opposition ist fassungslos: Die Linken werden im September einen Untersuchungsausschuss einleiten, der Innenausschuss fordert fraktionsübergreifend, dass jeder Polizist in Sachsen-Anhalt im Umgang mit rechtsextremen Gewalttätern neu geschult werden müsse und die außerparlamentarischen Grünen werden eine "Arbeitsgruppe Polizeibeobachtung" gründen.
Tibo Ilboudo, seinen richtigen Namen möchte er lieber nicht nennen, Tibo Ilboudo ist einer der wenigen, die in den letzten Jahren nach Bernburg gezogen sind. Der 35-jährige stammt aus dem westafrikanischen Staat Burkina Faso. Ende der 90er Jahre beantragte er in Deutschland politisches Asyl. Über Umwege landete er schließlich in Bernburg. Ein schönes Städtchen, sagt Tibo Ilboudo, er habe hier gerne gelebt. Alles sei so schön renoviert und Ärger habe es auch nie mit den Bewohnern gegeben. Das alles aber sollte sich am Abend des 29. Juli 2006 ändern. Der 35-jährige lief gegen 19 Uhr 30 die Bahnhofsstraße entlang. Vor Ladenschluss wollte er sich noch schnell etwas zu Essen kaufen. Plötzlich hielt ein Auto neben ihm an. Einer der Insassen stieg aus, rief ihm 'Hau ab' zu und urwaldähnliche Laute wie 'Ho, ho, ho'. Zeigte ihm die Faust und den Mittelfinger. Tibo Ilboudo bekam Angst, lief davon. Der stämmige Mann mit den kurz geschorenen Haaren rannte hinterher. Schließlich konnte sich der Westafrikaner in ein Polizeirevier retten. Zitternd berichtete er dem Beamten, was ihm gerade zugestoßen war:
"Man hat mir gefolgt, hat gesagt hau ab, ich habe alles gezeigt, wie man hat gemacht und ich habe gesagt, ich wollte Anzeige machen. Dann sie haben gesagt, aber man hat nicht gesagt, er will dich töten. Was hat man eigentlich gesagt? Hat er gesagt, er will dich umbringen? Nein, das habe ich nicht gehört. Und sie haben gesagt, aber wenn er hat alles das nicht gemacht, wir können nicht diese Anzeige nehmen."
Tibo Ilboudo wollte im ersten Moment nicht so recht glauben, was er da hörte. Ein zweites Mal versuchte er den Polizisten davon zu überzeugen, dass ihn vor wenigen Minuten ein unbekannter Mann auf der Bahnhofstraße bedroht und beleidigt habe.
"Ich fühle mich in Problem, ich komme zu Sie, Sie sagen, sie nehmen nicht meine Anzeige, Sie sagen, wir haben keinen Grund deine Anzeige zu nehmen. Er hat nicht gesagt, dass er bringt dich um. Er hat auch nicht gesagt Neger, dann ich habe gesagt, aber er hat mich gefolgt, warum er folgt mir?"
Darauf kann sich der Beamte anscheinend keinen Reim machen. Auch nicht, nachdem er mit Tibo Ilboudo zum Tatort geht und dort den vermeintlichen Täter antrifft. Der stellt den Sachverhalt anders da, sagt, er wolle mit Schwarzafrikanern nichts zu tun haben. Der Beamte nimmt die Personalien des Mannes auf. Staatschützern aus Dessau ist Mario W. kein Unbekannter.
Wulf Gallert, Fraktionsvorsitzender der Linkspartei in Sachsen-Anhalt sitzt in seinem Büro und schüttelt entgeistert den Kopf. Dieser Vorfall sei leider kein Einzelfall, sagt der Politiker:
"Es gibt Hunderte von Polizisten, die jedes Wochenende versuchen, rechtsextreme Treffen zu verhindern. Die wirklich ihr Leib und Leben dafür einsetzen. Und deren Einsatz wird dadurch konterkariert, dass an anderer Stelle Polizisten wegschauen, ignorieren und dadurch Vorschub leisten rechtsextremen Gedankenguts."
SPD-Innenminister Holger Hövelmann hat von Anfang an den Rechtsextremen im Land den Kampf angesagt. Der 40-jährige Holger Hövelmann spricht klare Worte. Schickt einen offenen Brief an alle Polizisten im Land. Fordert sie auf zum Kampf gegen den Rechtsextremismus mit dem Zitat: 'Das Engagement jedes Einzelnen von Ihnen an seinem Arbeitsplatz und darüber hinaus ist gefragt'."
Im Mai dieses Jahres macht ein Vorfall in der Staatsschutzabteilung der Polizeidirektion Dessau bundesweit Schlagzeilen. Der Tagesspiegel schreibt: Polizeichef in Sachsen-Anhalt soll versucht haben, die Bekämpfung rechter Kriminalität zu bremsen. Unter den sechs Polizeidirektionen in Sachsen-Anhalt meldete im Jahr 2006 die in Dessau den höchsten Anstieg rechter Kriminalität. Die Zahl hatte sich zwischen 2004 und 2006 verdreifacht. Über 600 Ermittlungsverfahren bearbeitete das Team um Sven Gratzik, Chef des Fachkommissariats. Nicht, dass es plötzlich mehr Nazis in der Bauhausstadt gegeben habe, sagt Steffen Andersch, der in Dessau die Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus leitet. Gratzik und seine Kollegen haben nun genauer hingeschaut.
