Auf dem Pfad der Jugend
Mit Papst Benedikt XVI. lässt sich überall dort Geld verdienen, wo er mal den Fuß hingesetzt hat. Kein Wunder, dass auch der Tourismus in Bayern das Geschäft mit dem Papst entdeckt hat. Die Bayern Marketing Tourismus GmbH bietet eine fünftägige Reise an, die Pilger auf die Spuren des bayerischen Papstes führt.
"Das ist jetzt also die Bischofswohnung seit jeher. Ich muss dazu sagen, das ist nicht speziell für Kardinal Ratzinger hergerichtet worden. In jedem solcher Häuser gibt es ein Bischofszimmer, die sind halt für die Bischöfe da, wenn sie Ferien haben. Und das diente ihm eben als Ferienrefugium. Und das ist das Schlafzimmer? Ja, aber das werden wir zulassen. So diskret werden wir sein."
Der Blick ins Schlafzimmer bleibt dem Besucher verwehrt. Schade, knurrt er leise. Joseph Kardinal Ratzinger bettete hier an Silvester noch sein Haupt. Thomas Frauenlob bleibt eisern. Er kennt dieses Begehr schon. Seit der Papstwahl führt er ständig Besucher durch die Räume, die Ratzinger immer in den Weihnachtsferien bewohnte. Es kommen Amerikaner, auffällig viele Polen, ein paar Deutsche, erzählt er, die den dunklen Schreibtisch bestaunen, vorsichtig die grüne Messinglampe streicheln oder sich ehrfürchtig in einen der mit Stoff bezogenen Sessel setzen.
Thomas Frauenlob: "Die wollen einfach etwas sehen, was er berührt hat. Die sind fast wie auf Reliquien aus. Das reicht schon, dass der Kardinal hier gesessen hat. Es ist tatsächlich so, die wollen einfach was berühren, und sagen, hier war er gesessen. Das ist für uns Deutsche ein wenig fremd, glaube ich. Besucher wirft ein: Da könnte man ja ein Band abspielen mit seiner Stimme. Ja, wir wollen es ja nicht übertreiben, das reicht so auch. "
Frauenlob leitet das Erzbischöfliche Studienseminar St. Michael in Traunstein. Ein katholisches Jungen-Internat. Hier lebten auch die Ratzinger-Brüder als Buben; länger als an jedem anderen Ort. Viel zu sehen gibt es jedoch nicht. Ein Schlafsaal wie früher üblich existiert schon lange nicht mehr. Im Eingangsbereich hängt ein Bild des Papstes, davor eine brennende Kerze. An einer Fototafel arbeitet man noch:
Thomas Frauenlob: "Das war auch so ein Grundsatz, man hat in der Weihnachtszeit nie fotografiert. Nur das letzte Mal als er da war, fast instinktiv hat eine Schwester von uns, eine Ordensschwester, einige Bilder gemacht, die jetzt natürlich wichtig sind. Wollte er das nicht? Oder hat man das einfach nicht gemacht? Nein, es war so privat, man hat es nicht gemacht. Es waren ja keine offiziellen Termine. Vielleicht hat die Schwester ja eine Digitalkamera zu Weihnachten geschenkt bekommen? Nein, aber jetzt aufgrund der vielen Abdruckrechte kann sie sich eine kaufen. Gelächter. "
Nie wieder wird er kommen. Was nichts mit der geschäftstüchtigen Ordensschwester zu tun hat, die die Privatfotos gegen gutes Geld an die Weltpresse verscherbelte. Ein Papst verbringt die Weihnachtszeit natürlich in Rom. Vielleicht, sinniert der Direktor, bleibt uns ja sein Bruder Georg treu:
Thomas Frauenlob: "Er war gestern erst da. Er ist heute in der Früh erst abgereist. Er hat mir dann gesagt, weil ich ihn gefragt habe, wie es an Weihnachten aussieht, er wird vermutlich nach Rom fahren und seinen Bruder dort besuchen, und die Zeit dort mit ihm verbringen. Er wird aber bestimmt mal kommen, weil er hier viele Freunde hat. "
"Jetzt muss ich nur schauen, dass wir drauf dürfen. Ich sage nur schnell Bescheid, dass wir da sind… "
Warum der Bruder des Papstes da war, erfährt man später nahe Traunstein. Bürgermeister Josef Wimmer führt die Gruppe auf ein Privatgrundstück - zu einem kleinen, recht windschiefen Bauernhaus. Es regnet in Strömen, doch nass zu werden nimmt man gerne in Kauf. Immerhin wohnte hier der Papst als zehnjähriger Bub.
