Auf dem Abstellgleis

Von Anke Petermann |
Die Probleme am Mainzer Hauptbahnhof dauern an. Eine schnelle Lösung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Mit dem Schulbeginn in der kommenden Woche dürfte sich die Lage weiter verschärfen.
Zwar hat die Bahn Ende vergangener Woche schon viel verraten über die Einschränkungen am Mainzer Hauptbahnhof, die ganze Wahrheit über das Ausmaß war das allerdings nicht. Angeblich sollte das um 30 bis 40 Prozent geschrumpfte Nah- und Fernverkehrs-Programm von 6 bis 20 Uhr greifen. Doch wer heute schon vor 5 aus dem rheinhessischen Alzey nach Mainz zur Arbeit fahren wollte sah, sich erstmal aufs Abstellgleis geschoben. Auch Reisende, die ohne noch mal ins Internet zu schauen, auf Züge um kurz vor 6 aus Wiesbaden, Frankfurt oder Mannheim bauten, sahen sich getäuscht.

"Aber man ist ja Kummer gewöhnt, ich nehm’ das gelassen, was soll’s."

Für die Kreuznacher Pendlerin, die gestern Abend nach einer Radtour am Mainzer Hauptbahnhof noch überlegt hatte, ob sich die Rückfahrt mit Verspätung überhaupt lohnt, lief’s im morgendlichen Berufsverkehr nach Mainz dann aber besser als gedacht. Ob das auf der Rückfahrt von der Arbeit genauso wird – fraglich. Und dann?

"Am Bahnhof warten, bis der Zug kommt, was lesen, bis irgendein anderer Zug kommt. Also, es fahren ja Züge, nur nicht so viele. Nur, das Problem ist, die(jenigen), die dann kommen, die sind ja nicht pünktlich, und dann sind die auch oft überfüllt, weil – ist ja klar – wenn die Hälfte ausfällt. Aber irgendwie wird’s gehen."

Wenige bleiben so gelassen, mehr Reisende schimpfen.

"Wenn man auf Dienstreise ist, man weiß ja gar nicht mehr, wie man noch irgendwo hinkommen soll, also es ist nur noch peinlich."
"Gut, ich hab n Auto, aber wenn man drauf angewiesen ist, ist’s sehr, sehr traurig."

Kommende Woche mit Schul- und Berufsschulbeginn im gesamten Rhein-Main-Gebiet ist auf den Straßen noch mehr Stau zu befürchten. Jedenfalls, wenn es mit dem Schienen-Notprogramm in Mainz wie angekündigt noch bis Ende August weitergeht. Bislang hat die Bahn trotz wachsenden politischen Drucks keine schnelle Abhilfe parat. Kein Wunder, meint der private Güterverkehrsunternehmer Michael Stock, dem der Engpass im Mainzer Stellwerk geschäftliche Einbußen beschert.

"Neue Fahrdienstleiter kann man nur innerhalb von drei Monaten ausbilden, und solange die nicht ausgebildet sind, können sie die nicht ersetzen. Vielleicht kommt der eine oder andere aus dem Urlaub oder der Krankmeldung zurück."

Manche in der Bahn-Führung und im Aufsichtsrat hoffen das, andere fordern es, die Eisenbahn-Gewerkschaft lehnt es ab, weil es die systematische Überlastung von ohnehin ausgepowerten Mitarbeitern nur fortsetzen würde. Einen verdeckten Streik vermutet der geschädigte Eisenbahnunternehmer Michael Stock zwar nicht. Aber, so sagt er mit Blick auf den Fast-Zusammenstoß von zwei S-Bahnen im Mainzer Hauptbahnhof:

"Mir scheint, dass im Hintergrund auch massive Streitigkeiten oder Konfrontationen ausgebrochen sind. Es hängt sicher zusammen mit dem Beinahe-Unfall, der in der vorletzten Woche passiert ist. Wodurch die Fahrdienstleiter noch mehr unter Druck gekommen sind, als sie ohnehin schon sind. Da geht es wahrscheinlich auch um das Zuschieben von Verantwortung – denk’ ich mir."

Die Bahnführung weist solche Überlegungen als Spekulation zurück. Indem sie sich mit Verweisen auf staatsanwaltschaftliche Ermittlungen in Schweigen hüllt, tut sie allerdings auch nichts, um Spekulationen über einen Zusammenhang zwischen Beinahe-Unglück und Personalnot zu entkräften. Kein Kommentar bislang auch dazu, dass der Produktionsvorstand bei der Netz-Tochter abgelöst werden soll, wie politische Kreise vermeldeten. Für morgen lädt die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer, SPD, alle Akteure zum Bahngipfel, darunter auch den Vorstandsvorsitzenden der DB Netz AG. Vielleicht ist er ja hinter verschlossenen Türen gesprächiger.