Auch die Weisen wissen wenig

Von Klaus Peter Weinert |
Vor ein paar Monaten meinte in einer Talk-Show der Medienstar Dieter Bohlen, dass er doch nicht wissen könne, was er in ein oder zwei Minuten sagen werde. Herr Bohlen hat recht. In der Tat ist kein Mensch in der Lage, vorherzusehen, was in der nahen oder fernen Zukunft sein wird. Genau dieser Herausforderung stellen sich Wirtschaftswissenschaftler.
Nun halten wir in unseren modernen Demokratien nichts von Orakeln, die die alten Griechen anriefen, wenn die Unsicherheit über die Zukunft groß war. Der aufgeklärte Mensch, wozu wir den Ökonomen zählen, lehnt Kaffeesatzleserei ab und akzeptiert nur wissenschaftliche Exaktheit.

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass Fehleinschätzungen der Ökonomie-Sachverständigen keine Besonderheit sind. So hat niemand den massiven Einbruch der Konjunktur im Sommer 1966 vorhergesehen, genauso wenig wie die überraschende und rasante Erholung der Wirtschaft am Beginn des Jahres 1968, die der SPD die Wählergunst sicherte und vor allem ihrem Wirtschaftsminister Karl Schiller.

Als Ökonom hatte Schiller die Globalsteuerung erfunden, für die er den englischen Wissenschaftler John Maynard Keynes reklamierte, und er hat sie politisch durchgesetzt - mit Erfolg. Allerdings nur bis zum Jahr 1973, als der Ölpreisschock die wirtschaftswissenschaftliche Welt aus ihren Träumen riss. Prognosen wurden schwierig, Konzepte fehlten, und niemand wusste so recht, wie man aus der desolaten wirtschaftlichen Lage entkommen konnte.

Die Globalsteuerung war nicht mehr up-to-date, weil sie nicht funktionierte. Und so besannen sich viele Ökonomen auf das Saysche Theorem des 19. Jahrhunderts, das uns verspricht, dass sich jedes Angebot seine Nachfrage schafft, und daher müsse man den Boden ebnen durch steuerliche Entlastungen besonders für die Unternehmen und den Rückzug des Staates aus der Wirtschaft; und dann wird alles wieder gut.

Da sich der Staat offensichtlich zu wenig und zu langsam aus der Wirtschaft zurückzog, konnte der Aufschwung nicht glücken. Das ist bis heute die Argumentation vieler Ökonomen. Dahinter steckt die Annahme, dass der Staat wenig effizient ist und Ressourcen verschleudert und nur der Markt optimale Ergebnisse erzeugt, wenn damit auch die Ungleichheit zunimmt, wie die Erfahrung lehrt.

Hinter dieser Vorstellung ist auch die Behauptung verborgen, dass man subjektive Einflüsse aus dem wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen heraushalten kann. Das ist aber nur solange möglich, wie die Theorie immer perfekt der jeweiligen praktischen Wirklichkeit entspricht. In der öffentlichen Diskussion wird das häufig unterstellt, so in der Diskussion um den Mindestlohn. Zwar ist theoretisch bewiesen, dass Mindestlöhne Arbeitsplätze vernichten, aber nur aufgrund wichtiger Voraussetzungen, unter anderem, dass Menschen immer rational handeln - eine idealistische Annahme.

Eine kritische und kleinere Schar von Ökonomen, die in der Öffentlichkeit kaum eine Rolle spielen, quittieren die Sicherheit ihrer Kollegen, wenn nicht mit Kopfschütteln, so mit einer gehörigen Portion Skepsis. Ihnen ist bewusst, dass Wirtschaft nicht auf reine Angebots-und-Nachfrage-Modelle reduziert werden kann, sondern weitaus komplexer ist.

Was zum Beispiel den derzeitigen Aufschwung verursacht hat, darüber ist man sich ehrlicherweise nicht im Klaren. Vermutlich hat die Agenda 2010 von Gerhard Schröder mitgeholfen, wie ein wissenschaftliches Institut meldete. Aber sicher ist das nicht.

Die Objektivität besonders der beratenden Ökonomen ist ein Trugbild. Denn sie müssen ihre zusammengetragenen Zahlen interpretieren. Was beispielsweise die zum Teil extremen Einkommensunterschiede genau bedeuten, das sagen die Zahlen nicht. Ökonomik ist letztlich zeithistorische Interpretation und lässt der persönlichen Meinung Spielraum.

Das zeigt sich in der Verortung der Ökonomen: Sie arbeiten für Parteien, Verbände, Gewerkschaften, Unternehmen, von denen sie auch Honorar bekommen. Das verbindet und ist ein Hinweis, dass die Ökonomik nicht immer eine wertfreie Wissenschaft ist. Ihre Legitimation steht dann in Frage.

Besonders die beratenden Ökonomen haben deswegen ein Legitimationsproblem. Denn es gibt keine Theorie, die schlüssig und logisch aufzeigt, welche wirtschaftspolitischen Maßnahmen zu einem Zeitpunkt objektiv notwendig sind. Zugespitzt formuliert sind diese Ökonomen Lobbyisten ihrer Auftraggeber oder eines Trends.

Ihre Legitimation können sie nur aufrecht erhalten, wenn sie sich vom beratenden Geschäft trennen und sich der Wahrheit der Wissenschaft verpflichten. Oder sie bekennen sich, dass sie mit wissenschaftlichen Methoden Trends oder Interessen unterstützen, was nicht unehrenhaft ist und unverzichtbar, um Entscheidungen zu fällen. Es wäre aber ehrlicher als der unehrliche öffentliche Diskurs, wo jeder beschwört, interesselos Repräsentant der wahren Wirtschaftswissenschaft zu sein.


Klaus Peter Weinert ist Wirtschafts- und Fachjournalist. Er studierte Germanistik, Soziologie, Volkswirtschaftslehre und Filmwissenschaften. Weinert arbeitet für Rundfunk, Fernsehen und Printmedien.