Astrophysiker über 20 Jahre ISS

"Die größte Verschwendung der Menschheit"

Wolfgang Hillebrandt im Gespräch mit Dieter Kassel · 20.11.2018
Die ISS-Mission feiert 20-jähriges Jubiläum – und alle freuen sich über Tweets von "Astro-Alex". Für den Astrophysiker Wolfgang Hillebrandt dagegen sind die investierten Milliarden schlicht Geldverschwendung: Der Erkenntnisgewinn für die Forschung sei gering.
"Die komplexeste, wertvollste und unwahrscheinlichste Maschine, die die Menschheit jemals gebaut hat - zum Wohle Aller", twitterte der deutsche Astronaut Alexander Gerst gewohnt enthusiastisch aus Anlass des 20-jährigen Jubiläums der ISS-Mission.
Für den Astrophysiker und ehemaligen Direktor des Max Planck Instituts für Astrophysik in Garching Wolfgang Hillebrandt ist das Jubiläum dagegen kein Grund zum Feiern. Für ihn ist die ISS schlicht ein Geldschlucker beziehungsweise "die größte Verschwendung der Menschheit. Das Verhältnis von Kosten und Nutzen war, glaube ich, bei keiner Geschichte, die die Menschheit je gemacht hat, so gering."

Eine Top-Universität tut mehr für die Forschung als die ISS

Für die ISS-Mission hätten die beteiligten Raumfahrtorganisationen 150 Milliarden Dollar* ausgegeben, sagte Hillebrandt. Zum Vergleich: Eine große Top-Universität verursache Kosten von etwa einer Milliarde Dollar pro Jahr – sei aber ungleich produktiver in der Forschung.
Für Hillebrandt liefert die ISS der Astrophysik nicht nur äußerst wenige Erkenntnisse, sondern das, was Alexander Gerst dort durchführe – unter anderem Experimente dazu, welche Auswirkungen die Schwerelosigkeit auf den Mensch habe – sei schlicht keine Grundlagenforschung. Die Experimente dienten letztlich nur dem Zweck der bemannten Raumfahrt, würden aber der Öffentlichkeit als Grundlagenforschung verkauft und mit horrenden Summen gefördert.

"Menschen emotional befriedigen"

Dass man Menschen ins All schieße und sehr viel Geld ausgeben müsse, um auch ein lebenserhaltendes System mit nach oben zu schicken, geschehe vor allem, "um die Menschen emotional zu befriedigen, die unten auf der Erde sind, damit sie vielleicht eher dazu bereit sind, dass für solche Forschung Geld ausgegeben wird."
Eine Animation der Raumsonde Rosetta kurz vor der Landung auf dem Kometen Tschuri.
Unbemannte Raumsonden wie "Rosetta" liefern wichtige Erkenntnisse für Astrophysiker - besser als die Experimente auf der ISS es können.© ESA/ATG medialab/dpa
Für die Astrophysik von weit größerer Bedeutung sei die unbemannte Raumforschung mit Sonden. Doch dort werde gespart und das Geld lieber für die ISS ausgegeben. Dabei gebe es im All Forschungsarbeiten zu erledigen, "die man ohne Menschen vielleicht viel besser machen könnte", sagt Hillebrandt.
*In einer früheren Version der Interview-Auswertung haben wir den Zeitraum der Ausgaben falsch angegeben.
(mkn)
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