Auf besonderer Mission

Von Claudia Hennen |
17 Millionen Menschen sind in Afrika schon an Aids gestorben - und doch lehnt die katholische Kirche den Gebrauch von Kondomen ab. Missionsschwester Majella Lenzen dagegen unterstützte die Verhütung. Wenig später musste sie ihren Orden verlassen. Nun erscheint ihre Autobiografie.
"Mir fehlen die Mitschwestern, mir fehlt Afrika, beides. Was man fast 40 Jahre lang in einer Kommunität erlebt hat, kann man nicht abstreifen, als wenn es nicht gewesen wäre."

Sehnsucht nach der Ordensgemeinschaft und Fernweh nach Afrika hat Majella Lenzen heute noch immer. An den Wänden ihrer Wohnung in Düren hängen Fotos aus ihrer jahrzehntelangen Missionstätigkeit auf dem Schwarzen Kontinent. Ohne Zweifel: Diese Frau war erfüllt von der Aufgabe, den ärmsten der Armen zu helfen. Dass sie Nonne werden wollte, wusste sie schon als Jugendliche.

Mit 21 Jahren trat sie dem Orden der "Schwestern vom kostbaren Blut" bei. Im gleichen Jahr begann ihr Einsatz als Missionarin in Afrika. Ab 1990 koordinierte sie die Aids-Arbeit in einer Diözese am Fuß des Kilimandscharo. Dort wird sie nicht nur mit der Stigmatisierung der Krankheit konfrontiert. In ihrer Autobiografie "Das möge Gott verhüten – Warum ich keine Nonne mehr sein darf" schreibt sie:

"Hier ging es wahrlich nicht nur um eine Krankheit. Aids wurde als Gottesfluch gebrandmarkt, als Bestrafung für eine Sünde. Das predigte die Kirche – und so war die Einstellung vieler Christen."

Majella Lenzen begreift bald das verheerende Ausmaß der Immunschwächekrankheit. Sie sieht, wie ganze Landstriche veröden, weil die junge Bevölkerung an Aids stirbt. Besonders erschüttert sie der Tod infizierter Kinder. Sie kann nichts dagegen tun: Denn der Zugang zu Tabletten, die die Übertragung der Krankheit von der Mutter auf das Neugeborene verhindern, bleibt ihr verwehrt. Eines Tages begleitet sie eine Ärztin, die im Rahmen eines dänischen Aids-Projekts Kondome an Prostituierte verteilt. Anschließend wird sie zu ihrer Vorgesetzen zitiert:

"Als die Generaloberin mir dann sagte: Der Bischof möchte Ihren Vertrag nicht verlängern, das war das eine. Also wurde ich aus der Aids-Arbeit ausgeschlossen. Dann kam aber ihr Zusatz: Wenn der Bischof aber keine Verwendung für Sie hat, dann habe ich auch keine. Nach allem, was ich geleitet hab - das hat mir einfach den Boden unter den Füssen weggenommen."

Offiziell können Mitglieder katholischer Ordensgemeinschaften nicht "rausgeworfen" oder verstoßen werden. Aber Majella Lenzen alias Schwester Lauda befürchtet, ihrer Aufgaben entbunden und nach Deutschland zurückbeordert zu werden. Aus Furcht vor einer solchen Maßregelung trat sie aus der Gemeinschaft aus. Ihr früherer Orden dementiert, dass sie gemobbt worden sei. In einer Presseerklärung heißt es:

"Frau Lenzen hat mehrere Angebote bekommen, in denen sie sich mit ihrem Fachwissen und ihrer Kompetenz gut hätte einbringen können. Sie lehnte alle Angebote ab."

Ob Austritt oder Ausschluss – es war nur der traurige Endpunkt einer Reihe von Vorfällen, bei denen die gläubige Katholikin mit ihren Ansichten angeeckt war. Sie kritisiert nicht nur den bedingungslosen Gehorsam, der den Schwestern - auch nach den Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils – von den älteren Nonnen abgefordert wurde. Sie berichtet auch von einem latenten Rassismus. In den Ordensniederlassungen in Afrika hätten einheimische Nonnen stets niedrigere Tätigkeiten ausgeübt als ihre hellhäutigen Mitschwestern aus Europa:

"Ich wollte afrikanische Mitschwestern an meiner Seite haben. Wozu sind wir Mitschwestern in einem internationalen Orden? Es gab eine, die hätte sich sofort als Leiterin eingestellt, weil sie die Fähigkeiten hatte. Weil sie dort geboren war, weil sie die Sprache ganz anders kannte. Es wurde verneint, sie sei angeblich noch zu jung."

In einer Krisensituation griff Majella Lenzen zu ungewöhnlichen Mitteln. Als 1978 die ugandische Armee in Tansania einmarschierte, teilte die ausgebildete Krankenschwester an ihre Mitschwestern Antibabypillen aus, damit diese im Falle einer Vergewaltigung vor Schwangerschaft geschützt würden. Oft fehlte der heute 71-Jährigen psychologische Unterstützung, immer wieder erlitt sie Zusammenbrüche, eine Weile suchten sie auch Selbstmordgedanken heim. Das war kein Einzelfall, wie sie in ihren Erinnerungen schildert:

"Eines Nachts ging eine Mitschwester einer nahegelegenen Außenstelle immer tiefer in das Wasser eines Stausees, bis der couragierte holländische Hausgeistliche – einer inneren Ahnung folgend – sie in letzter Minute erreichte und herausführte."

Majella Lenzen ist Ende 50, als sie ihrer Gelübde entbunden wird. Da sie die meiste Zeit im Ausland gearbeitet hat, hat sie so gut wie keine Rentenbeiträge eingezahlt. Zugleich war sie nicht krankenversichert. Mithilfe eines Anwalts erstreitet sie eine Abfindung und eine Schwerbehinderten-Rente. Schließlich erklärt sich ihr Orden bereit, die Kosten für eine Nachversicherung zu tragen.

"Ich habe noch keine Ex-Nonne gehört, die ohne furchtbare Wunden rausgegangen ist. Die mussten alle von Null beginnen."

Dass ihre Autobiografie "Das möge Gott verhüten" einmal auf der Bestsellerliste landen würde, hätte Majella Lenzen nicht gedacht. Als Mitte der 90er-Jahre ihr Fall bekannt wurde, gab ihr die Boulevard-Presse den Beinamen "Kondom-Nonne". Majella Lenzen nimmt es gelassen:

"Wenn es darum geht, zu sagen, dass ein Kondom in der Aids-Arbeit unausweichlich ist, dann darf man mich ruhig so nennen. Es geht mir ja nicht (allein) um das Kondom in der kirchlichen Arbeit. Es geht mir darum, die Würde der Frauen zu wahren."