"Das hat ja musealen Charakter. Ja, aber das ist ja völlig leer. Was ist denn das für eine Adresse hier? Herbert, Eichenweg ist es, oder? Eichenweg 19. Gemeinde Surberg, Ortsteil Hufschlag. "
Die Neugierigen drücken sich die Nasen platt am Fenster. Sie blicken in ein kleines Zimmer, in dem sich der Holzfußboden wölbt und Tapetenreste von den Wänden hängen. Ob der Papst in diesem Zimmer als Kind gespielt hat? "Hausieren verboten" – das Schild an der Eingangstür klingt wenig einladend. Das Häuschen steht seit Jahrzehnten leer. Es ist baufällig, ein Schandfleck mitten in einem kleinbürgerlichen Wohngebiet. Es wäre eigentlich für den Abbruchbagger reif. Doch das traut sich keiner mehr. Stattdessen organisierte der Bürgermeister am Tag nach der Papstwahl ein paar Eimer Farbe und ließ die Fassade pinseln, um dann feierlich in Anwesenheit von Georg Ratzinger eine Tafel zu enthüllen. "Hier wohnte Joseph Ratzinger von 1937 bis `51", ist darauf in Stein gemeißelt zu lesen.
Bürgermeister Josef Wimmer: "Er war begeistert von der Art und Weise wie wir diesen Gottesdienst gefeiert haben. Wie wir am Haus noch mal eine Feier abgehalten haben. Das ist ihm mit Sicherheit sehr sympathisch gewesen. Und was ich gehört habe ist, dass Georg Ratzinger seinen Bruder angerufen hat, als wir ihn zu dieser Feier eingeladen haben. Und hat ihn gefragt, soll ich denn hier herkommen? Und dann hat der Papst gesagt, auf alle Fälle fährst du nach Traunstein, fährst du nach Surbeck und feierst diesen Gottesdienst mit. "
Das päpstliche Einverständnis macht den Bürgermeister stolz. Die Nachbarn aber ärgerlich, wie Wimmer gesteht, wegen der vielen Neugierigen, die heute schon ungefragt über ihren Rasen latschen. Je weniger Besucher desto besser, die Anwohner fürchten um ihre Ruhe und hoffen klammheimlich, dass der Bustourismus einen großen Bogen um dieses Ratzinger-Haus macht.
Bürgermeister: "Wir wollen es so handhaben, dass wir draußen eine Tafel hintun, dass es das Wohnhaus war vom Papst, aber dass man bittet darum, dass hier die Privatsphäre gewahrt bleibt und dass man bitte hier auf der Straße stehen bleibt, sich von hier aus das Haus anschaut und fotografiert – wie auch immer. Aber nicht, wie es schon passiert ist, in die Stallungen hinten reingeht. Einer ist sogar im Fenster stecken geblieben, weil er versucht hat rein zu klettern. Oder wie es die Leute versucht haben, en Putz runterkratzen. Das wollen wir schon versuchen zu verhindern. "
Kein Scherz, versichert der Bürgermeister; mit eigenen Augen habe er gesehen, wie Leute am Haus den Putz abkratzten; wohl zur Erinnerung. Auch ihm sei es lieber, wenn Hufschlag ein unbekannter weißer Fleck auf der Bayernkarte bliebe. Für das Dorf ist das Haus sowieso tabu.
