"Auf dem Grund ist Dunkelheit genug"

Von Astrid Nettling · 11.07.2009
Highly-strung nennt man im Englischen jene hochempfindsamen Naturen, deren Lebensnerven den Saiten eines Musikinstruments gleich bis zum Äußersten gespannt sind. Ingeborg Bachmann zählt zu diesen Persönlichkeiten. Stets klingt auch ihre Dichtung so - Sprache bis zum Äußersten gespannt und bis zu dem extremen Grad getrieben, wo sie kompromisslos gegenüber allem Eingängigen jene Klarheit und Ausdrucksschärfe erlangt, die für die Dichterin und Prosaschriftstellerin unabdingbar waren.
Dass solche Hochgespanntheit zugleich intellektuelle Nüchternheit braucht, versteht sich. Sehr früh hat die Dichterin und promovierte Philosophin aus Österreich in Deutschland Anerkennung und Ruhm erfahren. Sie kam, las und siegte mit sechsundzwanzig in der Gruppe 47 und landete mit achtundzwanzig auf der Titelseite des Spiegels. Trotzdem zog es die Hochgespannte fort aus dem bleiernen Nachkriegsdeutschland nach Frankreich, in die Schweiz und immer wieder ins geliebte Italien.

"Sie hat auf der Rasierklinge gelebt", heißt es in ihrer "Hommage à Maria Callas". Worte ebenso an die eigene Adresse gerichtet. Als Ingeborg Bachmann 1973 in Rom im Alter von nur 47 Jahren an den Folgen eines entsetzlichen Brandunfalls stirbt, hinterlässt nicht nur ihr Tod viele Fragen, ebenso bleibt ihr dichterisches Werk, dessen Höhen und Tiefen bis heute nicht ausgelotet sind, für Fragen offen. Aber "Dichtern wird man in der Stille gerecht, denn wenn alle Deutungen veraltet und alle Erklärungen verbraucht sind, erklärt sich ihr Werk aus der unverbrauchbaren Wahrheit, der es sich verdankt."

Auszüge aus dem Manuskript, Buchtipps, CD-Tipps und Links:

Wikipedia: Ingeborg Bachmann
Ingeborg Bachmann Forum
DHM: Ingeborg Bachmann

Ingeborg Bachmann:
"Ich habe deswegen mit Gedichten angefangen, weil ich zu einer Musik, die ich mir am Klavier zusammengesucht habe, einfach keine Worte gewußt habe und dachte: Das beste ist, ich schreib sie mir selber. - Die Musik, ich brauch sie nur so sehr, und sie hilft mir auch jetzt, etwa wenn ich schreibe, mir etwas über die Musik Hinausgehendes vorzustellen oder mich an etwas zu erinnern. Das hat mit der Musik selber nichts zu tun, ist also, wenn man will, ein Mißbrauch einer Musik. Obwohl es nicht meine einzige Art ist, Musik zu hören, sicher nicht. Sie hilft mir, indem sich in ihr für mich das Absolute zeigt, das ich nicht erreicht sehe in der Sprache, also auch nicht in der Literatur, weil ich sie für überlegener halte, also eine hoffnungslose Beziehung zu ihr habe."

Dem Abend gesagt
Meine Zweifel, bitter und ungestillt,
versickern in den Abendtiefen.
Müdigkeit singt an meinem Ohr.
Ich lausche...
Das war doch gestern schon!
Das kommt und geht doch wieder!

Die Schlafwege kenn ich bis ins süßeste Gefild.
Ich will dort nimmer gehen.
Noch weiß ich nicht, wo mir der dunkle See
die Qual vollendet.
Ein Spiegel soll dort liegen,
klar und dicht,
und will uns,
funkelnd vor Schmerz,
die Gründe zeigen.

