"Auerbach & Freud"-Ausstellung im Städel Museum

Zwei skrupulöse Menschenforscher

Von Rudolf Schmitz · 15.05.2018
Die Porträts von Lucien Freud und Frank Auerbach zeugen von ihrem selbstquälerischen Ringen um die Wahrheit. Eine Grafikausstellung im Frankfurter Städel Museum zeigt eindringliche Kunstwerke der britischen Künstler, die eine lange Freundschaft verband.
Im Jahr 1956 besucht Lucian Freud eine Ausstellung von Frank Auerbach. Der erinnert sich an dieses erste Zusammentreffen: "Lucian verbeugte sich und sagte: 'Danke'."
Das erläutert Regina Freyberger, die Kuratorin der Ausstellung "Frank Auerbach & Lucian Freud" im Frankfurter Städel Museum:
"Das heißt, das, was man in den 50er-Jahren in dieser Debütausstellung gesehen hat, waren im Endeffekt Reliefs aus übereinander liegenden Strukturen. Und Freud sagt: das war das schockierendste und gleichzeitig aufregendste Chaos, was er jemals gesehen hat. Man sieht dieses Ringen um die Wahrheit in der Kunst. Und das spricht einen unglaublich an."

Verbindende Selbstkritik

Die tiefe und lang anhaltende Freundschaft der beiden so unterschiedlichen Künstler hat mit diesem Ringen um die Wahrheit und der damit verbundenen Quälerei zu tun. Beide waren äußerst selbstkritisch, beide vernichteten immer wieder ihre Arbeiten, beide zwangen ihre Modelle zu Marathonsitzungen. Regina Freyberger:
"Zum Teil über Monate, zum Teil über Jahre, es gibt Modelle, die die beiden Künstler über 30 bis 40 Jahre begleitet haben und aus denen eine Vielzahl von Kunstwerken unterschiedlicher Techniken entstanden sind."

Die Familie als Modell

Lucian Freud, so zeigen die vom Städel Museum präsentierten großformatigen Kaltnadelradierungen, porträtierte immer wieder seine Mutter, seine Kinder. Oder Menschen, die ihn aufgrund von Monstrosität faszinierten, wie der Performance-Künstler Leigh Bowery oder die tätowierte Arbeitsvermittlerin Sue Tilley. Regina Freyberger:
"Die haben sich wesentlich Personen ausgesucht aus ihrem näheren Familien- und Freundeskreis, aus dem simplen Grund heraus, weil sie gesagt haben, sie können nur dann jemanden tiefgründig erfassen, wenn sie ihn kennen, nur dann können sie sehen, wer die wahre Person hinter den – ich nenn das jetzt mal 'öffentlichen' – Masken sind, die wir uns im Alltag so zurecht legen. Das heißt, es geht immer um einen Erkenntnisprozess bei ihrer Kunst. Und das merkt man diesen Gesichtern an."

Eindringliche Kunstwerke

Lucian Freud gräbt sich mit der Kaltnadel in die Kupferplatte ein, in schwungvollen Bögen werden die Gesichter immer wieder neu umfahren, bis eine eindringliche Gesichtsskulptur entsteht. Ganz anders Frank Auerbach. Seine radierten Porträts sind nicht weniger eindringlich, aber sie scheinen sich aufzulösen und zu verflüchtigen, setzen sich vorm Auge der Betrachter immer neu zusammen.
"Insbesondere dann, wenn Auerbach verschiedene Platten übereinander druckt, hat man immer diese leicht versetzten Gesichter, die sich überlappten, als wenn der Kopf grade in der Drehung wäre. Dass ein Gesicht nie still ist, hat man quasi ins Kunstwerk übersetzt."

Suche nach der eigenen Existenz

Diese ständige, oft selbstquälerische Suche nach dem Gegegenüber, die unaufhörliche Frage: "Wer bist Du? Wer sind wir Menschen eigentlich? Welche Beziehung können wir zueinander aufnehmen?" ist in dieser Grafikausstellung des Städel Museums mit Händen zu greifen. Bei dem einen, Lucian Freud, führt es zu einem stechend scharfen Blick, bei dem anderen zu einer ständigen Verflüchtigung des Gesehenen. Der Schlüssel mag in der Biografie der beiden Künstler liegen, die als Kinder aus Nazideutschland fliehen mussten, tiefe Verunsicherung erlebten, im Fall von Frank Auerbach sogar von der Ermordung der Eltern erfuhren. Aber wie immer die existenzielle Suche im Werk der beiden Künstler auch begründet sein mag – sie teilt sich gerade im Medium der arbeitsintensiven Radierung sehr direkt mit. Regina Freyberger:
"Wir haben Kunstwerke, sehr eindringliche Kunstwerke, Bildnisse, die einen unmittelbar ansprechen, wenn man sie sieht. Ich sehe die Gesichter, die mich ansprechen, die mich anrühren und auf die ich mich auch einlassen kann, und dann fange ich an darüber nachzudenken: was ist die Technik. Und dann wird mir klar, wie das, was auf den ersten Moment so einfach aussieht, wie unglaublich kompliziert das obendrein ist. Also im ersten Moment sehe ich einfach nur Kunst, und die ist verdammt gut".
Als Maler dürften Lucian Freud und Frank Auerbach inzwischen einem größeren Publikum auch in Deutschland bekannt sein. Doch die Grafik-Bildnisse im Frankfurter Städel Museum erweitern den Blick auf die beiden britischen Ausnahmekünstler in entscheidender Weise: Hier erst blickt man in die Werkstatt der zwei skrupulösen Menschenforscher.

FRANK AUERBACH & LUCIAN FREUD. GESICHTER
Kuratorin: Regina Freyberger
Ausstellungsdauer: 16. Mai bis 12. August 2018

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