Bürgermeister: "Es ist unverkäuflich, das muss sich dazu sagen. Der Besitzer verkauft es nicht. Würden Sie es kaufen? Nein, Sie müssen sich die Umgebung anschauen. Wir haben hier eine dichte Wohnbebauung, wenn wir da jetzt irgendwas rein machen, ein Museum oder was auch immer rein machen, wir haben ja gar nicht die Möglichkeit, dass wir die Flächen schaffen, damit die Leute hier rein fahren. Wir täten die ganze Struktur von Hufschlag kaputt machen. Und das wollen wir nicht. Das wäre wirklich nicht im Sinn des Papstes und nicht in unserem Sinn. "
Reiseleiterin Inge Schwaberg: "Wir nähern uns Marktl. Und sie werden gleich den Blick sehen, wenn wir über den Inn fahren, der jetzt auf jeder Postkarte prangt. Sie werden staunen, was es alles gibt: Es gibt Papst-Bier, es gibt Papst-Mützen, das ist ein Gebäck. Was ist mit den Teddys mit der Mitra drauf? Die habe ich noch nicht entdeckt, die sind, glaube ich, schon vergriffen. Dann gibt es Papst-Tee, Papst-Bonbons, Papst-Brände, Schnäpse in allen möglichen Variationen… "
Marktl am Inn. Der neue Wallfahrtsort in Bayern, scherzt Reiseleiterin Inge Schwaberg. Touristen sind in Ratzingers Geburtsort willkommen. Souvenirläden schießen wie Pilze aus dem Boden. Der Devotionalienhandel treibt die erstaunlichsten Blüten. Ob T-Shirts oder Einkaufstaschen – es gibt fast nichts, worauf der berühmteste Sohn des Dorfes nicht gütig lächelt. Manch einer rümpft die Nase über so viel Geschäftstüchtigkeit, dessen ist sich Bürgermeister Hubert Geschwendtner durchaus bewusst.
Bürgermeister Hubert Geschwendtner: "Media-Marktl und Vermarktelt – das sind die zwei Begriffe, die ich mal nennen möchte. Da ist ein gewisser Neid dahinter vielleicht. Es ist halt so, dass viele im Überschwang ihrer freudigen Gefühle gleich was Päpstliches angeboten haben. Aber die Leute nehmen auch gerne was mit. Es war am Anfang so, da hatten wir noch nichts die ersten zwei Tage und da waren die Leute enttäuscht. Andererseits ist es für die Gemeinde ja auch ein Gewinn. Denn wenn die Leute kommen, bleibt ja auch etwas da und wir erwarten schon eine wirtschaftliche Belebung. "
Dass sich mit Benedikt XVI. gutes Geld verdienen lässt, haben die Marktler schnell begriffen. Schneller als anderenorts. Ein Wirt verlangt für vier Flaschen Papst-Bier im Karton acht Euro. Der Metzger verkauft Ratzinger-Bratwürste für 85 Cent die 100 Gramm. Örtliche Hausfrauen haben in Windeseile ein Rezeptbuch mit den Leibspeisen des Papstes raus gebracht – drei Gerichte sind verbrieft, der Rest pure Spekulation. Ein päpstlicher Preisaufschlag selbst für die Kerzen in der Kirche, die jetzt nicht mehr 30 Cent, sondern einen Euro kostet.
"Das ist schon das Geburtshaus. Und ein weiß-blauer Himmel. Das ist das Café, wo es die Papst-Torte gibt. Und hier die Vatikan-Mützen-Bäckerei. Es gibt alles, in allen Sprachen: Polnisch, italienisch, französisch. Köstlich gell. "
Geschätzte 30.000 Besucher aus aller Herren Länder sind seit jenem 19. April, als Ratzinger Papst wurde, in dessen Geburtsort eingefallen. Sie alle wollen das gelbe Haus am Marktplatz bestaunen; im ersten Stock erblickte vor 78 Jahren Klein-Joseph das Licht der Welt. Mehr als dieses Haus gibt es "päpstliches" nicht zu sehen. Und trotzdem klicken Fotoapparate im Minutentakt.
"Wir wollen ein Bild hier machen, wir sind aus Polen. Das will doch jeder sehen, nee. Geburtshaus Kurienkardinal Dr. Joseph Ratzinger. Geboren am 16. April 1927. Ehrenbürger des Marktes Marktl. Aus der Tschechei, wir wollen das Geburtsort unseres heiligen Papa schauen. Unsere Bekannten sind aus Polen gekommen, extra um das Geburtshaus zu sehen, also ganz weit, über 1.000 Kilometer. Wir haben ein Papst-Bier gekauft, ein Glas vom Papst und Papst-Ansichtskarten. Das bekommen die Kinder zuhause. Das geht jetzt nach Polen, er muss es ja zuhause präsentieren. Es ist ja ein gutes Andenken an Marktl. "
Andere wollen mehr: Sie schaben den Putz am Gebäude ab oder füllen sich Erde aus dem Garten in kleine Säckchen. "Privat" – das Schild an der Eingangstür nutzt wenig. Ständig klingeln Touristen und verlangen Einlass. Es wird an der Tür gerüttelt und ungeniert in die Fenster fotografiert. Die Besitzerin, eine allein erziehende Mutter mit zwei Buben, ist genervt. Ihr ist der Rummel zu viel – sie verkauft.
