Atommüll

Wie fair ist die Suche nach dem Endlager?

 Ein Mann betrachtet vor einer Dialogveranstaltung eine Informationstafel des Bundesamtes für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE).
Mit einer Ausstellung möchte das Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit über die Endlagersuche informieren. © picture alliance / dpa / Zentralbild / Jan Woitas
Von Leonie Sontheimer · 12.11.2019
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Seit Jahrzehnten nutzen wir Kernenergie, doch bis heute gibt es kein Endlager für den Atommüll. Keine Gemeinde will ihn haben. Bis 2031 aber soll der Platz dafür gefunden werden. Ist das Verfahren transparent und bürgernah?
Der Berliner Hauptbahnhof im Oktober: Im Zentrum des Gebäudes klebt ein überdimensionales gelbes Atomsymbol auf dem Boden. Leuchtende Schautafeln stehen in einem Kreis darum. Mittendrin eine Säule, die spricht, wenn man sie berührt: "Im Jahr 2022 werden die letzten Kernkraftwerke in Deutschland abgeschaltet sein. 1.900 Behälter mit 27.000 Kubikmetern hochradioaktiven Abfällen bleiben übrig."
Das Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit hat die kleine Ausstellung organisiert. Einige Reisende lesen die Texttafeln oder schauen sich das Modell eines Endlagers näher an. Wann haben sie das letzte Mal an den deutschen Atommüll gedacht?
"An Atommüll? In Zusammenhang mit dem Kohleausstieg. Also vor zwei, drei Jahren."
"Vor zehn Tagen."
"Ich hab mir das durchgelesen. Ich find es ganz interessant. Aber gut, wegen Atommüll mache ich mir jetzt eigentlich so groß gar keine Gedanken. Sollte ich vielleicht mal machen."
"Wann ich das letzte Mal darüber nachgedacht habe? Als ich eine Sendung darüber gesehen habe tatsächlich, wo es darum ging. Ist aber tatsächlich schon ein Momentchen her."

Endlagersuche im Schatten der Klimaproteste

Atommüll. Ein Thema, das in den letzten Monaten bei all der Aufmerksamkeit für das Klima ziemlich untergegangen ist. Dabei geht es auch hier um ein höchst problematisches Erbe an die zukünftigen Generationen. Wo ist der hochradioaktive Abfall am besten aufgehoben? Unter der Erde, irgendwo in Deutschland – darüber waren sich die Parteien im Bundestag 2013 einig, als sie das Standortauswahlgesetz verabschiedet haben.

Bis 2031 soll der konkrete Ort für ein Endlager gefunden werden. Ein straffer Zeitplan, weiß Wolfram König, Leiter des Bundesamts für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE). "Aber wir brauchen auch ein ehrgeiziges Ziel, weil natürlich gerade die Standortgemeinden, die derzeit Zwischenlager haben, eine Antwort haben wollen, wie es weitergeht mit den Castoren, wo hochradioaktive Abfälle lagern."
Ausstellungstafeln im Berliner Hauptbahnhof.
Ausstellung über die Endlagersuche: Für viele Besucher ist das Thema durch die Klimaprotesten in den Hintergrund gerückt.© Leonie Sontheimer

Hat die Politik aus dem Protest in Gorleben gelernt?

Den letzten Anlauf für ein Atommüll-Endlager kann man als gescheitert bezeichnen. Die politische Entscheidung für Gorleben traf auf immensen Widerstand in der Region. Dieses Mal soll das Verfahren von vornherein transparent und partizipativ sein. Das BfE ist für die Öffentlichkeitsbeteiligung zuständig.
"Wir haben verschiedene Formate für die Beteiligung. Das sind einmal natürlich diejenigen, die im Gesetz festgelegt sind. Das sind Regionalkonferenzen, Fachkonferenzen, die dort eingerichtet werden, wo nach einer Phase eins sich herauskristallisiert, dass man genauer hingucken will. Dort soll sichergestellt sein, dass über die gesamte Phase dann der weiteren Erkundung eine unmittelbare Mitwirkung der Bevölkerung und der politisch Verantwortlichen möglich wird."