"Man hatte von da an tatsächlich den Eindruck, dass der Rechtsextremismus zur Chefsache bei der Polizei Staatsschutz hier in der Region erklärt wurde. Das konnte man daran erkennen, dass der Repressionsdruck in der gewaltbereiten, gewalttätigen Neonazi-Szene anstieg. Die Beamten haben näher hingeguckt, sie haben Präsenz gezeigt, sie hatten sehr viele Ermittlungsverfahren eröffnet auch wegen so genannter Propagandadelikte, Verwendung von Symbolen verfassungswidriger Organisationen z.B. auch im Internet."
Doch die Staatsschützer stießen mit ihrem Engagement anscheinend nicht überall auf Gegenliebe. Im Februar wurden drei von ihnen, darunter auch Sven Gratzik, vom Vizepräsidenten der Dessauer Polizeidirektion zu einem informellen Gespräch gebeten. Was sie dann zu hören kriegen, verschlägt ihnen erst einmal die Sprache. Nach mehreren Beratungen untereinander halten die drei Staatsschützer schließlich die Inhalte des Gesprächs in einem Gedächtnisprotokoll fest. Das gerät im Mai an die Öffentlichkeit, bringt die Affäre ins Rollen. Der Dessauer Polizei-Vizechef Hans-Christoph Glombitzer soll den drei Staatsschützern bei ihrer Arbeit unter anderem geraten haben, Zitat:
"Dass man nicht alles sehen müsse. Herr Glombitza führte dazu aus, dass man einen Bericht ja auch langsamer schreiben könnte und gestikulierte dabei das Tippen auf der PC-Tastatur mit nur zwei Fingern. Ferner erklärte Herr Glombitza, dass der zur Verfügung stehende Personalbestand nun mal nur begrenzte Möglichkeiten biete und man sich damit abfinden müsse, bestimmte Dinge unerledigt zu lassen".
Im weiteren Gesprächsverlauf soll der Vize-Polizeichef den Anstieg rechtsextremistischer Straftaten und die Höhe der Ermittlungsverfahren aus dem Jahr 2006 angesprochen haben. Ein weiteres Zitat aus dem Gedächtnisprotokoll:
"Dazu merkte Herr Glombitza sinngemäß an, dass darüber niemand glücklich sei. Das Innenministerium ist nicht glücklich, das Landeskriminalamt ist nicht glücklich und die übrigen Polizeidirektionen sind ebenfalls über diesen Anstieg nicht glücklich. Darüber hinaus wird das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung empfindlich gestört und das Ansehen unseres Landes könnte nachhaltig geschadet werden."
Die drei Staatsschützer haben in dem Gespräch ihr Engagement mit der landesweiten Kampagne "Hingucken" gerechtfertigt. Ministerpräsident Wolfgang Böhmer hatte sie Ende 2006 ins Leben gerufen. In diesem Zusammenhang hatte auch Innenminister Holger Hövelmann seine Beamten ermuntert, ihren Einsatz gegen politisch motivierte Kriminalität zu erhöhen. Im Gedächtnisprotokoll steht, Zitat:
"Dazu erklärte Herr Glombitza, dass der Innenminister als politischer Akteur gar keine andere Wahl hat. Aber das ist doch nur für die Galerie und das dürfen sie nicht ernst nehmen."
Mag sein, dass man den drei Staatsschützern manchmal ein Art Übereifer bei ihrer Arbeit unterstellen kann. Mag sein, dass es persönliche Ressentiments gegenüber Vorgesetzen gab, weil sie einer Fortbildung nicht zustimmen wollten. Doch dass es allein Rachegelüste waren, die die drei Staatschützer schließlich dazu bewogen, das Gedächtnisprotokoll zu verfassen, erscheint angesichts der Inhalte belanglos. Der Polizei-Vizepräsident Glombitza hat die ihm zugeschrieben Zitate auch später nicht abgestritten. Nur seien sie aus dem Zusammenhang gerissen worden, heißt es in einem unabhängigen Untersuchungsbericht. SPD-Innenminister Holger Hövelmann bezeichnet die Affäre in Dessau als eine Mischung aus einer Verquickung fachlicher Defizite, menschlichem Versagen und Problemen zwischenmenschlicher Natur. Die aus dem Zusammenhang gerissen Zitate des Vizepräsidenten verurteilt er allerdings scharf:
"Ich finde die völlig daneben und habe das auch in einem Schreiben nach Auswertung des entsprechenden Berichts des Untersuchungsführers Herrn Glombitza gegenüber deutlich zum Ausdruck gebracht. Das musste auch sein."
Holger Hövelmann sieht in der Dessauer Affäre einen Einzelfall. Was ihn weitaus mehr beunruhigt, sind die zum Teil handwerklichen Fehler, die einigen Polizisten im Zusammenhang mit rechtsextremistischen oder fremdenfeindlichen Straftaten in der vergangenen Zeit unterlaufen sind. Orte wie Pömmelte, Parey und Pretzien wurden über Nacht bundesweit bekannt und zum Synonym rechter Gewalt. Verheerende Bildungslücken offenbarten sich bei einigen Beamten, die das Tagebuch der Anne Frank für das Poesiealbum einer Pubertierenden hielten. Eine Taschenbuchausgabe war während einer Sonnenwendfeier verbrannt worden. Hövelmann warnt jedoch davor, das Verhalten der Polizisten zu verallgemeinern.
