Auf das Wesentliche konzentriert

Von Carolin Pirich |
Wie trifft Literatur auf Internet? Oft schieben sich da ablenkende Popups über den Text, Werbung blinkt oder enthusiastische Halbsätze eines Kritikers ersetzen gleich ganz eine Leseprobe. Das war den fünf Gründern der Website <papaya:link href="http://www.zehnseiten.de" text="zehnseiten.de" title="zehnseiten.de" target="_blank" /> aus Oberbayern für Literatur zu viel - oder eben zu wenig. Sie lassen das Wort sprechen, vom Autor selbst.
Julia Zange sitzt an einem Tisch, links ein Wasserglas, vor ihr zehn Seiten aus ihrem ersten Roman, aus dem sie vorliest, "Die Anstalt der besseren Mädchen". Ein wenig wirkt sie dabei wie eine Nachrichtensprecherin, ernst, konzentriert. Ein paar blonde Strähnen haben sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst. Irgendwann ist sie ganz in das vertieft, was sie geschrieben hat. Kein Blick mehr in die Kamera, nur Stirn und Haare zur mädchenhaften Stimme, und manchmal ein Schluck Wasser aus dem Glas.

Alles auf der Internet-Seite ist zurückgenommen, schlicht, in Grautönen gehalten, auch das Video der lesenden Autorin. Es liegt in der Mitte des Bildschirms, rechts davon: Name des Autors, Buchtitel und Verlag. Der einzige Farbfleck auf der Seite ist das Foto des Buches, aus dem gerade gelesen wird. Informationen zu Buchinhalt und Biographie erscheinen nur, wenn der User es eben will und auf "Info" klickt. Sich selbst einbringen, Kommentare schreiben, sich austauschen, das kann er nicht. Verlage, Autoren und Besucher der Seite scheinen aber genau das zu schätzen.

"Bis jetzt war das Überzeugendste, dass es auf das Wesentliche konzentriert ist, auf den Autor und seinen Text. Dass nicht irgendwelche Popups aufgehen und Werbebanner. Dass nur der Fokus auf dem Autor und seinem Text liegt und dass keine Wertung vorhanden ist, es gibt keine Bewertung von Usern, kein Forum, es soll sich jeder informieren können, je nach Lust und Laune, ohne sich beeinflussen zu lassen."

Johannes Wörle, mit 23 Jahren der jüngste der fünf Gründer von Zehnseiten.de, ist Buchhändler und Student der Buchwissenschaften in München. An dem Abend, als die Idee für Zehnseiten.de entstand, saßen sie bei Wein und Bier im kleinen Ort Weilheim in Oberbayern in einer Kneipe.

"Der Mario war frustriert, dass er nicht im Internet irgendwelche Büchertipps finden kann, die ihn nicht überladen, überfordern, wo er von allen Seiten empfohlen kriegt, Sie haben das gelesen, also lesen Sie auch bitte das. Sondern sich neutral informieren zu können. Ganz ohne Wertung auch."

Mario, das ist Mario Thaler, Musikproduzent unter anderem der Weilheimer Indie-Band The Notwist. Thaler zeichnet in seinem Studio in Murnau am Staffelsee mit einer Videokamera die Lesungen auf. Einzige Requisiten: Scheinwerfer, Tisch und Wasserglas.
Wenn Rafik Schami vorliest, blickt er freundlich durch seine runde Brille, neigt den Kopf und beschreibt mit seiner Hand Kreise, während er spricht.
Keine Maske, kein Schnitt, keine Nachbearbeitung. Alles soll so authentisch sein wie möglich.

"Bei Rafik Schami hat das sehr lange gedauert. Der eine hat mehr Perfektionismus und will das perfekt einlesen, und Rafik Schami hat das auch frei erzählt, sozusagen. Dann hat man sich noch verratscht."

Zur Frankfurter Buchmesse 2008 ging Zehnseiten.de online. Inzwischen kann man mehr als 20 Lesungen abrufen, jeden Montag kommt eine neue dazu. Unter den Autoren sind bekannte Namen wie Rafik Schami, Harriet Köhler und Thomas Meinecke sowie Nachwuchsautoren wie Julia Zange und kleine Stars wie Benjamin Lebert, der hier vorab aus seinem neuen Buch liest.

Für die Betreiber ist eine erste Hürde genommen: Inzwischen kommen Autoren und Verlage auf sie zu. Aber zu fünft darüber zu entscheiden, von wem man nun ein Video dreht und von wem nicht, ist nicht ganz einfach, sagt Anna Jung, die halbtags in einem Buchladen arbeitet und inzwischen die andere Hälfte ihrer Zeit mit der Organisation von Zehnseiten verbringt. Ein Auswahlkriterium: Die Texte sollen "anspruchsvoll" sein, sagt Anna Jung. Obwohl.

"Es ist schwer zu definieren, das ist auch etwas wo wir nicht wirklich ein Ergebnis finden, weil anspruchsvoll ein blödes Wort ist. Es ist Literatur für jedermann, es soll jeder spannend finden, der auf die Seite geht und einen Roman für sich sucht. Natürlich spielt auch unser Geschmack eine Rolle, man wird keine Bücher finden, die wir nicht als gut befinden."

Es ist kein geschäftliches Kalkül, sondern eher Gefühl, das die fünf Gründer antreibt, der Wunsch, einen werbe- und kommentarfreien Blick auf Texte und ihre Autoren zu schaffen. Sie verdienen bisher nichts an der Seite. Reisekosten und die Kosten für die Produktion übernehmen die Verlage. Aber für die Betreiber selbst, sagt Anna Jung, bleibe bisher kein Geld übrig.

"Wir werden anfangen, bei Online-Awards mitzumachen, damit ein paar zusätzliche Gelder reinkommen. Ich kümmere mich auch um Förderungen. Aber da wir noch am Anfang sind und wir das Herzblut gerne reingeben und das Geld noch nicht im Vordergrund stand, haben wir auch noch nichts in die Richtung unternommen."

Eines aber ist ganz klar für sie: Werbung kommt ihnen nicht neben die Autoren, auch nicht ein ganz kleines bisschen.