Am 25. Juni 1926 wird Ingeborg Bachmann in Österreich, in Klagenfurt, geboren. Der Vater, Martin Bachmann, entstammt einer alteingesessenen Kärntner Bauernfamilie, die Mutter Olga kommt aus einem kleinen Ort in Niederösterreich, wo ihre Familie eine Produktion für Strickwaren besitzt. Der junge Martin Bachmann erhält eine Ausbildung als Volksschullehrer und leitet später lange Jahre eine Hauptschule in Klagenfurt. Ingeborg ist das erste Kind der Bachmanns, zwei Jahre später wird die Schwester Isolde geboren, und mit einem Abstand von dreizehn Jahren kommt der Bruder Hans zur Welt. Als Ingeborg sieben Jahre alt ist, kaufen die Eltern ein kleines, bescheidenes Reihenhaus. Das neue Haus mit Garten, das harmonische Familienleben prägen die Kindheit der beiden Mädchen. Im Sommer geht es mit den Eltern an die Seen, im Winter zum Skifahren in die Berge. Von der Mutter, die gerne ins Kino geht, lassen sich die Töchter haarklein die neuesten Filme nacherzählen.

Die Kinder lesen sich die Augen wund. Sie sind übernächtigt, weil sie abends zu lang im wilden Kurdistan waren oder bei den Goldgräbern in Alaska. Sie liegen auf der Lauer bei einem Liebesdialog und möchten ein Wörterbuch haben für die unverständliche Sprache. Sie zerbrechen sich den Kopf über ihre Körper und einen nächtlichen Streit im Elternzimmer. Sie lachen bei jeder Gelegenheit, sie können sich kaum halten und fallen von der Bank vor Lachen, stehen auf und lachen weiter, bis sie Krämpfe bekommen.

In diese glückliche und wohlbehütete Kindheit bricht 1938 zum ersten Mal Dunkles ein. Ingeborg Bachmann: "Es hat einen bestimmten Moment gegeben, der hat meine Kindheit zertrümmert. Der Einmarsch von Hitlers Truppen in Österreich...Es war etwas so Entsetzliches, dass mit diesem Tag meine Erinnerung anfängt: durch einen zu frühen Schmerz, wie ich ihn in dieser Stärke vielleicht später überhaupt nie mehr hatte. Natürlich habe ich das alles nicht verstanden in dem Sinn, in dem es ein Erwachsener verstehen würde. Aber diese ungeheure Brutalität, die spürbar war, dieses Brüllen, Singen und Marschieren - das Aufkommen meiner ersten Todesangst."

Am 25. Juni, dem 80. Geburtstag Ingeborg Bachmanns, wird in Klagenfurt zum 30. Mal der Ingeborg-Bachmann-Preis vergeben. Am 17. Juni beginnt der Veranstaltungsreigen im Klagenfurter Musil-Haus.

