Auf dem Holzweg

Von Tiemo Rink · 03.07.2013
Die Sorge der Deutschen um die Gesundheit der Wälder fanden die Franzosen schon in den 80er-Jahren höchst übertrieben. Dabei pflegte man östlich des Rheins schon immer eine besondere Beziehung zum Wald. Tiemo Rink findet das seltsam.
"Im Wald, da sind die Räuber", heißt es in einem Volkslied, das auch in diesen Tagen wieder erklingen könnte, wenn sich die Familien aufmachen zu Waldspaziergängen, in die Sommerfrische im Grünen. Ach, wenn es doch nur so wäre. Stattdessen mal angenommen, es gäbe hier und dort tatsächlich noch ein paar Räuber im Wald, die die Abgeschiedenheit schätzten, schön versteckt zwischen Buchen, Eichen und Tannen - sie hätten keine Chance.

Denn tatsächlich sind nicht die Räuber im Wald, sondern die Deutschen, und das schon ziemlich lange, in großen Mengen und großer Begeisterung. Ist doch der Wald der Ort, an dem alles gut wird. Das ist nicht schön und hat durchaus seine Nachteile, denn der Fortschritt kam noch nie vom Land, erst recht nicht aus dem Wald, sondern schon immer aus der Stadt. Doch um daran etwas zu ändern, dürfte es zu spät sein. Der Mythos Wald als Schule der Nation – das kommt hierzulande prima an. Und das Problem ist schon etwas älter.

Über 2000 Jahre ist es her, dass drei römische Legionen unter der Führung von Publius Varus ein klein wenig Zivilisation in die Gegend um Osnabrück bringen wollten. Ein edler Plan, der im Debakel endete. Denn im Teutoburger Wald war für die Germanen Heimspiel. Mehrere Tage dauerte die Schlacht, dann war das römische Heer aufgerieben. Ein deutscher Triumph im Grünen, der Folgen hatte.

Varus, der als Statthalter in Germanien die Ortsansässigen insbesondere durch die Einführung einer nicht korrupten Justiz gegen sich aufgebracht hatte, stürzte sich in sein Schwert. Das römische Reich aber zog sich zurück hinter den Rhein, wo bald darauf prächtige Städte entstanden, öffentliche Bäder, Abwassersysteme und steigende Lebenserwartung inklusive.

Der Germane aber hockte im Wald, feierte seinen Sieg und frönte seinen Hobbys: Bier mit Honig trinken und Familienangehörige als Opfergabe ins Moor schmeißen. So fing alles an.

Im Stuttgarter Schlossgarten wird noch heute ums Grünzeug gekämpft
Wesentlich geändert hat sich daran bis heute nichts. Beim Gedanken an etwas Grünzeug geraten viele in Ekstase. Und während im Nahen Osten Diktatoren gestürzt und in europäischen Ländern gegen die Auswirkungen der Finanzkrise gekämpft wurde, engagierte man sich im Stuttgarter Schlossgarten für den Erhalt von Bäumen, die dem Tiefbahnhof im Weg standen. Wohlwollend begutachtet vom Rest der Republik.

Auf mehr als 30.000 im Internet registrierte Unterstützer konnten die Stuttgarter "Parkschützer" zurückgreifen. Etwa 3000 von ihnen erklärten, sich im Fall der Fälle an einen Baum anzuketten. Bei nicht einmal 200 zu fällenden Bäumen hätte das zwar ein ziemliches Gedränge gegeben, einerseits. Andererseits macht Religion erst in der Menge Spaß. Und religiös ging es zu im Stuttgarter Schlossgarten. "Bäume sind Heiligtümer. Wer mit ihnen spricht, wer ihnen zuhört, der erfährt die Wahrheit", war zu erfahren auf den Durchhalteparolen, die mit Reißzwecken an Baumstämme gepinnt wurden.

Es ist diese ersehnte Ursprünglichkeit, dieses Zurück zur Natur, das es nicht gibt, man könnte sagen: zum Glück nicht gibt. Weil es, wenn es anders wäre, auch kein Internet gäbe, mit dem sich solcherlei Protest organisieren ließe. Und streng genommen nicht einmal die Reißzwecken, um Kitsch an Bäume zu pinnen.

Was es hingegen gibt, sind Menschen mit der wilden Entschlossenheit, noch jede Baumscheibe mit dem Dschungel zu verwechseln und jeden kümmerlichen Strunk als "Antenne zum Kosmos" zu überhöhen.

Es ist ein deutsches Geschwurbel, zwanghaft und verklemmt. Dabei ist die Wirklichkeit viel profaner: Bundeswaldinventur hieß die Veranstaltung, bei der Heerscharen von Förstern in den vergangenen zwei Jahren aufbrachen, um dem deutschen Wald den Puls zu fühlen. Wie alt, wie hoch, wie grün und natürlich: wie gesund ist er denn, der Wald?

Ab 2015 will das dafür zuständige Bundeslandwirtschaftsministerium Antworten liefern. Denn tatsächlich ist der Wald vor allem ein Wirtschaftsfaktor. Nein, nicht die Räuber sind im Wald. Sondern die deutschen Förster, mit dem Klemmbrett unterm Arm, den Bleistift hinterm Ohr. Entscheiden Sie selbst: Wem würden Sie ein Liedchen singen?

Tiemo Rink, Jahrgang 1981, studierte Politikwissenschaft in Marburg, Wien und Teramo / Italien. Er lebt und arbeitet als Journalist unter anderem für den "Tagesspiegel" in Berlin.
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