Atheist kontra Christ

Die Bibel ist ein manipuliertes Lügengeflecht, der Gottesdienst nur "religiös-romantisches Hollywood", polemisiert Atheist Peter Henkel. CDU-Politiker und Katholik Norbert Blüm hält dagegen, ein "Gottesverlangen" sei dem Menschen wesenseigen. Gewinner dieser intensiven Brieffreundschaft ist der Leser.
Ein Atheist, Journalist der "Frankfurter Rundschau", und ein Katholik, Ex-Arbeitsminister der CDU in der Regierung Kohl, schreiben sich in sieben Monaten 20 Briefe und "streiten über Gott".

Kann man das überhaupt? Lohnt sich das denn? Ja, sagt Peter Henkel, "in einer mündigen Gesellschaft muss es Atheisten geben, die öffentlich wahrnehmbar auf einer Prüfung dessen bestehen, was dran ist am Glauben". Ja, sagt Norbert Blüm, "wir twittern uns mit Belanglosigkeiten zu Tode und da sollten wir über Gott schweigen?" Einig sind sie sich auch, "dass trotz aller Säkularisierung die Religion in den nächsten Jahrzehnten eine zentrale Rolle spielen wird", dass der Gottesleugner "dem Gläubigen nicht vorwerfen darf, unaufgeklärt zu sein" und der Gläubige "den Atheisten nicht für unmoralisch oder herzlos halten sollte".

Dann aber legen sie los. Und wie. Wenn Archäologen Faustkeile und Äxte als Grabbeigaben finden, dann war der Urmensch zwar ein homo faber, aber auch ein homo religious. Hat nicht nur Bäume gefällt, sondern auch gebetet, geglaubt und gehofft. Die Sehnsucht nach Vollkommenheit und Transzendenz, ein "Gottesverlangen", sei dem Menschen nämlich wesenseigen, meint Norbert Blüm. Gott ist eine Wunschprojektion, kontert Peter Henkel, der Glaube eine Autosuggestion, die Bibel ein absichtsvoll manipuliertes Lügengeflecht und der Gottesdienst nur "religiös-romantisches Hollywood".

Das nimmt Bibelleser und Kirchgänger Blüm persönlich und polemisiert zurück. Er zitiert Ernst Bloch, Bert Brecht und Dietrich Bonhoeffer. Henkel ist empört über den Ton, würde jetzt zwar Schopenhauer, Büchner, Nietzsche und Feuerbach zitieren können, mahnt aber dringend, "nicht weiter wie geprügelte Schulbuben mit dem großen Bruder zu drohen". Beide Kontrahenten haben eine eiserne Faust, aber ein gläsernes Kinn. Teilen gerne aus, stecken ungern ein. Schließlich kehrt man "vom Bolzplatz des Populismus auf den gepflegten Rasen der Philosophie zurück."

Faszinierend: Die beiden schreiben tatsächlich einander. Sehr persönlich – bei Blüm angereichert mit berührenden Beispielen aus seiner Familiengeschichte, bei Henkel unterfüttert von präzisen Zeitgeistanalysen – und sehr ehrlich. Kein intellektuelles Schaulaufen für den Leser, kein vulgärer Christenhass auf Henkels Seite, kein salbungsvoller Bekehrungsruf auf Blüms Seite. Zwei Mal droht ihr Gespräch zu scheitern, mehrmals hält man den Atem an. Erst recht, als es um den Ursprung des Bösen, die Freiheit des Menschen, um Funktion und Deutung des Todes Jesu, um die Sicherung universell gültiger Menschenwürde, Werte und Rechte geht.

Wer geht als Sieger vom Platz? Der Leser. Als solcher stimme ich beiden zu, "dass eine religionsfreie Vernunft und eine vernunftlose Religion den Menschen gleichermaßen gefährden würden."

Besprochen von Andreas Malessa

Norbert Blüm, Peter Henkel: Streit über Gott, Ein Gespräch unter Gegnern
Herder Verlag Freiburg 2012
219 Seiten, 16,99 Euro

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