Ingeborg Bachmann als eine durch die Nachkriegszeit geprägte Autorin

"Es war ja der gemeinsame Auftritt von Aichinger, Celan und Bachmann, und die gemeinsam haben neue Töne ins Spiel gebracht, so dass das zu einem Ereignis der Gruppengeschichte geworden ist. Ingeborg Bachmann ist sofort dann in die Rundfunkanstalten geschickt worden, wo sie ihre Texte gelesen hat. Celan im Übrigen auch, ist aber als Person abgelehnt worden. Man muss aber sagen, dass sie schon jahrelang in Österreich publiziert hatte, sie war kein unbeschriebenes Blatt. Das wird immer so erzählt, als hätte Hans Werner Richter sie plötzlich zur bekannten Lyrikerin gemacht, das ist keineswegs der Fall. Der Anfang war nicht so einfach, weil sie als Philosophin mit erzählerischen Texten in Zeitschriften, im Feuilleton mit Gedichten hervorgetreten ist, und war dann bei einem Schriftstellertreffen aufgefallen in Österreich, und das war der Grund, warum sie dann vorgeschlagen wurde für das Treffen der Gruppe 47. Und dass sie dort so erfolgreich war, hängt damit zusammen, dass die zeitgenössische deutsche Literatur, also, die in Westdeutschland geschrieben wurde, versucht hat, nüchtern, realistisch sozusagen auf die Nachkriegsliteratur zu antworten mit der Vermeidung einer kunstvoll, ästhetischen Redeweise. Und ihre Metaphern waren in der Zeit einfach eine Ausnahme, waren ein Novum für die westdeutschen Schriftsteller, " erläutert die Literaturwissenschaftlerin Sigrid Weigel. Ein Novum für die männerdominierte Nachkriegsliteraturszene war Ingeborg Bachmann ebenso in Auftreten und Erscheinung. Weiblich, jung, attraktiv und äußerst scheu. Bei ihrem Debüt in der Gruppe 47 ist sie nach eigenen Worten "vor Aufregung am Ersticken". Man bringt sie in ihr Zimmer, wo sie in Ohnmacht fällt. Ihre Gedichte werden noch einmal von einem anderen Teilnehmer vorgelesen. Schüchtern, hilflos, weltfremd - dies bestimmt fortan das Image der Dichterin. Manche halten es für eine geschickte Selbstinszenierung, diejenigen, die sie kennen, wissen jedoch um ihre nicht gespielte Verletzbarkeit.

Sigrid Weigel
Ingeborg Bachmann.
Hinterlassenschaften unter Wahrung des Briefgeheimnisses.
2003 DTV
Sigrid Weigel ist eine der herausragendsten Kennerinnen des Werkes von Ingeborg Bachmann. Sie legt hier eine Gesamtdarstellung vor. Diese stützt sich nicht nur auf den zugänglichen Nachlaß, sondern auch auf Spuren, die Bachmanns Korrespondenz in anderen Nachlässen hinterlassen hat und die hier recherchiert wurden.
Aus den vielen Details entsteht ein neues Bild von Ingeborg Bachmann - frei von den Klischees der biographischen Interpretation. Es zeigt die Schriftstellerin als Intellektuelle, die sich intensiv mit jüdischen Denkern auseinandersetzte.

Sigrid Weigel bei Wikipedia

Sigrid Weigel beim Zentrum für Literatur- und Kulturforschung

Sigrid Weigel: Ingeborg Bachmann

Ingeborg-Bachmann-Symposium
"Das tiefe Musikalische, nicht jetzt bezogen auf die Klanglichkeit der Wörter, es ist eine innere Musikalität, die deutet auf eine Gleichzeitigkeit, also sie braucht nicht Zeit, es sind einfach Momente, die alles enthalten, also man hat den Eindruck, es ist so wie in der Musik, dass die Zeit auf die Vertikale wie ein Messer bis in die Tiefe geht, also der Moment ist total erlebt, es ist keine Art von deskriptiven Situationen, die Zeit brauchen, sich zu entwickeln, sondern es ist wie in der Musik eine Gleichzeitigkeit, die Zeit geht in alle Richtungen, es ist nicht eine lineare Denkweise, und das ist musikalisch, denke ich, besonders das, natürlich auch die Kraft, die literarische Kraft, die Plastizität der Wörter, die enorme assoziative Explosion bei ihr wie bei der Atomphysik, also, es geht bis zum Kern," erklärt die Komponistin Adriana Hölszky. Fasziniert von der Dichtung Ingeborg Bachmanns hat sie schon früh als Musikerin auf die künstlerische Herausforderung der Dichterin geantwortet.

