Atomwaffen im 21. Jahrhundert
Der Atomwaffensperrvertrag von 1970 hat den Wettlauf um Nuklearwaffen gestoppt, der während der beiden Jahrzehnte zuvor in Gang gekommen war. Die meisten der damals etwa vierzig Atomwaffen-Kandidaten haben sich vertraglich verpflichtet, von ihren Bemühungen Abstand zu nehmen.
Dass zwei Jahrzehnte später die Konfrontation der beiden großen Blöcke ohne einen verheerenden Krieg zu Ende ging, hat auch mit dem Atomwaffensperrvertrag zu tun, durch den die nuklearen Bedrohungsszenarien überschaubar gehalten worden waren. Lässt sich etwas Vergleichbares für das 21. Jahrhundert wiederholen?
Gänzlich hat der Sperrvertrag sein Ziel freilich nicht erreicht. Zu den im Vertragstext genannten fünf Atommächten USA, Sowjetunion, Großbritannien, Frankreich und China sind inzwischen weitere hinzugekommen: Indien und Pakistan, die das offiziell bekannt gemacht haben, sowie Israel, das bei Inkrafttreten des Sperrvertrags wohl bereits Atomwaffen hatte, sich aber nie offiziell dazu bekannt hat. Wie es inzwischen um die nordkoreanischen Fähigkeiten bestellt ist, ist unklar, was ebenfalls für den Iran gilt. Ganz gehalten hat der Sperrvertrag also nicht. Vor allem aber ist das in ihm gegebene Versprechen der Nuklearmächte auf atomare Abrüstung nicht eingelöst worden. Insofern sind 1970 machtpolitische Konstellationen festgeschrieben worden, die einige Mächte privilegieren. Dass es einige gibt, die das ändern wollen, ist nur zu verständlich. Und dennoch können wir eine Veränderung der Konstellationen durch nukleare Proliferation nicht wollen – ebenso wenig wie wir die mutmaßlichen Folgen einer weltweiten Abrüstung der Atomwaffen wollen können. Warum ist das so?
Im Prinzip könnte man sich ja sehr wohl einen schrittweise erfolgenden Prozess zur weltweiten Vernichtung aller Atomwaffen unter Kontrolle der Internationalen Atomagentur in Wien vorstellen. Aber selbst wenn es gelänge, bei dieser Abrüstung den letzten Schritt zu machen, welcher der schwierigste ist: den, bei dem die Atommächte ihre letzten Bomben in dem Vertrauen zerstören, dass alle anderen das zeitgleich auch tun, würde dadurch mit großer Wahrscheinlichkeit das allgemeine Misstrauen mehr gefördert als das Vertrauen. Es könnte nämlich einen geben, der Waffen zurückbehalten hat bzw. heimlich neue baut, um dadurch zum Herrn der Welt zu werden. Am gefährlichsten dürften dabei so genannte Netzwerke sein, also politische Akteure, die nicht die Gestalt von Territorialstaaten haben, sondern überall und nirgendwo sind, die man somit nicht abschrecken kann. Wer die sich überschlagenden Reaktionen auf Nachrichten über terroristische Bedrohungen zum Maßstab nimmt, wird eine politische Welt nach Abschaffung der Atomwaffen fürchten: Sie würde sich in einem Zustand der Dauererregung auf der Grundlage generalisierten Misstrauens befinden. Eine atomwaffenfreie Welt wäre insofern eher die Hölle als das Paradies.
Man hat sich angewöhnt, Atomwaffen als politische Waffen zu bezeichnen. Damit soll gesagt werden, dass sie im Rahmen militärischer Konflikte keine wirkliche Rolle spielen, sondern dazu dienen, solche Konflikte zu verhindern. Der Machtzuwachs, den die Atommächte aus diesen Waffen beziehen, besteht in der Fähigkeit zur Vergabe von Sicherheitsgarantien und ihrer Unangreifbarkeit durch andere Mächte. Letzteres ließe sich vermutlich auch andersweitig sicherstellen; aber die Vergabe von Sicherheitsgarantien dürfte nicht nur manche Aufrüstung, sondern auch einige Kriege verhindert haben. Das wäre nach einer atomaren Abrüstung wohl anders: Es würde zu einem deutlichen Anstieg zwischenstaatlicher Kriege kommen, die zuletzt zu einem historischen Auslaufmodell geworden sind.
Atomwaffen haben, wenn man es recht besieht, also einen erheblichen politischen Nutzen, der die mit ihnen verbundenen Nachteile deutlich überwiegt. Es sollten nur nicht mehr Atommächte werden, als es gegenwärtig sind. Auch das nämlich würde die Lage unübersichtlich machen und zu einer wachsenden Unberechenbarkeit der Akteure beitragen. Dass iranische Atomwaffen dem Nahen und Mittleren Osten mehr Sicherheit und Stabilität verleihen, ist kaum anzunehmen. Sie würden dort nämlich ein nukleares Wettrüsten in Gang bringen, in dem Saudi-Arabien und Ägypten ebenfalls Atommächte werden wöllten, von der Rolle Israels ganz zu schweigen. Darüber, dass in diese Wetterecke der Weltpolitik, keine weiteren Nuklearmächte hineingehören, besteht politischer Konsens. Wichtiger ist dagegen die Einsicht, dass eine weltweite Nuklearabrüstung, wie sie immer wieder gefordert wird, die Welt unsicherer und gefährlicher machen würde. Wir leben tatsächlich in einer Situation, bei der jede Veränderung, gleichgültig wohin, die Dinge schlechter machen würde. Struktureller Konservatismus hat hier also gute Gründe.
