Kernkraft im Streckbetrieb

Die Anti-AKW-Bewegung ist entsetzt

09:13 Minuten
Luftaufnahme vom Atomkraftwerk Emsland mit dem großen Kühlturm, aus dem Dampf aufsteigt
Soll noch bis Mitte April 2023 weiterdampfen: das Atomkraftwerk Emsland © picture alliance / dpa / Sina Schuldt
Alexander Vent im Gespräch mit Susanne Arlt · 21.10.2022
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Der Streckbetrieb der drei noch aktiven deutschen Atomkraftwerke gilt als gesichert. Auch das AKW Emsland gehört dazu – es liegt in einer Region, die für ihre Protestkultur bekannt ist. Was sagt ein Gegner zu den Regierungsplänen?
Alexander Vent lebt in Lingen, wo eines der letzten drei aktiven Atomkraftwerke in Deutschland steht. Er ist außerdem Aktivist beim Bündnis AgiEL, das sich gegen Kernkraft engagiert.
Vent berichtet von dem Entsetzen, das die Entscheidung der Bundesregierung ausgelöst hat, drei AKW am Netz zu lassen. Die Ampelkoalition hat nach dem Machtwort von Kanzler Scholz beschlossen, die Kraftwerke in den sogenannten Streckbetrieb zu überführen – also bis März nächsten Jahres weiter zu betreiben. Eigentlich sollten sie laut Gesetz am 31.Dezember 2022 vom Netz gehen. Der Beschluss muss nur noch vom Bundesrat abgenickt werden.
Das Entsetzen sei bei Vent mittlerweile einer Verständnislosigkeit gewichen, denn der Weiterbetrieb des Atomkraftwerks Lingen habe überhaupt keinen Sinn: Es trage nicht zur Versorgungssicherheit des Landes bei, denn es liefere nur 0,5 Prozent des Stroms der Bundesrepublik. Wenn es um die gesamte Energieversorgung und nicht nur um Strom gehe, dann liege der Beitrag sogar nur im Promillebereich.
"Das ist wirklich verschwindend gering! Das kann als Argument also tatsächlich in keinster Weise zählen", findet Vent.
Auch was die Sicherheit des Kraftwerks angehe, habe das Bündnis AgiEL Bedenken. Denn bei der letzten Überprüfung seien altersbedingte Schäden an den Dampferzeuger-Heizrohren entdeckt worden. Dabei handele es sich um die Schnittstelle zwischen dem hochradioaktiven inneren Bereich und der Umwelt.
Die Aktivisten befürchten nun, dass es zu weiteren Schäden kommt, die dazu führen, dass größere Mengen Radioaktivität in die Umwelt gelangen – oder dass es im schlimmsten Fall zu einer Kernschmelze kommen könnte.
Angst vor dem Frühjahr
Für Vent und das Bündnis AgiEList deshalb klar: "Das Atomkraftwerk in Lingen, wie auch die anderen Atomkraftwerke im Süden der Republik, müssen spätestens zum 31.12. stillgelegt werden. Der Nutzen, den diese Atomkraftwerke bringen, ist absolut gering. Das Risiko, was der Betrieb mit sich bringt, ist entsprechend sehr hoch. Die AKWs müssen, wie es 2011 nach der Katastrophe von Fukushima im Konsens beschlossen wurde und wie es immer noch der Stand der Gesetzgebung ist, noch vor dem 31.12. abgeschaltet werden."
Große Sorge bereite dem Bündnis, dass die Entscheidung der Regierung nichts mit Rationalität zu tun gehabt habe, erklärt Vent. Zudem stellt sich die Frage, was die Entscheidung für den Streckbetrieb für die Zeit nach März bedeuten könnte.
"Wir brauchen dieses Atomkraftwerk nicht. Und trotzdem hat man entschieden es weiterlaufen zu lassen – auf politischen Druck des Regierungspartners, von dem man sich im Grunde erpressen lassen hat", mein Vent. "Dieser politische Druck, der wird nicht geringer. Ganz im Gegenteil: Wir hören jetzt schon von weiteren Forderungen seitens der FDP. Und da befürchten wir natürlich, dass man dann im Frühjahr diesen jetzt getroffenen Entschluss schon wieder in Frage stellt."
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