Adriana Hölszky: "Ich weiß nicht jetzt genau, wann überhaupt die Beschäftigung mit Ingeborg Bachmann begann, aber es war ein Prozess seit 1977/78, könnte ich sagen, und das war kontinuierlich. In verschiedenen Werken z.B. "Geträumt" oder "Jagt die Wölfe zurück" sind Elemente aus Bachmann, Gedichte, verwendet mehr oder weniger direkt und natürlich in dem "Guten Gott von Manhattan" besonders. Was mich bei Bachmann interessiert hat, war die Faszination ihrer Ausstrahlung und zwar die Kraft ihrer Darstellung. Es ist überhaupt nicht wie bei anderer Literatur, bei ihr sind Impulse, Impulse, die etwas in Gang setzen."

welt.de: Uraufführung: Adriana Hölszkys Bachmann-Oper in Schwetzingen

zeit.de: Klänge mit Zündschnur
Seit Jahren sucht Adriana Hölszky nach dem idealen Opernstoff. Hat sie ihn nun für die Schwetzinger Festspiele gefunden?

Nachtflug
Unser Acker ist der Himmel,
im Schweiß der Motoren bestellt,
angesichts der Nacht,
unter Einsatz des Traums -

geträumt auf Schädelstätten und Scheiterhaufen,
unter dem Dach der Welt, dessen Ziegel
der Wind forttrug - und nun Regen, Regen, Regen
in unserem Haus und in den Mühlen
die blinden Flüge der Fledermäuse.
Wer wohnte dort? Wessen Hände waren rein?
Wer leuchtete in der Nacht,
Gespenst den Gespenstern?

Im Stahlgefieder geborgen, verhören
Instrumente den Raum, Kontrolluhren und Skalen
das Wolkengesträuch, und es streift die Liebe
unsres Herzens vergessene Sprache:
kurz und lang lang... Für eine Stunde
rührt Hagel die Trommel des Ohrs,
das, uns abgeneigt, lauscht und verwindet.

Nicht untergegangen sind Sonne und Erde,
nur als Gestirne gewandert und nicht zu benennen.
(...)
Wer lebt dort unten? Wer weint...
Wer verliert den Schlüssel zum Haus?
Wer findet sein Bett nicht, wer schläft
auf den Schwellen? Wer, wenn der Morgen kommt,
wagt's, den Silberstreifen zu deuten: seht, über mir...
Wenn das Wasser von neuem ins Mühlrad greift,
wer wagt's, sich der Nacht zu erinnern?

Adriana Hölszky: "In dem Gedicht "Nachtflug" das ist es, eigentlich so wie ein Blindflug, und man hat keinen Boden unter den Füßen, es kann funktionieren, es kann nicht funktionieren, aber erst wenn der Boden weg ist, dann beginnt man zu denken, also dann beginnt es, interessant zu sein im Grunde. Man hat keine andere Wahl, man muss es durchmachen, und das ist Bachmann, sie hat Mut, allein zu schwimmen."

Wikipedia: Gruppe 47
kulturnetz.de: Gruppe 47

Im Mai 1952 wagt Ingeborg Bachmann ein dichterisches Wort. Zusammen mit zwei anderen jungen Autoren wird ihre Lesung in Niendorf, einem kleinen Ort an der Ostsee, zu einem regelrechten Ereignis, einem Wendepunkt geradezu in der deutschen Nachkriegsliteratur. Walter Jens, der bei dieser Tagung der Gruppe 47 zugegen ist, erinnert sich Jahre später:

"Ich glaube, ich könnte die Stunde des Umschlags bezeichnen: Frühjahr 1952. Handwerklich-gute Erzähler lasen aus ihren Romanen. Dann plötzlich geschah es. Ein Mann namens Paul Celan, niemand hatte den Namen vorher gehört, begann singend und sehr weltentrückt, seine Gedichte zu sprechen; Ingeborg Bachmann eine Debütantin, die aus Klagenfurt kam, flüsterte, stockend und heiser, einige Verse; Ilse Aichinger brachte, wienerisch leise, die "Spiegelgeschichte" zum Vortrag." "