"Wir müssen aufpassen, dass wir nicht die Polizei in Gänze, so dieser Vorwurf, auf dem rechten Auge blind in ein Licht stellen, was erstens nicht der Realität entspricht und was zweitens eine katastrophale Folgewirkung hat."
Von allen Bundesländern in Deutschland hat Sachsen-Anhalt mit 1,9 Prozent den geringsten Ausländeranteil. Trotzdem ist es im bundesweiten Vergleich das Land mit den meisten rechtsextremen Gewalttaten. In Zahlen heißt das: Im Durchschnitt wurden fünf Gewalttaten je 100.000 Einwohner verübt. Da sei es doch nur logisch, argumentiert der Innenminister, dass das Fehlerpotential in der polizeilichen Arbeit in Sachsen-Anhalt höher liege als in anderen Bundesländern. Doch weder in Qualität noch Quantität stünde die polizeiliche Arbeit in Sachsen-Anhalt hinter der in anderen Bundesländern zurück. Aber, gibt der SPD-Politiker offen zu, es gebe Mängel in der beruflichen Weiterbildung. Das hätten vor allem die Vorfälle in Burg und Halberstadt gezeigt.
Hövelmann: "Ein strukturelles Problem ist, dass wir offensichtlich einen Qualifikationsmangel haben, den wir beheben müssen durch permanente Fortbildung auch während des Dienstes. Wir müssen die Beamten mit den Erscheinungsformen des Rechtsextremismus vertraut machen. Wie erkenne ich das überhaupt? Ist das strafbewährt, ja oder nein? Wie kann ich als Beamter einschreiten? Wir haben oft eine Situation, wo innerhalb von Sekunden ein Beamter entscheiden muss: 'Ich gehe jetzt dazwischen, ich nehme jetzt jemanden in Gewahrsam, ich erteile jetzt einen Platzverweis.' Und das muss natürlich auf rechtsstaatlich sauberer Grundlage erfolgen."
In Halberstadt überfielen vier Neonazis eine Theatergruppe. Den Streifenpolizisten wurde massives Fehlverhalten vorgeworfen, weil sie die Tatverdächtigen nicht in Gewahrsam nahmen, sondern einfach wieder laufen ließen. In Burg wollte ein Dienstgruppenleiter keine Verstärkung schicken, obwohl ihn zwei seiner Streifenpolizisten darum gebeten hatten. Eine vietnamesische Familie war nachts von den angetrunkenen Nachbarn beleidigt und bedroht worden. Weil die beiden Polizisten der Situation nicht Herr wurden, verließ die vierköpfige Familie schließlich die eigene Wohnung. Johann Lottmann, neuer Polizeipräsident der Polizeidirektion Magdeburg, kann sich das Fehlverhalten des Dienstgruppenleiters und seines Stellvertreter kaum erklären:
"Sie haben in einem Kernbereich der polizeilichen Kultur versagt. Nämlich dass sie Opfern nicht zur Seite gestanden haben. Die Familie hatte so viel Angst, dass man in der Nacht aus der eigenen Wohnung ausgezogen ist mit den Kindern und in den Laden gegangen ist und da auf dem Fußboden geschlafen hat. Das ist mir so unter die Haut gegangen, das ist so schwerwiegend, dass ich das eigentlich Polizeibeamten nicht zutrauen mag."
Beide Beamte ließ Johann Lottmann sofort versetzen. Mit Führungsaufgaben sollen sie in geraumer Zeit nicht betraut werden. Ein strukturelles Problem innerhalb der Polizei gebe es aber nicht, sagt Lottmann. Trotzdem unterstützt er den Vorstoß seines Innenministers. Holger Hövelmann hat mehrere Experten damit beauftragt, ein neues Programm auszuarbeiten. In den Seminaren sollen künftig Polizisten noch einmal verstärkt im Umgang mit rechtsextremer Kriminalität geschult werden.
Die Landesgeschäftsstelle von Bündnis 90/Die Grünen in Magdeburg. Vor sechs Wochen haben die Mitglieder eine elfköpfige Arbeitsgruppe gegründet. Sie wollen die Versäumnisse der Polizei im Kampf gegen den Rechtsextremismus aufarbeiten. Dem Gremium gehören zudem Vertreter von Opferverbänden und Anti-Rechts-Initiativen an. Prominentestes Mitglied ist Uta Leichsenring. Sie leitet die Außenstelle für die Stasi-Unterlagen in Halle und war Polizeipräsidentin in Eberswalde.
An diesem Dienstag sitzen auch ein Rechtsanwalt und ein Sprecher der Gewerkschaft der Polizei Sachsen-Anhalt mit am Tisch. Um die Vorfälle besser beurteilen zu können, müssen wir alle Informationskanäle ausschöpfen, sagt Landesvorsitzender Christoph Erdmenger. Der innenpolitischen Sprechers der CDU, Jens Kolze, bezeichnete die Arbeitsgruppe als Schnüffeltruppe. Christoph Erdmenger lächelt, man habe wohl einen wunden Punkt getroffen:
"Es fehlt uns ganz eindeutig an Transparenz. Man hat nach außen den Eindruck, dass die Polizei in einer Wagenburgmentalität in erster Linie versucht, sich selber zu schützen. Man weiß nicht, ob drinnen entsprechende Mechanismen wirken, die sagen, wir schließen diese Vorfälle in Zukunft aus. Und das hat natürlich die fatale Konsequenz, kann ich eigentlich der Polizei trauen, wenn es rechtsradikale Überfälle gibt oder brauche ich auf die Polizei eigentlich nicht zu zählen."
