Astronomie

Schön dunkel

Von Gerhard Richter · 11.11.2013
In der Milchstraße leuchten geschätzte 100 bis 300 Milliarden Sterne, aber von Berlin, München oder Hamburg sieht man davon bisweilen keinen einzigen. Hobbyastronomen fliehen deshalb vor den irdischen Lichtern und suchen nach möglichst dunklen Flecken: zum Beispiel in Gülpe im Westhavelland.
Andreas Hähnel reckt den Arm nach oben in den Nachthimmel, der Wind zerrt an seinen weißen Haaren und zaust den Kinnbart. In der Hand hält der Astrologe eine schwarze Box, klein wie eine Zigarettenschachtel.
"So jetzt machen wir mal 'ne Messung der Himmelhelligkeit, und das zeigt mir jetzt einen Wert an, Größenklassen pro Quadratbogensekunde, das ist die astronomische Flächenhelligkeit des Himmels und das wird mit diesem Gerät gemessen."

Hänel ist Leiter des Osnabrücker Planetariums und er hat schon Hunderte Male die Helligkeit des Himmels gemessen. Auf dem Display der schwarzen Box leuchtet dieses Mal eine 15,8. Ein mieser Wert für einen Nachthimmel. Aber kein Wunder, Andreas Hänel steht auf dem Besucherparkplatz des Naturparkzentrums in Milow, direkt neben ihm leuchten Straßenlaternen und erhellen den Himmel. Aber schon ein paar Steinwürfe weiter, verschwindet die Havel im Dunkel und fließt durch ein 1300 Quadratkilometer großes Gebiet mit feuchten Wiesen, Wald, wenig Einwohnern.

"Wir haben hier einen dunklen Himmel im Naturpark und wir wollen eben sehen, dass wir eben nicht nur die Natur schützen, sondern dass wir auch die Dunkelheit und den Sternenhimmel schützen."

Andreas Hänel hat sich hier mit Kordula Isermann verabredet, sie ist die Leiterin des Naturparks und eine wichtige Verbündete auf dem Weg zum Sternenpark. Auch sie will störendes Licht reduzieren, schon aus ökologischen Gründen. Neugierig schaut sie auf eine der Leuchten an der Außenwand. Tote Mücken und Falter kleben am Glas, ein Gewirr aus Spinnweben zeigt, dass sich hier massenhaft Insekten sammeln.

Kordula Isermann: "Das hat ja 'ne richtige Staubsaugerwirkung und ich freu' mich über jedes Licht, das nicht erforderlich ist, und was ausgemacht wird. Aber man muss gucken, ob´s wirklich gebraucht wird. Wenn´s gebraucht wird, wollen wir natürlich uns auch nicht verletzen und stolpern und fallen. Dass wir vernünftig damit umgehen, ist wichtig."
Die beiden gehen hinein, ins Besucherzentrum. Aus dem Lautsprecher schnattern Gänse, zwischen einem ausgestopften Biber und einer Großtrappe brüten Dr. Andreas Hänel und Kordula Isermann über dem Antrag auf Anerkennung als Sternenpark. Dafür hat sie alle Leuchten in allen Orten im ganzen Naturpark kartieren lassen.

Kordula Isermann: "Ich kann Ihnen sagen, dass in der Stadt Premnitz 78 verschiedene Leuchten sind, das heißt also verschiedene Leuchttypen, die alle ne andere Qualität haben, was die Abschirmung betrifft."

50 Seiten lang ist dieses Leuchtenkataster für den ganzen Naturpark. Die Dark Sky Association, also die Vereinigung zum Schutz des dunklen Himmels, ist zuständig für die Anerkennung der Region Westhavelland als Sternenpark. Und die verlangt das so. Der Präsident der Vereinigung ist auf dem Weg in den Naturpark. Das macht die Sache besonders aufregend.

Ein Bus rollt auf den Parkplatz mit 30 Sternenfreunden, die gerade in Berlin einen Kongress über Lichtverschmutzung besuchen und hier - 100 Kilometer entfernt - den klaren Nachthimmel sehen wollen. Und zwar in Gülpe - ein kleines Dorf, der dunkelste Fleck mitten in der dunkelsten Gegend, der sogenannten Kernzone des künftigen Sternenparks.

Jens Aasmann, der Amtsdirektor von Rhinow begrüßt die Gäste, die der Astronom Andreas Hänel hierher gelotst hat. Dass es in seinem Verwaltungsbereich außergewöhnlich dunkel ist, weiß er erst, seit die Sternenforscher kommen.

"Herr Hänel hat uns auf einen Schatz aufmerksam gemacht und den wir jetzt - das haben wir uns fest vorgenommen und die Beschlüsse gefasst - zum einen schützen wollen aber zum anderen auch möglichst vielen Menschen zeigen wollen."

Jens Aasmann bittet alle in den Garten der "Kreativoase", die einzige Pension in Gülpe. Die Eigentümerin hat alle Lampen gelöscht und die internationale Delegation tappt wie blind durchs Dunkel. Von den wenigen Straßenlampen ringsum kommt auch nur trübes Licht, das entspricht der Leuchtenrichtlinie, die die Gemeindevertretung beschlossen hat.

Jens Aasmann: "Wenn wir Straßenlampen neu machen, dann achten wir auf die entsprechende Lumenzahl und die Ausrichtung, dass keine Abstrahlung nach oben erfolgt, und wir reden eh über Stromeinsparung, über Energieeinsparung und die neuen Lampen sind wunderbar zu ergänzen, mit dem was der Sternenpark möchte."
Die Milchstraße wölbt sich hell und klar am Firmament, im Gülper Garten ist es dagegen stockfinster. Der Präsident der Dark Sky Association, Bob Parks ist deshalb nur schemenhaft zu erkennen. Vermutlich graue Haare und Bart. Jetzt sitzt er an einem transportablen Teleskop und inspiziert den Himmel über Gülpe:

Bob Parks: "Very nice, beautiful"

Der Naturpark Westhavelland mit seinem Himmel könnte also bald der erste deutsche Sternenpark werden.

Bob Parks: "Wir zertifizieren nicht den dunklen Himmel sondern die Unterstützung der Leute hier, damit er dunkel bleibt. Und das ist das schwierige. Jeder kann einen dunklen Himmel haben aber nicht jeder will, dass er dunkel bleibt."

Die Chancen stehen gut. Andreas Hänel nimmt noch einmal sein schwarzes Kästchen und reckt es den Sternen entgegen, 21,3 Größenklassen pro Quadratbogensekunde, ein Spitzenwert für die Dunkelheit! Der Himmel über Gülpe zeigt der internationalen Delegation seine ganze mitternächtliche Pracht.

Andreas Hänel: "Und jetzt, wenn wir nach oben gucken, genau über uns kann man so einen diffusen Nebelfleck erkennen, das ist der Andromeda-Nebel, Und dieser Nebelfleck, das ist eigentlich das fernste Licht, was wir sehen können, das ist jetzt über zwei Millionen Jahre unterwegs gewesen … wow, lachen."