Ingeborg Bachmann, Hans Werner Henze
Briefe einer Freundschaft
Hrsg. v. Hans Höller.
Vorw. v. Hans W. Henze.
2006 Piper
"Mir ist völlig klar, dass die Freundschaft mit Dir die wichtigste menschliche Beziehung ist, die ich habe, und das soll auch so bleiben. Ich habe immer an Dich geglaubt, und an Dich werde ich immer glauben bis ans Ende meines Lebens. Und wo und wann sich unsere Wege auch immer kreuzen werden, es wird ein Fest sein." Ingeborg Bachmann an Hans Werner Henze

Ein Briefwechsel, in dem man Ingeborg Bachmann, der auf Erden nicht zu helfen war, so nahe kommt wie nie zuvor und dabei zugleich stets die ungeheure Entfernung ermisst, die uns von ihr trennt.
Die Zeit

Im Herbst desselben Jahres lernt auch der Komponist Hans Werner Henze sie bei einem weiteren Literaturtreffen der Gruppe 47 kennen: "Eine elfenhafte Erscheinung mit schönen großen Augen und zitternden Lidern, wunderbaren Händen, eine Person, von der eine Aura von Empfindsamkeit ausging, eine Verkörperung von Qualität, ein Mensch mit Grazie und Charme, wie von der Nachtigall geboren. War es schon an diesem Abend oder war es erst am nächsten Morgen, dass ich Ingeborg Bachmann zum ersten Mal ihre Gedichte lesen hörte? Wovon ich noch alles weiß, das ist die Wirkung, die von ihrer Rezitation ausging und von der zögernden, extrem schüchternen Art, wie die Autorin ihre Ideen und Bilder vor sich hinflüsterte. Es war mir, als ob sie mich dabei anschaute und heimlich bei der Hand nähme, meine große Schwester, und mich mit beschwichtigenden Gesten zu den windischen Wäldern ihrer Kindheit führte, wo es dunkel war unter hohen Tannen, bei Farnkraut und Fingerhut. Manchmal knackte ein trockenes Zweiglein unter unseren Füßen, Vögel schrien auf. Salamander und Käfer, Eulen und Schlangen, Dachs, Igel und Fuchs versammelten sich, Mond und Sterne wurde zu unseren Freunden und Weggenossen - ohne sie hätten wir die Heimkehr gar nicht wagen können. Sie war sechs Tage älter als ich, aber ihr Wissen - um die Welt, um die Menschen, um die Dinge der Kunst - übertraf das meine um zweitausend Jahr. Ich lehnte mich an sie an, ihr Geist half meiner Schwachheit auf."
Die gestundete Zeit
Es kommen härtere Tage.
Die auf Widerruf gestundete Zeit
wird sichtbar am Horizont.
Bald mußt du den Schuh schnüren
und die Hunde zurückjagen in die Marschhöfe.
Denn die Eingeweide der Fische
sind kalt geworden im Wind.
Ärmlich brennt das Licht der Lupinen.
Dein Blick spurt im Nebel:
die auf Widerruf gestundete Zeit
wird sichtbar am Horizont.

Drüben versinkt dir die Geliebte im Sand,
er steigt um ihr wehendes Haar,
er fällt ihr ins Wort;
er befiehlt ihr zu schweigen,
er findet sie sterblich
und willig dem Abschied
nach jeder Umarmung.

Sieh dich nicht um.
Schnür deinen Schuh.
Jag die Hunde zurück.
Wirf die Fische ins Meer.
Lösch die Lupinen!

Es kommen härtere Tage.

Max Frisch erinnert sich in seiner autobiographischen Erzählung "Montauk" an seine Kontaktaufnahme mit Ingeborg Bachmann im Sommer 1958. Der Schriftsteller ist damals 47 Jahre alt, fünfzehn Jahre liegen zwischen ihm und der "jungen Dichterin":