Besitzerin Papst-Haus: "Die kommen teilweise um halb sieben in der Früh. Und die letzten um zehn Uhr abends. Und dann knipst es hier ständig rein, wenn es nicht so schönes Wetter ist, blitzt es hier ständig. Und es ist halt immer belagert, Belagerungszustand. Das andere ist: zu spüren, dass dieses öffentliche Interesse, dieses Haus vermarktet haben zu wollen, immer, immer größer geworden ist. Es sind auch die Pilger, es ist aber auch die Region, die Gemeinde, die sagen, dieses Haus kann man nicht mehr privat nutzen. "
An Interessenten mangelt es nicht. Der Manager der "Kastelruther Spatzen" hat ein Gebot abgegeben, eine Immobilienfirma will im Auftrag eines Ölscheichs kaufen, angeblich soll sogar "Scientology" Interesse am Papst-Geburtshaus zeigen, dessen bloßer Marktwert auf rund 200.000 Euro taxiert wird. Der Bürgermeister ist in Sorge. Die Gemeinde Marktl besitzt zwar ein Vorkaufsrecht, hat aber kein Geld.
Bürgermeister: "Mir persönlich wäre es lieber, wenn es in kirchliche oder öffentliche Hand käme, denn wir stellen keinen Anspruch, dass der Papst Benedikt uns gehört – wie es uns manchmal unterstellt wird. Im Gegenteil. Der war ja nur zwei Jahre hier. Er gehört wirklich allen Katholiken. Und das sind weltweit 1,1 Milliarden. Und dieses Leben und Wirken eines Papstes nachhaltig und konzeptionell inhaltlich darzustellen in diesem Haus, das wäre der Traum, den ich hätte. Und den auch andere haben müssten. "
Die Nachbarn in Altötting beobachten das Marktler Treiben mit gemischten Gefühlen. Der Wallfahrtsort, rund zehn Kilometer entfernt, hat Tradition und 500 Jahre Erfahrung mit Pilgern. Jährlich werden eine Million Gläubige von Kapuzinerpatres feierlich zur "Schwarzen Madonna" in der Gnadenkapelle "einbegleitet".
Reiseleiterin Inge Schwaberg: " Ich hatte neulich eine Stadtführung zu machen, und ich frage dann hinterher die Herrschaften immer, fahren sie jetzt auch noch weiter nach Marktl? Wir haben unsere Autobahn, in zehn Kilometer sind sie dort. Da schauen die mich ganz erstaunt an: Wieso noch nach Marktl? Wir waren bereits in Marktl. Das war unser Ziel und da dachten wir, wenn wir schon in Marktl sind, dann können wir Altötting doch auch noch mitnehmen. Soweit sind wir schon. "
Klagt nicht nur die Stadtführerin Inge Schwaberg. Das Dorf in der Nachbarschaft droht dem traditionsreichen Wallfahrtsort den Rang abzulaufen.
Das Kirchenoberhaupt könnte es richten: Im nächsten Jahr, heißt es, wird Papst Benedikt XVI. seine bayerische Heimat besuchen. Altötting macht sich Hoffnung, dass der Papst in den Wallfahrtsort kommt. Und Marktl links liegen lässt. Mit Absicht, weil ihm die Papamania dort nicht gefällt. Doch auch Regensburg hofft auf den Papstbesuch.
Die Regensburger Domspatzen singen sich bereits ein. An der Universität hat Joseph Ratzinger gelehrt. Im kleinen Dorf Pentling, vor den Toren von Regensburg, hat er gewohnt. Das Haus dort gehört dem Papst noch heute. 36 Jahre lang hatte Kardinal Ratzinger hier seinen Hauptwohnsitz. Auch hierher in kommen inzwischen Touristen. Einen Souvenirladen, Papst-Bier, Papst-Postkarten oder Papst-T-Shirts allerdings sucht man in Pentling vergebens. Selbst im Vatikan weiß man das, plaudert Wolfgang Beinert, Dogmatikprofessor und einst Papst-Schüler, aus.