Herfried Münkler, geboren 1951 in Friedberg, ist Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität. Er ist mit zahlreichen Studien zur politischen Ideengeschichte und zur Theorie des Krieges hervorgetreten. Nicht wenige davon sind mittlerweile Standardwerke, so etwa "Machiavelli" (1982) und "Gewalt und Ordnung" (1992). Kürzlich erschienen Münklers jüngste Bücher "Die neuen Kriege" und "Der neue Golfkrieg".
Gänzlich hat der Sperrvertrag sein Ziel freilich nicht erreicht. Zu den im Vertragstext genannten fünf Atommächten USA, Sowjetunion, Großbritannien, Frankreich und China sind inzwischen weitere hinzugekommen: Indien und Pakistan, die das offiziell bekannt gemacht haben, sowie Israel, das bei Inkrafttreten des Sperrvertrags wohl bereits Atomwaffen hatte, sich aber nie offiziell dazu bekannt hat. Wie es inzwischen um die nordkoreanischen Fähigkeiten bestellt ist, ist unklar, was ebenfalls für den Iran gilt. Ganz gehalten hat der Sperrvertrag also nicht. Vor allem aber ist das in ihm gegebene Versprechen der Nuklearmächte auf atomare Abrüstung nicht eingelöst worden. Insofern sind 1970 machtpolitische Konstellationen festgeschrieben worden, die einige Mächte privilegieren. Dass es einige gibt, die das ändern wollen, ist nur zu verständlich. Und dennoch können wir eine Veränderung der Konstellationen durch nukleare Proliferation nicht wollen – ebenso wenig wie wir die mutmaßlichen Folgen einer weltweiten Abrüstung der Atomwaffen wollen können. Warum ist das so?
Im Prinzip könnte man sich ja sehr wohl einen schrittweise erfolgenden Prozess zur weltweiten Vernichtung aller Atomwaffen unter Kontrolle der Internationalen Atomagentur in Wien vorstellen. Aber selbst wenn es gelänge, bei dieser Abrüstung den letzten Schritt zu machen, welcher der schwierigste ist: den, bei dem die Atommächte ihre letzten Bomben in dem Vertrauen zerstören, dass alle anderen das zeitgleich auch tun, würde dadurch mit großer Wahrscheinlichkeit das allgemeine Misstrauen mehr gefördert als das Vertrauen. Es könnte nämlich einen geben, der Waffen zurückbehalten hat bzw. heimlich neue baut, um dadurch zum Herrn der Welt zu werden. Am gefährlichsten dürften dabei so genannte Netzwerke sein, also politische Akteure, die nicht die Gestalt von Territorialstaaten haben, sondern überall und nirgendwo sind, die man somit nicht abschrecken kann. Wer die sich überschlagenden Reaktionen auf Nachrichten über terroristische Bedrohungen zum Maßstab nimmt, wird eine politische Welt nach Abschaffung der Atomwaffen fürchten: Sie würde sich in einem Zustand der Dauererregung auf der Grundlage generalisierten Misstrauens befinden. Eine atomwaffenfreie Welt wäre insofern eher die Hölle als das Paradies.
Man hat sich angewöhnt, Atomwaffen als politische Waffen zu bezeichnen. Damit soll gesagt werden, dass sie im Rahmen militärischer Konflikte keine wirkliche Rolle spielen, sondern dazu dienen, solche Konflikte zu verhindern. Der Machtzuwachs, den die Atommächte aus diesen Waffen beziehen, besteht in der Fähigkeit zur Vergabe von Sicherheitsgarantien und ihrer Unangreifbarkeit durch andere Mächte. Letzteres ließe sich vermutlich auch andersweitig sicherstellen; aber die Vergabe von Sicherheitsgarantien dürfte nicht nur manche Aufrüstung, sondern auch einige Kriege verhindert haben. Das wäre nach einer atomaren Abrüstung wohl anders: Es würde zu einem deutlichen Anstieg zwischenstaatlicher Kriege kommen, die zuletzt zu einem historischen Auslaufmodell geworden sind.
Atomwaffen haben, wenn man es recht besieht, also einen erheblichen politischen Nutzen, der die mit ihnen verbundenen Nachteile deutlich überwiegt. Es sollten nur nicht mehr Atommächte werden, als es gegenwärtig sind. Auch das nämlich würde die Lage unübersichtlich machen und zu einer wachsenden Unberechenbarkeit der Akteure beitragen. Dass iranische Atomwaffen dem Nahen und Mittleren Osten mehr Sicherheit und Stabilität verleihen, ist kaum anzunehmen. Sie würden dort nämlich ein nukleares Wettrüsten in Gang bringen, in dem Saudi-Arabien und Ägypten ebenfalls Atommächte werden wöllten, von der Rolle Israels ganz zu schweigen. Darüber, dass in diese Wetterecke der Weltpolitik, keine weiteren Nuklearmächte hineingehören, besteht politischer Konsens. Wichtiger ist dagegen die Einsicht, dass eine weltweite Nuklearabrüstung, wie sie immer wieder gefordert wird, die Welt unsicherer und gefährlicher machen würde. Wir leben tatsächlich in einer Situation, bei der jede Veränderung, gleichgültig wohin, die Dinge schlechter machen würde. Struktureller Konservatismus hat hier also gute Gründe.
Herfried Münkler, geboren 1951 in Friedberg, ist Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität. Er ist mit zahlreichen Studien zur politischen Ideengeschichte und zur Theorie des Krieges hervorgetreten. Nicht wenige davon sind mittlerweile Standardwerke, so etwa "Machiavelli" (1982) und "Gewalt und Ordnung" (1992). Kürzlich erschienen Münklers jüngste Bücher "Die neuen Kriege" und "Der neue Golfkrieg".

Herfried Münkler© HU Berlin