Im Herbst will Christoph Erdmenger den Bericht der Arbeitsgruppe der Öffentlichkeit vorstellen. Aber schon steht für ihn fest, dass sich innerhalb der Polizeiausbildung einiges ändern müsse.
"Wir haben ja Situationen erlebt, in denen die Polizisten offenbar überfordert waren, mit Menschen anderer Herkunft umzugehen und sie als Opfer auch adäquat zu behandeln. Eine Empathie für die Opfer zu entwickeln, war ihnen offenbar nicht möglich."
Jeder Polizist, der in Sachsen-Anhalt den mittleren oder gehobenen Dienst anstrebt, muss auf die Polizeifachhochschule nach Aschersleben. Dort arbeitet Hans-Joachim Asmus. Der Professor für Soziologie bildet die angehenden Kommissare und Polizeimeister psychologisch, pädagogisch und in der politischen Bildung aus. Er fragt sich selbstkritisch, warum in letzter Zeit so viele Fehler innerhalb der Polizei in Sachsen-Anhalt passierten.
"Ich bin mir da sehr unsicher. Im Grunde wissen wir eigentlich nicht - und das ist meines Erachtens der Kern der Geschichte - , scheitern die Beamten, weil ihnen die richtige Einstellung gegenüber rechtsextremistischen Straftätern und Straftaten fehlt. Oder handelt es sich um Handwerksfehler. Da müssten sich diese Ereignisse eben auch bei anderen Einsätzen zeigen, wo es nicht um politischen Extremismus geht."
Asmus fordert eine wissenschaftliche Analyse der Vorgänge, bislang gebe es nur vorschnelle Interpretationen. Er denkt stattdessen laut über einen Workshop nach. Dort könne dann überhaupt einmal offen diskutiert werden, ob der einzelne Polizist womöglich gewissen Vorurteilen aufsitze oder eben auch nicht. So bekäme man eine empirisch angeleitete Vorstellung und spekuliere nicht mehr darüber, woran es eventuell kranken könnte. Ein hehrer Anspruch, den der Politikwissenschaftler Roland Roth gerne unterstützen würde. Der Professor lehrt an der Fachhochschule Magdeburg und beobachtet seit fast fünfzehn Jahren die politischen Entwicklungen in Sachsen-Anhalt. Dass die offensive Linie des SPD-Innenministers im Kampf gegen den Rechtsextremismus noch nicht bei jedem Polizisten in Fleisch und Blut übergegangen ist, wundert ihn nicht.
"Wenn man die Politik der Landesregierung beschreiben will, dann muss man diese unterschiedlichen Kräfte sehen, es gibt durchaus Wohlmeinende, die durchaus sehen und viel tun wollen. Aber eben auch Bremser, die immer wieder das Thema sozusagen runter schreiben und runter debattieren und vor allem in ihren Bereichen nichts tun."
Das noch größere Problem liegt für den Politikwissenschaftler Roth allerdings in den Strukturen der Polizei. Die Ausbildung sei kaserniert, es regiere der Korpsgeist, statt demokratischer Tugenden würde eher Unterordnen vermittelt werden.
"Gelernt werden Verhaltensregeln, die noch einmal in dem Skandal in Dessau überdeutlich geworden sind, wo eben ein Vorgesetzter sagen kann, da gucken sie nicht so genau hin, sonst gehen die Zahlen zu hoch. Das ist von keinem gewünscht und dann einen Innenminister, der an dieser Stelle kneift und diesen Mann nicht in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Es wäre sehr leicht gewesen, auch symbolisch zu zeigen: 'Hör mal, Junge. So geht’s nicht. Du kannst nicht meine neue Linie auf diese Art hintertreiben. Seit dieser Zeit ist Hövelmann sozusagen kaum mehr glaubwürdig."
Zurück nach Bernburg an der Saale. Tibo Ilboudo lebt schon länger nicht mehr hier. Heute ist er noch einmal zurück gekehrt. Gemeinsam mit einer Betreuerin der Mobilen Opferbeberatung ist er auf dem Weg ins Amtsgericht. Im Saal 119 wird über seine Strafanzeige verhandelt. Der Staatsanwalt hat einen Strafbefehl in Höhe von 1800 Euro wegen Beleidigung beantragt. Der Richter gibt Tibo Ilboudo ausgiebig Zeit, die Geschehnisse von damals noch einmal zu beschreiben. Wenn ihm etwas unklar ist, fragt er freundlich nach, eine Dolmetscherin übersetzt. Tibo Ilboudo fühlt sich diesmal verstanden. Auch menschlich, sagt er und lächelt. Nach der zweistündigen Verhandlung wird der Angeklagte schließlich wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe in Höhe von 3600 Euro verurteilt.
"Ich war richtig überrascht, wenn die Polizisten nicht die Anzeige wollen nehmen. Ich war richtig überrascht. Aber ich weiß, Deutschland ist ein demokratisches Land. Gott sei Dank heute wir haben einen Prozess gekriegt."