Professor Wolfgang Beinert: "Wir haben einen Brief erhalten, höchstpersönlich geschrieben vom Papst. Darin bedankt er sich ausdrücklich, dass in Pentling sein Name nicht für Werbung missbraucht wurde. Oh, der weiß alles. Und dass ihm die Geschäftemacherei an anderen Orten nicht gefällt, zeigt alleine schon sein Brief an uns. "
Doch stoppen lässt sich der Papst-Tourismus nicht mehr. Im Gegenteil, es wird erst noch richtig losgehen, dafür wird eine neue Papst-Route sorgen. Erste Gruppen aus Kanada, Polen, Italien und den USA haben das volle Ratzinger-Programm laut Tourismusverband bereits gebucht.
Der Blick ins Schlafzimmer bleibt dem Besucher verwehrt. Schade, knurrt er leise. Joseph Kardinal Ratzinger bettete hier an Silvester noch sein Haupt. Thomas Frauenlob bleibt eisern. Er kennt dieses Begehr schon. Seit der Papstwahl führt er ständig Besucher durch die Räume, die Ratzinger immer in den Weihnachtsferien bewohnte. Es kommen Amerikaner, auffällig viele Polen, ein paar Deutsche, erzählt er, die den dunklen Schreibtisch bestaunen, vorsichtig die grüne Messinglampe streicheln oder sich ehrfürchtig in einen der mit Stoff bezogenen Sessel setzen.
Thomas Frauenlob: "Die wollen einfach etwas sehen, was er berührt hat. Die sind fast wie auf Reliquien aus. Das reicht schon, dass der Kardinal hier gesessen hat. Es ist tatsächlich so, die wollen einfach was berühren, und sagen, hier war er gesessen. Das ist für uns Deutsche ein wenig fremd, glaube ich. Besucher wirft ein: Da könnte man ja ein Band abspielen mit seiner Stimme. Ja, wir wollen es ja nicht übertreiben, das reicht so auch. "
Frauenlob leitet das Erzbischöfliche Studienseminar St. Michael in Traunstein. Ein katholisches Jungen-Internat. Hier lebten auch die Ratzinger-Brüder als Buben; länger als an jedem anderen Ort. Viel zu sehen gibt es jedoch nicht. Ein Schlafsaal wie früher üblich existiert schon lange nicht mehr. Im Eingangsbereich hängt ein Bild des Papstes, davor eine brennende Kerze. An einer Fototafel arbeitet man noch:
Thomas Frauenlob: "Das war auch so ein Grundsatz, man hat in der Weihnachtszeit nie fotografiert. Nur das letzte Mal als er da war, fast instinktiv hat eine Schwester von uns, eine Ordensschwester, einige Bilder gemacht, die jetzt natürlich wichtig sind. Wollte er das nicht? Oder hat man das einfach nicht gemacht? Nein, es war so privat, man hat es nicht gemacht. Es waren ja keine offiziellen Termine. Vielleicht hat die Schwester ja eine Digitalkamera zu Weihnachten geschenkt bekommen? Nein, aber jetzt aufgrund der vielen Abdruckrechte kann sie sich eine kaufen. Gelächter. "
Nie wieder wird er kommen. Was nichts mit der geschäftstüchtigen Ordensschwester zu tun hat, die die Privatfotos gegen gutes Geld an die Weltpresse verscherbelte. Ein Papst verbringt die Weihnachtszeit natürlich in Rom. Vielleicht, sinniert der Direktor, bleibt uns ja sein Bruder Georg treu:
Thomas Frauenlob: "Er war gestern erst da. Er ist heute in der Früh erst abgereist. Er hat mir dann gesagt, weil ich ihn gefragt habe, wie es an Weihnachten aussieht, er wird vermutlich nach Rom fahren und seinen Bruder dort besuchen, und die Zeit dort mit ihm verbringen. Er wird aber bestimmt mal kommen, weil er hier viele Freunde hat. "
"Jetzt muss ich nur schauen, dass wir drauf dürfen. Ich sage nur schnell Bescheid, dass wir da sind… "
Warum der Bruder des Papstes da war, erfährt man später nahe Traunstein. Bürgermeister Josef Wimmer führt die Gruppe auf ein Privatgrundstück - zu einem kleinen, recht windschiefen Bauernhaus. Es regnet in Strömen, doch nass zu werden nimmt man gerne in Kauf. Immerhin wohnte hier der Papst als zehnjähriger Bub.
