Athleten sollen sich "frühzeitig" zweites Standbein suchen

Michael Hadschieff im Gespräch mit Stefan Karkowsky · 10.08.2012
Viele Spitzensportler beenden ihre Karriere ohne Ausbildung - und ohne Perspektive. Michael Hadschieff, Österreichs Sportler des Jahres 1986, berät heute im Verein KADA ehemalige Sportler über die zweite Karriere - und er erklärt, warum manche nach Ende der Laufbahn eine Art "Pensionsschock" trifft.
Stefan Karkowsky: Manche sind danach wenigstens reich, die allermeisten aber beenden ihre Karrieren als Spitzensportler ohne Ausbildung und ohne Perspektive. Wer sein Leben lang nur trainiert hat für Weltmeisterschaften und Olympische Spiele - wie soll der eigentlich in einen Alltag zurückfinden, den es für ihn nie gab? Michael Hadschieff hat das selbst erlebt. Österreichs Sportler des Jahres 1986 verhilft heute anderen Athleten im Verein KADA zur Karriere danach. Guten Morgen, Herr Hadschieff!

Michael Hadschieff: Guten Morgen!

Karkowsky: Sie haben als Eisschnellläufer zwei Mal den Weltcup gewonnen, einen Weltrekord geholt, olympisches Silber und Bronze in Calgary, sechs Jahre später dann, nach Lillehammer, war für Sie Schluss. Was haben Sie als Erstes gemacht danach?

Hadschieff: An und für sich natürlich nach so einer langen Periode des Nur-Sport-Treibens war mal zuerst allen gesagt, ein bisschen Regeneration, einfach mal von dem Ganzen Abstand gewinnen. Danach ging es aber schon gleich weiter, weil ich einerseits mein Studium gleich beenden wollte, andererseits hatte ich also schon meine ersten beruflichen Engagements, wo ich also mit meiner Agentur bisschen enger ins Gespräch gekommen bin, und hatte auch wirklich das Glück, dass ich nicht ganz ein Jahr, nachdem ich aufgehört habe, von meiner Ausrüsterfirma, von Puma, ein Angebot bekommen habe, dort Promotionmarketingleiter zu werden.

Karkowsky: Das liest sich bei Ihnen, wenn man in Ihren Lebenslauf reinguckt, ja auch wirklich wie ein nahtloser Übergang der Karriere vom Sportler zum Geschäftsmann. Sie waren Manager bei den Casinos Austria, Sie sagen es, Marketingleiter bei Puma, Gesellschafter, Geschäftsführer und so weiter. Mal mit Verlaub gefragt: Was hatte Sie eigentlich dazu qualifiziert, wenn Sie doch eigentlich Ihr Leben lang vor allem auf Kufen auf dem Eis standen?

Hadschieff: Ja, ich habe also schon, während dem ich also kräftig eisschnellgelaufen bin, natürlich schon versucht, also auch mein zweites Standbein zu stricken, und habe also schon in meinen letzten Jahren auch schon Veranstaltungen organisiert, habe also Studium gemacht, habe also da Praxis erworben in dem, was ich nachher mal machen wollte. Und deswegen hat es auch bei mir wirklich glücklicher Zufall, dass der Übergang nahtlos gewesen ist, wobei ich schon sagen muss, also das mit dem Studium während dem Sport, das hat mir schon sehr viel dabei geholfen, auch nachher sofort gleich Anschluss zu finden und in die Berufswelt einzusteigen.

Karkowsky: Darf ich vermuten: Den allermeisten gelingt das nicht, sich während der Karriere schon auf die Zeit danach vorzubereiten?

Hadschieff: Ja, also das, was wir jetzt so mitleben, ist natürlich: Man konzentriert sich sehr stark auf den Sport, weil das ja das ist, was ... wofür man sich täglich schon schindet, für das man täglich trainiert. Und dann ist es also wirklich so, dass also dann mit Aufhören des sportlichen Alltags auf einmal ein Alltag beginnt, den man so vorher nicht kannte, (…) vorher gehört, also es ist schon so, dass also das ... bei ... ich würde sagen, so wie ein Pensionsschock, weil man geht ja sportlich in Pension, und danach ist einmal zuerst nichts Vergleichbares mit dem, was man die letzten Jahre oder möglicherweise Jahrzehnte gemacht hat.