Die Justiz, sagt Richter André Stelzner am Ende laut zum Angeklagten, dulde nicht, dass Migranten in diesem Land verbal beleidigt würden.
Tibo Ilboudo, seinen richtigen Namen möchte er lieber nicht nennen, Tibo Ilboudo ist einer der wenigen, die in den letzten Jahren nach Bernburg gezogen sind. Der 35-jährige stammt aus dem westafrikanischen Staat Burkina Faso. Ende der 90er Jahre beantragte er in Deutschland politisches Asyl. Über Umwege landete er schließlich in Bernburg. Ein schönes Städtchen, sagt Tibo Ilboudo, er habe hier gerne gelebt. Alles sei so schön renoviert und Ärger habe es auch nie mit den Bewohnern gegeben. Das alles aber sollte sich am Abend des 29. Juli 2006 ändern. Der 35-jährige lief gegen 19 Uhr 30 die Bahnhofsstraße entlang. Vor Ladenschluss wollte er sich noch schnell etwas zu Essen kaufen. Plötzlich hielt ein Auto neben ihm an. Einer der Insassen stieg aus, rief ihm 'Hau ab' zu und urwaldähnliche Laute wie 'Ho, ho, ho'. Zeigte ihm die Faust und den Mittelfinger. Tibo Ilboudo bekam Angst, lief davon. Der stämmige Mann mit den kurz geschorenen Haaren rannte hinterher. Schließlich konnte sich der Westafrikaner in ein Polizeirevier retten. Zitternd berichtete er dem Beamten, was ihm gerade zugestoßen war:
"Man hat mir gefolgt, hat gesagt hau ab, ich habe alles gezeigt, wie man hat gemacht und ich habe gesagt, ich wollte Anzeige machen. Dann sie haben gesagt, aber man hat nicht gesagt, er will dich töten. Was hat man eigentlich gesagt? Hat er gesagt, er will dich umbringen? Nein, das habe ich nicht gehört. Und sie haben gesagt, aber wenn er hat alles das nicht gemacht, wir können nicht diese Anzeige nehmen."
Tibo Ilboudo wollte im ersten Moment nicht so recht glauben, was er da hörte. Ein zweites Mal versuchte er den Polizisten davon zu überzeugen, dass ihn vor wenigen Minuten ein unbekannter Mann auf der Bahnhofstraße bedroht und beleidigt habe.
"Ich fühle mich in Problem, ich komme zu Sie, Sie sagen, sie nehmen nicht meine Anzeige, Sie sagen, wir haben keinen Grund deine Anzeige zu nehmen. Er hat nicht gesagt, dass er bringt dich um. Er hat auch nicht gesagt Neger, dann ich habe gesagt, aber er hat mich gefolgt, warum er folgt mir?"
Darauf kann sich der Beamte anscheinend keinen Reim machen. Auch nicht, nachdem er mit Tibo Ilboudo zum Tatort geht und dort den vermeintlichen Täter antrifft. Der stellt den Sachverhalt anders da, sagt, er wolle mit Schwarzafrikanern nichts zu tun haben. Der Beamte nimmt die Personalien des Mannes auf. Staatschützern aus Dessau ist Mario W. kein Unbekannter.
Wulf Gallert, Fraktionsvorsitzender der Linkspartei in Sachsen-Anhalt sitzt in seinem Büro und schüttelt entgeistert den Kopf. Dieser Vorfall sei leider kein Einzelfall, sagt der Politiker:
"Es gibt Hunderte von Polizisten, die jedes Wochenende versuchen, rechtsextreme Treffen zu verhindern. Die wirklich ihr Leib und Leben dafür einsetzen. Und deren Einsatz wird dadurch konterkariert, dass an anderer Stelle Polizisten wegschauen, ignorieren und dadurch Vorschub leisten rechtsextremen Gedankenguts."
SPD-Innenminister Holger Hövelmann hat von Anfang an den Rechtsextremen im Land den Kampf angesagt. Der 40-jährige Holger Hövelmann spricht klare Worte. Schickt einen offenen Brief an alle Polizisten im Land. Fordert sie auf zum Kampf gegen den Rechtsextremismus mit dem Zitat: 'Das Engagement jedes Einzelnen von Ihnen an seinem Arbeitsplatz und darüber hinaus ist gefragt'."
Im Mai dieses Jahres macht ein Vorfall in der Staatsschutzabteilung der Polizeidirektion Dessau bundesweit Schlagzeilen. Der Tagesspiegel schreibt: Polizeichef in Sachsen-Anhalt soll versucht haben, die Bekämpfung rechter Kriminalität zu bremsen. Unter den sechs Polizeidirektionen in Sachsen-Anhalt meldete im Jahr 2006 die in Dessau den höchsten Anstieg rechter Kriminalität. Die Zahl hatte sich zwischen 2004 und 2006 verdreifacht. Über 600 Ermittlungsverfahren bearbeitete das Team um Sven Gratzik, Chef des Fachkommissariats. Nicht, dass es plötzlich mehr Nazis in der Bauhausstadt gegeben habe, sagt Steffen Andersch, der in Dessau die Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus leitet. Gratzik und seine Kollegen haben nun genauer hingeschaut.
