Atemluft im Kino

Wie riecht ein Krimi?

Langsam füllt sich der "Salle Debussy" im Festivalpalast in Cannes.
Forscher können anhand der Atemluft im Kino messen, ob Szenen spannend oder lustig sind. © deutschlandradio.de / Maja Ellmenreich
Von Jürgen Stratmann · 19.05.2016
Gute Filme kann man riechen. Forscher des Max-Planck-Instituts haben herausgefunden, dass jedes Filmgenre charakteristische Muster in der Atem- und in der Raumluft hinterlässt. Stellt sich die Frage: Findet eine Art chemische Kommunikation zwischen Zuschauern statt?
Bisher war wohl den wenigsten Kinogängern bewusst, dass gründlicher Staubsaugereinsatz möglicherweise unerlässlich ist zur Gewährleistung eines unverfälschten Film-Erlebnisses:
Denn dass ein Vorgänger-Kinopublikum eine komplette Kinosaal-Atmosphäre derart prägen kann, dass nachfolgende Zuschauer davon beeinträchtigt werden können, ist für erfahrene Kinobetreiber nichts Neues, erklärt Andrea Stosiek vom Berliner Sputnik Kino:
"Naja, wir veranstalten durchaus auch mal Horrorfilmabende oder auch ein Trashfilm-Festival - und diese Zielgruppe ist natürlich hauptsächlich männlich - und so ein Saal voller Männer riecht durchaus anders, als wenn man eine schöne Nachmittags-französische Liebeskomödie gehabt hat, wo Pärchen wohlduftend frisch geduscht hingehen."
Solche Vorgängerspuren in der Luft könnten – Stichwort "Pheromone" - sogar ohne, dass man es merkt, Verhalten steuern - das gehe schon bei der Platzwahl los, denn beispielsweise Platzwahl:
"Hat auch was mit Partnerwahl zu tun: Der Platz, auf den du dich setzt, hat ja durchaus nicht nur die Position des Platzes, sondern es geht darum, wer davor gesessen hat."

Normalerweise riechen Kinosäle nach Popcorn

Aber wir Kinobesucher bemerken davon – wie gesagt – normalerweise nichts, klar, vordergründig riechen Kinosäle ja auch:
"Na, idealerweise nach Popcorn und Bier ..."
Weiß auch Wulf Sörgel vom Kreuzberger "Moviemento", dem übrigens ältesten Kino Deutschlands - und von wegen: Popcorn und unterschwellige Einflüsse – dass Kinobetreiber immer wieder versuchen, Zuschauer über die Raumluft zu manipulieren, ist in Fachkreisen ebenfalls längst bekannt:
"Es wird ja immer wieder mit allen möglichen Sachen ´rumexperimentiert - es soll Kinos geben, die über die Lüftung Popcorn-Geruch einleiten - damit die Leute Appetit kriegen."

Chemische Raumluft-Muster

Aber die jüngsten Erkenntnisse des Mainzer Max-Planck-Instituts zeigen, dass sich die Zusammensetzung der Raumluft in Kinos mit wechselnden Film-Genres signifikant verändert, dass unsere Ausdünstungen beim Kinobesuch ganz klar verraten, nicht nur, ob wir uns gerade bei den "Angry Birds" beömmeln, oder uns etwa bei überdrehter "First-Avenger-Zivil-War"-Action der Puls durchgeht, sondern sogar, ob wir gerade eine spannende, traurige oder lustige Szene sehen. Diese chemischen Raumluft-Muster sollen so genau sein, dass sich danach sogar Filme rekonstruieren lassen. Kann man daraus schließen, dass wir Zuschauer während der Filmvorstellung permanent miteinander kommunizieren und zwar: über chemische Botenstoffe?
"Grundsätzlich glaube ich, gibt es auch zwischen Menschen chemische Kommunikation."
Sagt der Künstler und Geruchsexperte Wolfgang Georgsdorf. Das sei natürlich etwas,
"dass sich unter der Riechschwelle ereignet - und trotzdem funkioniert´s."
Wolfgang Georgsdorf hat eine elektronische "Geruchsorgel" entwickelt, den "Smeller", mit dem sich komplexe Kompositionen oder Geschichten allein über Gerüche erzählen lassen:
"Smellodies oder Synosmien, wie wir das nennen, wenn wir entsprechend den Symphonien mit Gerüchen so komponieren ..."

Botenstoffe für Spannung und Spaß

Den habe ich gefragt: wenn man die über die Atemluft emittierten Botenstoffe, mit denen wir Zustände wie "Spannung", "Spaß", "Horror", "Rührung" offenbar sehr genau kommunizieren – wenn man die identifizieren, herstellen und gezielt einsetzen könnte, könnte man dann nicht mit so etwas wie einer "Geruchsorgel" die Wirkung von Filmen massivst verstärken? Technisch? Machbar:
"Mit´m Smeller lassen sich auch unbewusste Botenstoffe emittieren - alle Stoffe, die sich mit Luft transportierenlassen."
Mehr noch: Wenn sich Filme über chemische Raumluftmuster rekonstruieren lassen, könnte man dann nicht – umgekehrt - reine, direkt auf unser Trieb- und Gefühlsleben zielende "Geruchsfilme" produzieren? Denn:
"Gerüche sind ja Moleküle, die zu Gefühlen werden."
Ich meine: 3-D war gestern, die Zeit ist reif für ein neues Geruchskino, ich stelle mir beispielsweise vor: Eine Neuauflage von Patrick Süskinds "Das Parfum" - Schluss-Szene: Parfum wird verschüttet, alle Leute reißen sich die Kleider vom Leib; fallen übereinander her – ganz großes Kino - sollte man es nicht mal ausprobieren?