"Das hat ja musealen Charakter. Ja, aber das ist ja völlig leer. Was ist denn das für eine Adresse hier? Herbert, Eichenweg ist es, oder? Eichenweg 19. Gemeinde Surberg, Ortsteil Hufschlag. "
Die Neugierigen drücken sich die Nasen platt am Fenster. Sie blicken in ein kleines Zimmer, in dem sich der Holzfußboden wölbt und Tapetenreste von den Wänden hängen. Ob der Papst in diesem Zimmer als Kind gespielt hat? "Hausieren verboten" – das Schild an der Eingangstür klingt wenig einladend. Das Häuschen steht seit Jahrzehnten leer. Es ist baufällig, ein Schandfleck mitten in einem kleinbürgerlichen Wohngebiet. Es wäre eigentlich für den Abbruchbagger reif. Doch das traut sich keiner mehr. Stattdessen organisierte der Bürgermeister am Tag nach der Papstwahl ein paar Eimer Farbe und ließ die Fassade pinseln, um dann feierlich in Anwesenheit von Georg Ratzinger eine Tafel zu enthüllen. "Hier wohnte Joseph Ratzinger von 1937 bis `51", ist darauf in Stein gemeißelt zu lesen.
Bürgermeister Josef Wimmer: "Er war begeistert von der Art und Weise wie wir diesen Gottesdienst gefeiert haben. Wie wir am Haus noch mal eine Feier abgehalten haben. Das ist ihm mit Sicherheit sehr sympathisch gewesen. Und was ich gehört habe ist, dass Georg Ratzinger seinen Bruder angerufen hat, als wir ihn zu dieser Feier eingeladen haben. Und hat ihn gefragt, soll ich denn hier herkommen? Und dann hat der Papst gesagt, auf alle Fälle fährst du nach Traunstein, fährst du nach Surbeck und feierst diesen Gottesdienst mit. "
Das päpstliche Einverständnis macht den Bürgermeister stolz. Die Nachbarn aber ärgerlich, wie Wimmer gesteht, wegen der vielen Neugierigen, die heute schon ungefragt über ihren Rasen latschen. Je weniger Besucher desto besser, die Anwohner fürchten um ihre Ruhe und hoffen klammheimlich, dass der Bustourismus einen großen Bogen um dieses Ratzinger-Haus macht.
Bürgermeister: "Wir wollen es so handhaben, dass wir draußen eine Tafel hintun, dass es das Wohnhaus war vom Papst, aber dass man bittet darum, dass hier die Privatsphäre gewahrt bleibt und dass man bitte hier auf der Straße stehen bleibt, sich von hier aus das Haus anschaut und fotografiert – wie auch immer. Aber nicht, wie es schon passiert ist, in die Stallungen hinten reingeht. Einer ist sogar im Fenster stecken geblieben, weil er versucht hat rein zu klettern. Oder wie es die Leute versucht haben, en Putz runterkratzen. Das wollen wir schon versuchen zu verhindern. "
Kein Scherz, versichert der Bürgermeister; mit eigenen Augen habe er gesehen, wie Leute am Haus den Putz abkratzten; wohl zur Erinnerung. Auch ihm sei es lieber, wenn Hufschlag ein unbekannter weißer Fleck auf der Bayernkarte bliebe. Für das Dorf ist das Haus sowieso tabu.
Bürgermeister: "Es ist unverkäuflich, das muss sich dazu sagen. Der Besitzer verkauft es nicht. Würden Sie es kaufen? Nein, Sie müssen sich die Umgebung anschauen. Wir haben hier eine dichte Wohnbebauung, wenn wir da jetzt irgendwas rein machen, ein Museum oder was auch immer rein machen, wir haben ja gar nicht die Möglichkeit, dass wir die Flächen schaffen, damit die Leute hier rein fahren. Wir täten die ganze Struktur von Hufschlag kaputt machen. Und das wollen wir nicht. Das wäre wirklich nicht im Sinn des Papstes und nicht in unserem Sinn. "
Reiseleiterin Inge Schwaberg: "Wir nähern uns Marktl. Und sie werden gleich den Blick sehen, wenn wir über den Inn fahren, der jetzt auf jeder Postkarte prangt. Sie werden staunen, was es alles gibt: Es gibt Papst-Bier, es gibt Papst-Mützen, das ist ein Gebäck. Was ist mit den Teddys mit der Mitra drauf? Die habe ich noch nicht entdeckt, die sind, glaube ich, schon vergriffen. Dann gibt es Papst-Tee, Papst-Bonbons, Papst-Brände, Schnäpse in allen möglichen Variationen… "
Marktl am Inn. Der neue Wallfahrtsort in Bayern, scherzt Reiseleiterin Inge Schwaberg. Touristen sind in Ratzingers Geburtsort willkommen. Souvenirläden schießen wie Pilze aus dem Boden. Der Devotionalienhandel treibt die erstaunlichsten Blüten. Ob T-Shirts oder Einkaufstaschen – es gibt fast nichts, worauf der berühmteste Sohn des Dorfes nicht gütig lächelt. Manch einer rümpft die Nase über so viel Geschäftstüchtigkeit, dessen ist sich Bürgermeister Hubert Geschwendtner durchaus bewusst.