"Sie kam, um sich die Aufführung meines Stückes anzuschauen. Ich war beglückt als wir im Café vor dem Theater einen Pernod tranken, und sagte: "Das brauchen Sie sich nicht anzuschauen." Sie überhörte es, beschäftigt mit ihrer Tasche und verwirrt, weil sie irgendetwas nicht finden konnte. Warum sagte ich das? Ich wurde von den Schauspielern erwartet, eine Premiere in Paris, meine erste, ich fand die Aufführung sehr gut, mein Stück nicht schlecht, aber als es Zeit wurde, sagte ich ein zweites Mal: "Ingeborg Bachmann, das brauchen Sie sich wirklich nicht anzuschauen." Statt ins Theater gingen wir zu unserem ersten Abendessen. Ich wusste nichts von ihrem Leben, nicht einmal Gerüchte um sie. Sie war erfreut, verwundert, selig, dass jemand so gar nichts von ihr wusste. "

"Um die graue Morgenstunde: die ersten Küsse auf einer öffentlichen Bank, dann in die Hallen, wo es den ersten Kaffee gibt: am Nebentisch die Metzger mit den blutigen Schürzen, diese zu plumpe Warnung. Ihre Reise nach Zürich. Die Verstörte am Bahnhof; ihr Gepäck, ihr Schirm, ihre Taschen. Eine Woche in Zürich als Liebespaar und aus klarer Erkenntnis der erste Abschied. Das gibt es tatsächlich, dass Haare zu Berge stehen. Ich habe es bei ihr gesehen Die klare Erkenntnis, lebbar nicht länger als vier Wochen. Meine Reise nach Neapel. Sie am Bahnhof; ihre Arme haben Kraft. Wohin mit uns? Schließlich ist es ein Zufall, wo wir unsere Unterkunft bekommen; wieder zu plump: Porto Venere, wo wir im Taxi angekommen sind wie auf einer Flucht ..."

Max Frisch bei Wikipedia

Mitte Juni 1973 hatte die österreichische Fernsehjournalistin Gerda Haller Ingeborg!Bachmann für ein geplantes Filmporträt in Rom aufgesucht. Photos daraus zeigen die attraktive, heitere und entspannte Schriftstellerin in der sommerlichen Stadt, in Straßencafés, an ihren Lieblingsplätzen, im vertrauten Gespräch mit Hans Werner Henze, zusammen mit ihrer Freundin und Haushälterin Maria Teofili. Am Schluss des Porträts liest Ingeborg Bachmann ihr Lieblingsgedicht: "Böhmen liegt am Meer". Ein Nachzügler, entstanden, als sie schon längst aufgehört hatte, Gedichte zu schreiben. Doch es ist nicht nur ihr letztes Gedicht, es bildet zugleich die Summe ihres dichterischen Schaffens, eine Art künstlerisches Vermächtnis, in dem sie noch einmal jene utopische Hoffnung auf eine andere Welt dichterisch aufscheinen lässt.

Ingeborg Bachmann
Ein Tag wird kommen, m. Audio-CD
Gespräche in Rom.
Ein Porträt v. Gerda Haller
2004 Jung und Jung

Bewegende Zeugnisse aus den letzten Lebensmonaten Ingeborg Bachmanns
Als sie im Herbst 1973 starb - "das entsetzliche Ende, der Feuertod", wie Hans Werner Henze schrieb -, da war das Leben einer der faszinierendsten Dichterinnen der deutschsprachigen Literatur an sein Ende gekommen. Oft genug hatte Ingeborg Bachmann gezeigt, daß auch Rätsel eine Antwort sein können. Erst wenige Monate zuvor hatte sie in Rom Gerda Haller, einer jungen ORF-Redakteurin, die sie kurz davor in Wien kennengelernt hatte, ein Fernseh- und ein Toninterview gegeben. Ingeborg Bachmann war angetan von der Idee, ihr Rom zu zeigen, jene Plätze, die ihr in all den Jahren, die sie in dieser Stadt lebte, unverzichtbar geworden waren. Tagsüber drehte man, und abends im Hotel sprach sie dazu als Tonspur jene Sätze und Verse, die in diesem Buch nachzulesen sind. Nicht nur zeigt sich dabei eine überraschend gelöste, ja heitere, gewinnende Frau, es kommen auch Sätze zur Sprache, in denen die Dichterin, die die Mühen des Daseins nur zu gut kannte, mit größter Intensität der Hoffnung auf ein anderes, freieres, offeneres Leben das Wort redet. Unmöglich, davon auch heute nicht überwältigt zu sein.