"Man hatte von da an tatsächlich den Eindruck, dass der Rechtsextremismus zur Chefsache bei der Polizei Staatsschutz hier in der Region erklärt wurde. Das konnte man daran erkennen, dass der Repressionsdruck in der gewaltbereiten, gewalttätigen Neonazi-Szene anstieg. Die Beamten haben näher hingeguckt, sie haben Präsenz gezeigt, sie hatten sehr viele Ermittlungsverfahren eröffnet auch wegen so genannter Propagandadelikte, Verwendung von Symbolen verfassungswidriger Organisationen z.B. auch im Internet."
Doch die Staatsschützer stießen mit ihrem Engagement anscheinend nicht überall auf Gegenliebe. Im Februar wurden drei von ihnen, darunter auch Sven Gratzik, vom Vizepräsidenten der Dessauer Polizeidirektion zu einem informellen Gespräch gebeten. Was sie dann zu hören kriegen, verschlägt ihnen erst einmal die Sprache. Nach mehreren Beratungen untereinander halten die drei Staatsschützer schließlich die Inhalte des Gesprächs in einem Gedächtnisprotokoll fest. Das gerät im Mai an die Öffentlichkeit, bringt die Affäre ins Rollen. Der Dessauer Polizei-Vizechef Hans-Christoph Glombitzer soll den drei Staatsschützern bei ihrer Arbeit unter anderem geraten haben, Zitat:
"Dass man nicht alles sehen müsse. Herr Glombitza führte dazu aus, dass man einen Bericht ja auch langsamer schreiben könnte und gestikulierte dabei das Tippen auf der PC-Tastatur mit nur zwei Fingern. Ferner erklärte Herr Glombitza, dass der zur Verfügung stehende Personalbestand nun mal nur begrenzte Möglichkeiten biete und man sich damit abfinden müsse, bestimmte Dinge unerledigt zu lassen".
Im weiteren Gesprächsverlauf soll der Vize-Polizeichef den Anstieg rechtsextremistischer Straftaten und die Höhe der Ermittlungsverfahren aus dem Jahr 2006 angesprochen haben. Ein weiteres Zitat aus dem Gedächtnisprotokoll:
"Dazu merkte Herr Glombitza sinngemäß an, dass darüber niemand glücklich sei. Das Innenministerium ist nicht glücklich, das Landeskriminalamt ist nicht glücklich und die übrigen Polizeidirektionen sind ebenfalls über diesen Anstieg nicht glücklich. Darüber hinaus wird das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung empfindlich gestört und das Ansehen unseres Landes könnte nachhaltig geschadet werden."
Die drei Staatsschützer haben in dem Gespräch ihr Engagement mit der landesweiten Kampagne "Hingucken" gerechtfertigt. Ministerpräsident Wolfgang Böhmer hatte sie Ende 2006 ins Leben gerufen. In diesem Zusammenhang hatte auch Innenminister Holger Hövelmann seine Beamten ermuntert, ihren Einsatz gegen politisch motivierte Kriminalität zu erhöhen. Im Gedächtnisprotokoll steht, Zitat:
"Dazu erklärte Herr Glombitza, dass der Innenminister als politischer Akteur gar keine andere Wahl hat. Aber das ist doch nur für die Galerie und das dürfen sie nicht ernst nehmen."
Mag sein, dass man den drei Staatsschützern manchmal ein Art Übereifer bei ihrer Arbeit unterstellen kann. Mag sein, dass es persönliche Ressentiments gegenüber Vorgesetzen gab, weil sie einer Fortbildung nicht zustimmen wollten. Doch dass es allein Rachegelüste waren, die die drei Staatschützer schließlich dazu bewogen, das Gedächtnisprotokoll zu verfassen, erscheint angesichts der Inhalte belanglos. Der Polizei-Vizepräsident Glombitza hat die ihm zugeschrieben Zitate auch später nicht abgestritten. Nur seien sie aus dem Zusammenhang gerissen worden, heißt es in einem unabhängigen Untersuchungsbericht. SPD-Innenminister Holger Hövelmann bezeichnet die Affäre in Dessau als eine Mischung aus einer Verquickung fachlicher Defizite, menschlichem Versagen und Problemen zwischenmenschlicher Natur. Die aus dem Zusammenhang gerissen Zitate des Vizepräsidenten verurteilt er allerdings scharf:
"Ich finde die völlig daneben und habe das auch in einem Schreiben nach Auswertung des entsprechenden Berichts des Untersuchungsführers Herrn Glombitza gegenüber deutlich zum Ausdruck gebracht. Das musste auch sein."
Holger Hövelmann sieht in der Dessauer Affäre einen Einzelfall. Was ihn weitaus mehr beunruhigt, sind die zum Teil handwerklichen Fehler, die einigen Polizisten im Zusammenhang mit rechtsextremistischen oder fremdenfeindlichen Straftaten in der vergangenen Zeit unterlaufen sind. Orte wie Pömmelte, Parey und Pretzien wurden über Nacht bundesweit bekannt und zum Synonym rechter Gewalt. Verheerende Bildungslücken offenbarten sich bei einigen Beamten, die das Tagebuch der Anne Frank für das Poesiealbum einer Pubertierenden hielten. Eine Taschenbuchausgabe war während einer Sonnenwendfeier verbrannt worden. Hövelmann warnt jedoch davor, das Verhalten der Polizisten zu verallgemeinern.