Karkowsky: Sie hatten ja dann auch quasi Bürojobs, Sie waren nicht mehr jeden Tag am Trainieren, die ganzen Stunden auf der Eisbahn, das war vorbei. Wie ging es Ihnen denn körperlich damit?

Hadschieff: Ich muss sagen, also ich wollte zwei Jahre, bevor ich dann definitiv aufgehört habe, wollte ich schon einmal meine Karriere beenden. Deswegen war es für mich dann ein ganz klares Ziel, zwei Jahre noch zu machen, das waren die Olympischen Spiele in Lillehammer, und dadurch hatte ich also ein ganz klares Ziel: Also ich arbeite jetzt noch zwei Jahre als Eisschnellläufer und mache danach was anderes.

Und diese zwei Jahre waren dermaßen hart, auch körperlich wie auch vom Kopf, dass ich nachher extrem froh war, nicht mehr trainieren zu müssen. Und dadurch habe ich mich auch zwingen können oder war es für mich keine schwere Angelegenheit, mich auch in ein Büro zu setzen und dort einfach von eight to five meinen Job abzuliefern und also vorm Computer zu sitzen. Das hat mir dahingehend nichts mehr ausgemacht, weil ich vorher wirklich ausgepowert war im Sport, und diesen Zeitpunkt des Abtretens etwas überzogen habe sogar net, damit ich also ... Nachher hab ich also gespürt: Ich habe also nachher keine Ressourcen mehr im Sport, und habe mich also nur ein halbes Jahr noch mit Training und dergleichen befasst und habe dann also relativ abrupt auch abgebrochen.

Karkowsky: Also wenn der Michael Phelps jetzt sagt, er wird an allen Schwimmbecken vorbeigehen, die er im Urlaub mal zufällig irgendwo sieht, und nur noch ausschlafen, dann kann man ihm das glauben?

Hadschieff: Ja, das ist definitiv so. Ich habe mit vielen Athleten gesprochen und habe gesagt, na, also, habt ihr nicht immer noch einmal den Weg zurück gefunden und wolltet was machen? Da haben sie einfach gesagt, nein. Gerade bei Schwimmern haben sie gesagt, die gehen jetzt maximal mit den Kindern noch irgendwie plantschen, aber schwimmen – definitiv kein Thema mehr. Und bei mir war Eislaufen zwar, die Eisbahn kurzfristig noch ein Thema, aber dann für zehn Jahre lang keines mehr, weil einfach die Erinnerung, die Schmerzen so groß waren, dass ich gesagt hab, nein, also das muss ... Das ist jetzt beendet.

Karkowsky: Die zweite Halbzeit – wie Spitzensportler ihr Leben nach der Karriere empfinden, das bespreche ich mit dem österreichischen Ex-Eisschnellläufer Michael Hadschieff. Herr Hadschieff, gehörten Sie denn auch zu jenen Spitzensportlern, die so umhegt und umpflegt waren von Beratern und Managern und Verbandshelfern, dass Sie am Ende nicht mal mehr wussten, wie man Geld aus dem Automaten zieht, geschweige denn, wie man eine Reise selbst bucht?

Hadschieff: Na, ich meine, das ist interessant, dass Sie das jetzt ansprechen. Wir waren also dadurch, dass wir Eisschnellläufer waren und nicht Skifahrer, wie es in Österreich der Nationalsport ist, ... merkt man schon, also was da für eine Überbetreuung im Endeffekt passiert. Worauf wir jetzt noch hinweisen wollen also in dem, was ich jetzt tu, ist eben diese Überbetreuung, dass die Athleten teilweise selber nicht wissen, wie sie sich organisieren müssen, und das ist natürlich ein extremes Problem für nach der Karriere, weil man dann halt auch glaubt, es wird einem immer alles Mögliche gerichtet. Und da gab es eben beim Eisschnelllauf nicht ... Wir haben selber sehr viel organisiert und uns selber organisiert, damit wir also das Ganze auf die Reihe bringen, weil wahrscheinlich auch zu wenig Geld involviert war. Alles das, was ich jetzt sehe, ist: Da, wo viel Geld involviert ist, gibt es viele Manager, viele Betreuer, man versucht, ein ideales Umfeld zu schaffen, was aber für danach oft überhaupt nicht ideal ist.

Karkowsky: Wo ist es am schlimmsten – im Fußball?