Bürgermeister Hubert Geschwendtner: "Media-Marktl und Vermarktelt – das sind die zwei Begriffe, die ich mal nennen möchte. Da ist ein gewisser Neid dahinter vielleicht. Es ist halt so, dass viele im Überschwang ihrer freudigen Gefühle gleich was Päpstliches angeboten haben. Aber die Leute nehmen auch gerne was mit. Es war am Anfang so, da hatten wir noch nichts die ersten zwei Tage und da waren die Leute enttäuscht. Andererseits ist es für die Gemeinde ja auch ein Gewinn. Denn wenn die Leute kommen, bleibt ja auch etwas da und wir erwarten schon eine wirtschaftliche Belebung. "
Dass sich mit Benedikt XVI. gutes Geld verdienen lässt, haben die Marktler schnell begriffen. Schneller als anderenorts. Ein Wirt verlangt für vier Flaschen Papst-Bier im Karton acht Euro. Der Metzger verkauft Ratzinger-Bratwürste für 85 Cent die 100 Gramm. Örtliche Hausfrauen haben in Windeseile ein Rezeptbuch mit den Leibspeisen des Papstes raus gebracht – drei Gerichte sind verbrieft, der Rest pure Spekulation. Ein päpstlicher Preisaufschlag selbst für die Kerzen in der Kirche, die jetzt nicht mehr 30 Cent, sondern einen Euro kostet.
"Das ist schon das Geburtshaus. Und ein weiß-blauer Himmel. Das ist das Café, wo es die Papst-Torte gibt. Und hier die Vatikan-Mützen-Bäckerei. Es gibt alles, in allen Sprachen: Polnisch, italienisch, französisch. Köstlich gell. "
Geschätzte 30.000 Besucher aus aller Herren Länder sind seit jenem 19. April, als Ratzinger Papst wurde, in dessen Geburtsort eingefallen. Sie alle wollen das gelbe Haus am Marktplatz bestaunen; im ersten Stock erblickte vor 78 Jahren Klein-Joseph das Licht der Welt. Mehr als dieses Haus gibt es "päpstliches" nicht zu sehen. Und trotzdem klicken Fotoapparate im Minutentakt.
"Wir wollen ein Bild hier machen, wir sind aus Polen. Das will doch jeder sehen, nee. Geburtshaus Kurienkardinal Dr. Joseph Ratzinger. Geboren am 16. April 1927. Ehrenbürger des Marktes Marktl. Aus der Tschechei, wir wollen das Geburtsort unseres heiligen Papa schauen. Unsere Bekannten sind aus Polen gekommen, extra um das Geburtshaus zu sehen, also ganz weit, über 1.000 Kilometer. Wir haben ein Papst-Bier gekauft, ein Glas vom Papst und Papst-Ansichtskarten. Das bekommen die Kinder zuhause. Das geht jetzt nach Polen, er muss es ja zuhause präsentieren. Es ist ja ein gutes Andenken an Marktl. "
Andere wollen mehr: Sie schaben den Putz am Gebäude ab oder füllen sich Erde aus dem Garten in kleine Säckchen. "Privat" – das Schild an der Eingangstür nutzt wenig. Ständig klingeln Touristen und verlangen Einlass. Es wird an der Tür gerüttelt und ungeniert in die Fenster fotografiert. Die Besitzerin, eine allein erziehende Mutter mit zwei Buben, ist genervt. Ihr ist der Rummel zu viel – sie verkauft.