"Wir müssen aufpassen, dass wir nicht die Polizei in Gänze, so dieser Vorwurf, auf dem rechten Auge blind in ein Licht stellen, was erstens nicht der Realität entspricht und was zweitens eine katastrophale Folgewirkung hat."
Von allen Bundesländern in Deutschland hat Sachsen-Anhalt mit 1,9 Prozent den geringsten Ausländeranteil. Trotzdem ist es im bundesweiten Vergleich das Land mit den meisten rechtsextremen Gewalttaten. In Zahlen heißt das: Im Durchschnitt wurden fünf Gewalttaten je 100.000 Einwohner verübt. Da sei es doch nur logisch, argumentiert der Innenminister, dass das Fehlerpotential in der polizeilichen Arbeit in Sachsen-Anhalt höher liege als in anderen Bundesländern. Doch weder in Qualität noch Quantität stünde die polizeiliche Arbeit in Sachsen-Anhalt hinter der in anderen Bundesländern zurück. Aber, gibt der SPD-Politiker offen zu, es gebe Mängel in der beruflichen Weiterbildung. Das hätten vor allem die Vorfälle in Burg und Halberstadt gezeigt.
Hövelmann: "Ein strukturelles Problem ist, dass wir offensichtlich einen Qualifikationsmangel haben, den wir beheben müssen durch permanente Fortbildung auch während des Dienstes. Wir müssen die Beamten mit den Erscheinungsformen des Rechtsextremismus vertraut machen. Wie erkenne ich das überhaupt? Ist das strafbewährt, ja oder nein? Wie kann ich als Beamter einschreiten? Wir haben oft eine Situation, wo innerhalb von Sekunden ein Beamter entscheiden muss: 'Ich gehe jetzt dazwischen, ich nehme jetzt jemanden in Gewahrsam, ich erteile jetzt einen Platzverweis.' Und das muss natürlich auf rechtsstaatlich sauberer Grundlage erfolgen."
In Halberstadt überfielen vier Neonazis eine Theatergruppe. Den Streifenpolizisten wurde massives Fehlverhalten vorgeworfen, weil sie die Tatverdächtigen nicht in Gewahrsam nahmen, sondern einfach wieder laufen ließen. In Burg wollte ein Dienstgruppenleiter keine Verstärkung schicken, obwohl ihn zwei seiner Streifenpolizisten darum gebeten hatten. Eine vietnamesische Familie war nachts von den angetrunkenen Nachbarn beleidigt und bedroht worden. Weil die beiden Polizisten der Situation nicht Herr wurden, verließ die vierköpfige Familie schließlich die eigene Wohnung. Johann Lottmann, neuer Polizeipräsident der Polizeidirektion Magdeburg, kann sich das Fehlverhalten des Dienstgruppenleiters und seines Stellvertreter kaum erklären:
"Sie haben in einem Kernbereich der polizeilichen Kultur versagt. Nämlich dass sie Opfern nicht zur Seite gestanden haben. Die Familie hatte so viel Angst, dass man in der Nacht aus der eigenen Wohnung ausgezogen ist mit den Kindern und in den Laden gegangen ist und da auf dem Fußboden geschlafen hat. Das ist mir so unter die Haut gegangen, das ist so schwerwiegend, dass ich das eigentlich Polizeibeamten nicht zutrauen mag."
Beide Beamte ließ Johann Lottmann sofort versetzen. Mit Führungsaufgaben sollen sie in geraumer Zeit nicht betraut werden. Ein strukturelles Problem innerhalb der Polizei gebe es aber nicht, sagt Lottmann. Trotzdem unterstützt er den Vorstoß seines Innenministers. Holger Hövelmann hat mehrere Experten damit beauftragt, ein neues Programm auszuarbeiten. In den Seminaren sollen künftig Polizisten noch einmal verstärkt im Umgang mit rechtsextremer Kriminalität geschult werden.
Die Landesgeschäftsstelle von Bündnis 90/Die Grünen in Magdeburg. Vor sechs Wochen haben die Mitglieder eine elfköpfige Arbeitsgruppe gegründet. Sie wollen die Versäumnisse der Polizei im Kampf gegen den Rechtsextremismus aufarbeiten. Dem Gremium gehören zudem Vertreter von Opferverbänden und Anti-Rechts-Initiativen an. Prominentestes Mitglied ist Uta Leichsenring. Sie leitet die Außenstelle für die Stasi-Unterlagen in Halle und war Polizeipräsidentin in Eberswalde.
An diesem Dienstag sitzen auch ein Rechtsanwalt und ein Sprecher der Gewerkschaft der Polizei Sachsen-Anhalt mit am Tisch. Um die Vorfälle besser beurteilen zu können, müssen wir alle Informationskanäle ausschöpfen, sagt Landesvorsitzender Christoph Erdmenger. Der innenpolitischen Sprechers der CDU, Jens Kolze, bezeichnete die Arbeitsgruppe als Schnüffeltruppe. Christoph Erdmenger lächelt, man habe wohl einen wunden Punkt getroffen:
"Es fehlt uns ganz eindeutig an Transparenz. Man hat nach außen den Eindruck, dass die Polizei in einer Wagenburgmentalität in erster Linie versucht, sich selber zu schützen. Man weiß nicht, ob drinnen entsprechende Mechanismen wirken, die sagen, wir schließen diese Vorfälle in Zukunft aus. Und das hat natürlich die fatale Konsequenz, kann ich eigentlich der Polizei trauen, wenn es rechtsradikale Überfälle gibt oder brauche ich auf die Polizei eigentlich nicht zu zählen."