Böhmen liegt am Meer
Sind hierorts Häuser grün, tret ich noch in ein Haus.
Sind hier die Brücken heil, geh ich auf gutem Grund.
Ist Liebesmüh in alle Zeit verloren, verlier ich sie hier gern.

Bin ich's, so ist's ein jeder, der ist soviel wie ich.

Grenzt hier ein Wort an mich, so laß ich's grenzen.
Liegt Böhmen noch am Meer, glaub ich den Meeren wieder.
Und glaub ich noch ans Meer, so hoffe ich auf Land.

Bin ich's, so ist's ein jeder, der ist so gut wie ich.
Ich will nichts mehr für mich. Ich will zugrunde gehn.

Zugrund - das heißt zum Meer, dort find ich Böhmen wieder.
Zugrund gerichtet, wach ich ruhig auf.
Von Grund auf weiß ich jetzt, und ich bin unverloren.

Kommt her, ihr Böhmen, alle, Seefahrer, Hafenhuren und Schiffe
unverankert. Wollt ihr nicht böhmisch sein, Illyrer, Veroneser,
und Venezianer alle. Spielt die Komödien, die lachen machen.

Und die zum Weinen sind. Und irrt euch hundertmal,
wie ich mich irrte und Proben nie bestand,
doch hab ich sie bestanden, ein um das andre Mal.

Wie Böhmen sie bestand und eines schönen Tags
ans Meer begnadigt wurde und jetzt am Wasser liegt.

Ich grenz noch an ein Wort und an ein andres Land,
ich grenz, wie wenig auch, an alles immer mehr,

ein Böhme, ein Vagant, der nichts hat, den nichts hält,
begabt nur noch, vom Meer, das strittig ist, Land meiner Wahl zu sehen.

Ingeborg Bachmann: "Es ist für mich ein Gedicht, zu dem ich immer stehen werde. Es ist gerichtet an alle Menschen, weil es das Land ihrer Hoffnung ist, das sie nicht erreichen werden, und trotzdem müssen sie hoffen, weil sie sonst nicht leben können. Es ist ein Utopia, also ein Land, das es gar nicht gibt, denn Böhmen liegt natürlich nicht am Meer, das wissen wir doch. Aber es liegt doch am Meer. Das heißt, es ist etwas Unvereinbares. Aber für mich nicht, denn ich glaube fest daran."


Literatur-Verein i.b - Publikation

"Ingeborg Bachmann
Schreiben gegen den Krieg. Writing Against War"

Herausgegeben von Hans Höller, Helga Pöcheim, Karl Solibakke. Zweisprachige Ausgabe Englisch-Deutsch.
Löcker 2008

Bedingungsloser hat niemand nach 1945 die Frage von Krieg und Frieden zum Zentrum seines Schreibens gemacht. Die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann hat sich den destruktiven Erfahrungen ihrer Zeit ausgesetzt, damit "Kunde gegeben" werden kann, und sie hat dem fortdauernden Kriegszustand der Welt ihre Utopie eines gelungenen Lebens entgegengesetzt.

Im Buch zur Ausstellung "Schreiben gegen den Krieg. Ingeborg Bachmann 1926-1973" werden bisher kaum bekannte Texte - Ingeborg Bachmanns Tagebuch aus den letzten Kriegstagen und das Gedichtfragment "Die Waffen nieder" - abgedruckt.

erhältlich im Buchhandel

Wohin wir uns wenden im Gewitter der Rosen,
ist die Nacht von Dornen erhellt, und der Donner
des Laubs, das so leise war in den Büschen,
folgt uns jetzt auf dem Fuß.