Besitzerin Papst-Haus: "Die kommen teilweise um halb sieben in der Früh. Und die letzten um zehn Uhr abends. Und dann knipst es hier ständig rein, wenn es nicht so schönes Wetter ist, blitzt es hier ständig. Und es ist halt immer belagert, Belagerungszustand. Das andere ist: zu spüren, dass dieses öffentliche Interesse, dieses Haus vermarktet haben zu wollen, immer, immer größer geworden ist. Es sind auch die Pilger, es ist aber auch die Region, die Gemeinde, die sagen, dieses Haus kann man nicht mehr privat nutzen. "
An Interessenten mangelt es nicht. Der Manager der "Kastelruther Spatzen" hat ein Gebot abgegeben, eine Immobilienfirma will im Auftrag eines Ölscheichs kaufen, angeblich soll sogar "Scientology" Interesse am Papst-Geburtshaus zeigen, dessen bloßer Marktwert auf rund 200.000 Euro taxiert wird. Der Bürgermeister ist in Sorge. Die Gemeinde Marktl besitzt zwar ein Vorkaufsrecht, hat aber kein Geld.
Bürgermeister: "Mir persönlich wäre es lieber, wenn es in kirchliche oder öffentliche Hand käme, denn wir stellen keinen Anspruch, dass der Papst Benedikt uns gehört – wie es uns manchmal unterstellt wird. Im Gegenteil. Der war ja nur zwei Jahre hier. Er gehört wirklich allen Katholiken. Und das sind weltweit 1,1 Milliarden. Und dieses Leben und Wirken eines Papstes nachhaltig und konzeptionell inhaltlich darzustellen in diesem Haus, das wäre der Traum, den ich hätte. Und den auch andere haben müssten. "
Die Nachbarn in Altötting beobachten das Marktler Treiben mit gemischten Gefühlen. Der Wallfahrtsort, rund zehn Kilometer entfernt, hat Tradition und 500 Jahre Erfahrung mit Pilgern. Jährlich werden eine Million Gläubige von Kapuzinerpatres feierlich zur "Schwarzen Madonna" in der Gnadenkapelle "einbegleitet".
Reiseleiterin Inge Schwaberg: " Ich hatte neulich eine Stadtführung zu machen, und ich frage dann hinterher die Herrschaften immer, fahren sie jetzt auch noch weiter nach Marktl? Wir haben unsere Autobahn, in zehn Kilometer sind sie dort. Da schauen die mich ganz erstaunt an: Wieso noch nach Marktl? Wir waren bereits in Marktl. Das war unser Ziel und da dachten wir, wenn wir schon in Marktl sind, dann können wir Altötting doch auch noch mitnehmen. Soweit sind wir schon. "
Klagt nicht nur die Stadtführerin Inge Schwaberg. Das Dorf in der Nachbarschaft droht dem traditionsreichen Wallfahrtsort den Rang abzulaufen.
Das Kirchenoberhaupt könnte es richten: Im nächsten Jahr, heißt es, wird Papst Benedikt XVI. seine bayerische Heimat besuchen. Altötting macht sich Hoffnung, dass der Papst in den Wallfahrtsort kommt. Und Marktl links liegen lässt. Mit Absicht, weil ihm die Papamania dort nicht gefällt. Doch auch Regensburg hofft auf den Papstbesuch.
Die Regensburger Domspatzen singen sich bereits ein. An der Universität hat Joseph Ratzinger gelehrt. Im kleinen Dorf Pentling, vor den Toren von Regensburg, hat er gewohnt. Das Haus dort gehört dem Papst noch heute. 36 Jahre lang hatte Kardinal Ratzinger hier seinen Hauptwohnsitz. Auch hierher in kommen inzwischen Touristen. Einen Souvenirladen, Papst-Bier, Papst-Postkarten oder Papst-T-Shirts allerdings sucht man in Pentling vergebens. Selbst im Vatikan weiß man das, plaudert Wolfgang Beinert, Dogmatikprofessor und einst Papst-Schüler, aus.
Professor Wolfgang Beinert: "Wir haben einen Brief erhalten, höchstpersönlich geschrieben vom Papst. Darin bedankt er sich ausdrücklich, dass in Pentling sein Name nicht für Werbung missbraucht wurde. Oh, der weiß alles. Und dass ihm die Geschäftemacherei an anderen Orten nicht gefällt, zeigt alleine schon sein Brief an uns. "
Doch stoppen lässt sich der Papst-Tourismus nicht mehr. Im Gegenteil, es wird erst noch richtig losgehen, dafür wird eine neue Papst-Route sorgen. Erste Gruppen aus Kanada, Polen, Italien und den USA haben das volle Ratzinger-Programm laut Tourismusverband bereits gebucht.