Im Herbst will Christoph Erdmenger den Bericht der Arbeitsgruppe der Öffentlichkeit vorstellen. Aber schon steht für ihn fest, dass sich innerhalb der Polizeiausbildung einiges ändern müsse.
"Wir haben ja Situationen erlebt, in denen die Polizisten offenbar überfordert waren, mit Menschen anderer Herkunft umzugehen und sie als Opfer auch adäquat zu behandeln. Eine Empathie für die Opfer zu entwickeln, war ihnen offenbar nicht möglich."
Jeder Polizist, der in Sachsen-Anhalt den mittleren oder gehobenen Dienst anstrebt, muss auf die Polizeifachhochschule nach Aschersleben. Dort arbeitet Hans-Joachim Asmus. Der Professor für Soziologie bildet die angehenden Kommissare und Polizeimeister psychologisch, pädagogisch und in der politischen Bildung aus. Er fragt sich selbstkritisch, warum in letzter Zeit so viele Fehler innerhalb der Polizei in Sachsen-Anhalt passierten.
"Ich bin mir da sehr unsicher. Im Grunde wissen wir eigentlich nicht - und das ist meines Erachtens der Kern der Geschichte - , scheitern die Beamten, weil ihnen die richtige Einstellung gegenüber rechtsextremistischen Straftätern und Straftaten fehlt. Oder handelt es sich um Handwerksfehler. Da müssten sich diese Ereignisse eben auch bei anderen Einsätzen zeigen, wo es nicht um politischen Extremismus geht."
Asmus fordert eine wissenschaftliche Analyse der Vorgänge, bislang gebe es nur vorschnelle Interpretationen. Er denkt stattdessen laut über einen Workshop nach. Dort könne dann überhaupt einmal offen diskutiert werden, ob der einzelne Polizist womöglich gewissen Vorurteilen aufsitze oder eben auch nicht. So bekäme man eine empirisch angeleitete Vorstellung und spekuliere nicht mehr darüber, woran es eventuell kranken könnte. Ein hehrer Anspruch, den der Politikwissenschaftler Roland Roth gerne unterstützen würde. Der Professor lehrt an der Fachhochschule Magdeburg und beobachtet seit fast fünfzehn Jahren die politischen Entwicklungen in Sachsen-Anhalt. Dass die offensive Linie des SPD-Innenministers im Kampf gegen den Rechtsextremismus noch nicht bei jedem Polizisten in Fleisch und Blut übergegangen ist, wundert ihn nicht.
"Wenn man die Politik der Landesregierung beschreiben will, dann muss man diese unterschiedlichen Kräfte sehen, es gibt durchaus Wohlmeinende, die durchaus sehen und viel tun wollen. Aber eben auch Bremser, die immer wieder das Thema sozusagen runter schreiben und runter debattieren und vor allem in ihren Bereichen nichts tun."
Das noch größere Problem liegt für den Politikwissenschaftler Roth allerdings in den Strukturen der Polizei. Die Ausbildung sei kaserniert, es regiere der Korpsgeist, statt demokratischer Tugenden würde eher Unterordnen vermittelt werden.
"Gelernt werden Verhaltensregeln, die noch einmal in dem Skandal in Dessau überdeutlich geworden sind, wo eben ein Vorgesetzter sagen kann, da gucken sie nicht so genau hin, sonst gehen die Zahlen zu hoch. Das ist von keinem gewünscht und dann einen Innenminister, der an dieser Stelle kneift und diesen Mann nicht in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Es wäre sehr leicht gewesen, auch symbolisch zu zeigen: 'Hör mal, Junge. So geht’s nicht. Du kannst nicht meine neue Linie auf diese Art hintertreiben. Seit dieser Zeit ist Hövelmann sozusagen kaum mehr glaubwürdig."
Zurück nach Bernburg an der Saale. Tibo Ilboudo lebt schon länger nicht mehr hier. Heute ist er noch einmal zurück gekehrt. Gemeinsam mit einer Betreuerin der Mobilen Opferbeberatung ist er auf dem Weg ins Amtsgericht. Im Saal 119 wird über seine Strafanzeige verhandelt. Der Staatsanwalt hat einen Strafbefehl in Höhe von 1800 Euro wegen Beleidigung beantragt. Der Richter gibt Tibo Ilboudo ausgiebig Zeit, die Geschehnisse von damals noch einmal zu beschreiben. Wenn ihm etwas unklar ist, fragt er freundlich nach, eine Dolmetscherin übersetzt. Tibo Ilboudo fühlt sich diesmal verstanden. Auch menschlich, sagt er und lächelt. Nach der zweistündigen Verhandlung wird der Angeklagte schließlich wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe in Höhe von 3600 Euro verurteilt.
"Ich war richtig überrascht, wenn die Polizisten nicht die Anzeige wollen nehmen. Ich war richtig überrascht. Aber ich weiß, Deutschland ist ein demokratisches Land. Gott sei Dank heute wir haben einen Prozess gekriegt."
Die Justiz, sagt Richter André Stelzner am Ende laut zum Angeklagten, dulde nicht, dass Migranten in diesem Land verbal beleidigt würden.