Wo immer gelöscht wird, was die Rosen entzünden,
schwemmt Regen uns in den Fluß. O fernere Nacht!
Doch ein Blatt, das uns traf, treibt auf den Wellen
bis zur Mündung uns nach.

Ingeborg Bachmann


Ingeborg Bachmann
2 Audio-CDs
Sprecherin: Sophie Rois
2006 Random House Audio

Ingeborg Bachmann
Todesarten
4 Audio-CDs
Prosa und Gedichte aus den Jahren 1964-1966.
Autoremlesung. 246 Min.
2006 DHV Der HörVerlag

Stimme der Dichter
11 Audio-CDs
Deutsche Autoren lesen aus ihren Werken.
Bonus-CD: "Kennst du das Land . . .", Goethe und die Musik. 520 Min..
Mit Texten v. Ingeborg Bachmann, Gottfried Benn, Heinrich Böll u. a.
DIE ZEIT
2006 Delta Music

Ingeborg Bachmann
Der gute Gott von Manhattan
2 Audio-CDs
Ausgezeichnet mit dem Hörspiel der Kriegsblinden 1959.
Hörspiel. 97 Min..
Sprecher: Charles Regnier, Martin Benrath, Gustl Halenke
SWR/BR/DeutschlandRadio1958
2005 DHV Der HörVerlag
Sie kennen sich noch keinen ganzen Tag. Doch Jan und die Studentin Jennifer lieben sich bereits mit Haut und Haaren. Das junge Glück sprengt alle Konventionen, ihre Leidenschaft schließt die übrige Welt aus. Doch da spricht ein selbst ernannter Guter Gott von Manhattan sein Todesurteil aus.
Sprachlich ebenso überwältigend wie ihre Gedichte, schafft Ingeborg Bachmann mit ihrem Hörspiel eine zutiefst fesselnde imaginäre Bilderwelt.

Ingeborg Bachmann
Anrufung des großen Bären
4 Audio-CDs
Gedichte und Prosa 1956-1961.
Gelesen von der Autorin.
312 Min.. NDR/SWR/WDR/RIAS 1955-63
2005 DHV Der HörVerlag
Italien, das ersehnte Land. Hans Werner Henze, der gute Freund. Max Frisch, der Geliebte. Stationen aus den Jahren 1956 - 1961, in denen einige von Ingeborg Bachmanns berühmtesten Texten entstehen: Der Gedichtband Die Anrufung des Großen Bären, Gedichte aus den Jahren 1957-61, der Erzählband Das 30. Jahr, ihre Frankfurter Poetikvorlesung und ihre Dankesrede zum Hörspielpreis der Kriegsblinden. Ingeborg Bachmann ist in ihrem unverwechselbar brüchigen Ton zu hören, der ihre Lesungen zum Mythos machte.

Ingeborg Bachmann
Gestundete Zeit
1 Audio-CD
Frühe Gedichte und Prosa.
Gelesen von der Autorin. 65 Min.
2004 DHV Der HörVerlag

Ingeborg Bachmann
Erklär mir, Liebe
1 Audio-CD
Gedichte 1948-1957.
Gelesen von der Autorin. 72 Min.. NDR, SWR 1952/1957
2003 DHV Der HörVerlag

Heinz L. Arnold
Die Gruppe 47
2 Audio-CDs
Zwei Jahrzehnte deutscher Literatur.
Feature. 140 Min.. Sprecher: Hans Werner Richter, Ingeborg Bachmann, Günter Grass u. a.
hr2 2002
2002 DHV Der HörVerlag

Christla Gürtler
Ingeborg Bachmann
Klagenfurt - Wien - Rom.
2006 edition ebersbach
Ingeborg Bachmann, österreichische Autorin
Ingeborg Bachmann, österreichische Autorin© AP Archiv