Hadschieff: Fußball, glaube ich, ist die Sportart, die global gesehen wahrscheinlich die schlimmste ist, bei uns auf jeden Fall, weil das Ausbildungsniveau dort meistens nicht sehr hoch ist und dadurch natürlich auch nachher die Jobs nicht so zur Verfügung stehen wie teilweise in anderen Sportarten.

Karkowsky: Ich habe gelesen, in Österreich – vermutlich auch in Deutschland – sind bis zu 30 Prozent der Spitzenfußballer arbeitslos.

Hadschieff: Ich habe jetzt eben diese ganz genauen Zahlen nicht so recherchieren können, glaube aber, dass es dem ganz, ganz sicher nahekommt. Dadurch, dass die natürlich relativ früh schon beginnen, in einem Team zu spielen, transferiert werden, weg von zu Hause sind, (…) die Basisausbildung machen und danach halt keine zusätzliche mehr, weil sie ja im Fußball versuchen, überall zu spielen, über ganz Österreich und ganz Europa unterwegs sind, und dann natürlich irgendwann durch Verletzungen einfach an einem Punkt stehen, wo sie in ... den Spitzensport nicht mehr machen können. Und dann fehlt sowohl die Ausbildung als auch die Praxis, und da schaut es natürlich schlecht aus, weil man dann also für solche Leute kaum Jobs findet respektive die vom Geld so verwöhnt sind, dass sie auch nicht jeden Job annehmen können und wollen.

Karkowsky: Wie können Sie denn nun mit Ihrem Verein KADA, Karriere Danach, ehemaligen Spitzensportlern helfen?

Hadschieff: Wir helfen jetzt in zweifacher Weise. Also ich bin jetzt bei KADA so der Ansprechpartner für Laufbahnberatung, sprich also während der aktiven Zeit schon Ausbildung zu machen, und der zweite Teil ist also genau dann, wenn die Athleten aufhören, relativ wenig Ausbildung haben und dann arbeitslos sind oder halt dort nicht wissen, wie es weitergeht und wir dort versuchen, denen Ausbildung zukommen zu lassen, teilweise Ausbildung zu finanzieren und auch versuchen, über unser Netzwerk, das wir in der Zwischenzeit haben, den Leuten einfach Arbeit geben, mal dass sie wenigstens irgendwo zum Praktikum kommen können, nur um mal zu sehen, ob das überhaupt dem entspricht, was sie sich vorstellen, und so denen einfach eine neue Aufgabe zu geben. Und da sind wir in der Zwischenzeit nicht unerfolgreich, und es hat wie gesagt lange gedauert, dass das auch in Österreich funktioniert hat, aber ich glaube, wir sind jetzt auf einem sehr guten Weg.

Karkowsky: Bräuchten manche nicht schon dringend während ihrer aktiven Zeit Hilfe für den bevorstehenden Ausstieg? Denken Sie mal an den deutschen Olympiasieger im Diskuswerfen, Robert Harting, der neulich im "Spiegel" gesagt hat, er brauche den Olympiasieg, um nicht zu zerbrechen.

Hadschieff: Das sind genau solche Sachen. Das gibt es natürlich auch in Österreich in unterschiedlichen Sportarten. Aber das ist eben meine Funktion: Ich versuche also den Athleten beizubringen, frühzeitig schon ein zweites Standbein zu suchen. Und da habe ich auch Rückmeldung von Psychologen, die sagen, sie haben teilweise sogar eine Leitungsexplosion bei Athleten gesehen, die ihr Studium zum Beispiel, den Bachelor, schon abgeschlossen haben, und danach gewusst haben: Sie haben jetzt eine Sache fix in der Tasche und können sich jetzt zu 100 Prozent auch auf den Sport konzentrieren, weil sie haben auf jeden Fall, so schlimm es auch gehen möchte, immer noch eine zweite Möglichkeit. Und das versuchen wir immer eine herauszubekommen, also was diese zweite Möglichkeit ist für die Athleten, und dahin gilt es eben, das Augenmerk zu legen, damit also Athleten sich nicht nur auf einen Olympiasieg konzentrieren und sagen, wenn ich den nicht schaffe, dann breche ich.

Karkowsky: Die Karriere danach – Ex-Eisschnellläufer Michael Hadschieff berät im österreichischen Verein KADA ehemalige Spitzensportler eben genau für ihre zweite Karriere. Danke für das Gespräch!

Hadschieff: Bitte vielmals!


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