"Ausgestrahlt" sagt, die Mitwirkung komme zu spät

Die Veranstaltungen, die das BfE bis jetzt organisiert hat, sollten die Bürgerinnen und Bürger auf das Thema aufmerksam machen. Mitbestimmen können sie erst, wenn im nächsten Herbst die Gebiete bekanntgegeben werden, die in die engere Auswahl für ein Endlager kommen. Für Jochen Stay, Sprecher der Anti-Atom-Organisation "Ausgestrahlt", ist das viel zu spät.
"Was ich befürchte, ist einfach, wenn nächstes Jahr dieser Zwischenbericht Teilgebiete kommt, dann haben ja die betroffenen Regionen extrem wenig Zeit, um sich zu sortieren und in diese sehr komplexe Materie einzuarbeiten. Dann soll gleich diese Teilgebietekonferenz losgehen, die darf nur ein halbes Jahr gehen, dann müssen sie die Stellungnahmen abgeben und, und, und. Und das ist ja für Leute, die Laien sind, die das ehrenamtlich machen, ist das eigentlich nicht leistbar."
"Ausgestrahlt" hat aus diesem Grund eine Deutschlandkarte veröffentlicht, auf der sie die Gebiete markiert haben, die ihrer Meinung nach für ein Endlager infrage kommen. Stay und seine Kollegen fahren in diese Regionen und geben dort Informationsworkshops. Für die Behörden, die immer wieder betonen, dass sie bis zum Zwischenbericht von einer weißen Landkarte ausgehen, ist das unnötiges Schüren von Unruhe.
"Wir brauchen ein faires Verfahren, was wirklich davon ausgeht, dass keine Flächen in besonderer Weise in den Fokus genommen werden oder ausgeschlossen werden. Und wir bemühen uns darum auch, jeden Verdacht zu vermeiden, dass dieses nicht der Fall ist."
Jochen Stay bemängelt, dass die Bundesgesellschaft für Endlagerung die geologischen Daten hinter verschlossenen Türen analysiere: "Wir haben jetzt die Situation, dass die BGE seit zwei Jahren arbeitet und keine Zwischenergebnisse veröffentlicht. Und selbst wenn dann im nächsten Jahr dieser Zwischenbericht Teilgebiete kommt, ist es ja so, dass ein Teil der Datengrundlage ja in privater Hand ist, bei Rohstofffirmen. Und die eben nicht veröffentlicht werden dürfen."

Unvereinbare Positionen - schon jetzt

Stay würde am liebsten einen ganz neuen Anlauf nehmen, bei dem die Bürger von Anfang an beteiligt sind, der alte Konflikt um Gorleben aufgearbeitet und dann ein neues Gesetz verhandelt wird. "Dieses Verfahren läuft so falsch, dass es gar nicht reicht, jetzt sozusagen an einzelnen Schräubchen zu drehen. Irgendwann wird das gegen die Wand fahren und dann kommt der nächste Neustart. Die Frage ist nur, wie viel Zeit verlieren wir bis dahin, ja."
Die Positionen von König und Stay scheinen unvereinbar. Doch eine fundamentale Kritik von außen könne auch wertvoll für das Verfahren sein, meint Hans Hagedorn.
"Das ist immer die mahnende Rolle, dass es schief gehen könnte und damit müssen sich die Akteure des Verfahrens auseinandersetzen und deshalb glaub ich, dass ‚Ausgestrahlt‘ keine angenehme Rolle spielt, aber eine wichtige."
Hagedorn ist der Partizipationsbeauftragte des Verfahrens. Zuvor hat er Unternehmen in Sachen Beteiligung beraten. Seine Aufgabe ist es, bei Konflikten zwischen den zahlreichen Akteuren zu vermitteln.
"Und mein jetziger Eindruck ist, mit dem aktuellen Standortauswahlgesetz kann man ein sehr gutes Standortauswahlverfahren machen, was sehr partizipativ ist. Aber es bestehen ganz klar auch die Risiken, dass die Rahmenbedingungen anders ausgelegt werden – und dass es dann in einigen Jahren sich als überhaupt nicht partizipativ herausstellt. Das kommt jetzt wirklich auf die handwerkliche Auslegung und Ausgestaltung des Gesetzes an."
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