Atlanten und Monatshefte

Von Günther Wessel · 23.02.2010
Er erfand den Diercke Weltatlas: George Westermann, am 23. Februar 1810 in Leipzig geboren, gründete eines der großen Verlagsimperien Deutschlands im 19. Jahrhundert.
"Jeder untersteht dem obersten Prinzip des Geschäfts, das Ordnung, Klarheit, Redlichkeit, Pflichterfüllung heißt."

Als George Westermann diese Zeilen an seinen Sohn schreibt, ist er bereits 58 Jahre alt, ein ernster Vertreter bürgerlicher Tugenden und ein erfolgreicher Verleger. Der vierte Sohn einer Goldschmiedefamilie, am 23. Februar 1810 in Leipzig geboren und eigentlich auf den Namen Georg getauft, fand früh seine Bestimmung: den Buchhandel und das Verlagswesen.

Er verlässt 17-jährig das Elternhaus, lernt in Braunschweig beim Verlagsbuchhändler Friedrich Vieweg, in dessen Haus er auch seine spätere Frau Blanka, die Tochter seines Lehrherrn, trifft.

Nach der Ausbildung geht er auf Wanderschaft: Er fährt nach England, versucht in Hamburg Fuß zu fassen und in Leipzig. Im Mai 1838 gründet er mithilfe seines Schwagers Vieweg schließlich in Braunschweig einen eigenen Verlag. Ein kleines, kapitalschwaches und unbekanntes Unternehmen.

"Noch heute halte ich es für einen jungen Verleger für eines der schwierigsten Hindernisse seines Emporkommens, wenn er nicht versteht, sich zur Geltung zu bringen","

… notiert er in einem kurzen Lebensrückblick mehr als 30 Jahre später.

Doch Westermann gelingt es, bald wahrgenommen zu werden. Er verlegt Romane von Charles Dickens, hat aber vor allem Erfolg mit wissenschaftlicher Literatur.

""Westermann war so ein typischer Verlag für dieses mittlere Bürgertum."

Detlef Bluhm, Geschäftsführer des Berliner Börsenvereins und Autor eines Buches über die Geschichte der Buchkultur. Er weiß, warum Westermanns Verlag in dieser Zeit so erfolgreich war:

"Es werden sehr viele Schriften zur Fortbildung gelesen, es ist ja auch das Zeitalter der Enzyklopädien. Also Wissen ist die Möglichkeit für viele Menschen, sozial aufzusteigen; und deshalb werden viele, was wir heute als Sachbücher bezeichnen, realkundliche Bücher, also viel Wissen wird konsumiert. Für jedes Wissenschaftsgebiet gab es plötzlich Verlage."

Mit seinem Verlag spezialisiert Westermann sich auf Lehr- und Lernwerke der Geschichte, der Länder- und Völkerkunde, auf Wörterbücher, geografische Texte und Atlanten. Westermann selbst begeistert sich für Musik und reist deshalb im März 1844 nach Hannover, um dort den Komponisten Franz Liszt zu treffen.

"Ich habe bereits Liszt begrüßt, eine Cigarre mit ihm geraucht und mir einen Ungarischen Tanz von ihm vorspielen lassen."

Im Juli 1856 beschreibt er in einem Brief sein neuestes Projekt:
"Ich will ein Journal begründen, welches vorzugsweise den kulturhistorischen Interessen gewidmet ist."

Und er weiß auch schon, wie die neue Zeitschrift heißen soll:

"Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte"

Im Oktober 1856 erscheint die erste Ausgabe des Magazins. Detlef Bluhm:

"Die Zeitschriften sind förmlich explodiert im 19. Jahrhundert und haben deshalb auch extrem gute Honorare bezahlt, weil: Sie mussten ja mit Inhalt gefüllt werden, und da gab es eine richtige Autorennachfrage."

Das Besondere an "Westermanns Monatsheften": Hier schreiben die besten und bekanntesten Schriftsteller der Zeit - Friedrich Hebbel, Theodor Storm und der spätere Literatur-Nobelpreisträger Paul Heyse. Auch Theodor Fontane gehört zu den Hausautoren. Er lobt 1881:

"Wenn Westermann manierliche Schriftsteller braucht, so brauchen die manierlichen Schriftsteller noch mehr Westermann."

"Westermanns Monatshefte" erschienen mehr als 100 Jahre und wurden erst 1987, im 121. Jahrgang, eingestellt.

Viel bekannter, täglich von Schülern genutzt - und inzwischen in mehr als 300 Auflagen erschienen -, ist jedoch der Schulatlas, den Westermann anschob. Am 6. Juni 1875 besuchte er in Stade einen preußischen Schulrat namens Carl Diercke und besprach mit ihm, wie man den bisher erschienenen Atlas verbessern könne. So begann eine Zusammenarbeit, die 1883 in der Herausgabe des ersten "Diercke Schulatlas" mündete.

Heute gehört der Westermann Verlag einer Medien Holding. In seinem Archiv lagern zahlreiche Dokumente zum Firmengründer - Westermann war ein fleißiger Briefschreiber. Eines bleibt aber ungeklärt: wann und warum er aus seinem deutschen Georg einen englischen George machte.
Carl Diercke gab 1883 sein erstes Kartenwerk bei Wester- mann heraus.
Carl Diercke gab 1883 sein erstes Kartenwerk bei Wester- mann heraus.© Dierck Willemer