Astrazeneca

Entscheidung über die eigenen Risiken

09:45 Minuten
Anfang März meldeten mehrere europäische Länder, dass sie die Corona-Impfung mit AstraZeneca ausgesetzt haben. Bei mehreren Menschen gab es Fälle von Blutgerinnsel und niedrigen Thrombozytenwerten. Die European Medicines Agency (EMA) bestätigte hingegen die Sicherheit der Impfung.
Viele Menschen sind über die Risiken des AstraZeneca-Impfstoffs verunsichert © picture alliance / NurPhoto / Mauro Ujetto
Adriano Mannino im Gespräch mit Susanne Burkhardt · 31.03.2021
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Ist es den Bürgerinnen und Bürgern zumutbar, selbst zu entscheiden, ob sie sich mit AstraZeneca impfen lassen? Auch wenn das Risiko nicht abschließend geklärt ist? Ja, sagt der Philosoph Adriano Mannino. Wichtig sei jedoch: den Schaden abwägen.
Das Hin und Her über den Impfstoff Astrazeneca hat seine nächste Runde erreicht: Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern stoppten am Mittwoch die Impfung von unter 60-Jährigen. Erst am Dienstagabend hatte die Ständige Impfkommission ihre Empfehlung geändert, weil weitere Fälle seltener Hirnvenenthrombosen nach Impfungen mit Astrazeneca gemeldet worden sind. Jüngere Menschen können sich aber unter eigenem Risiko von Hausärztinnen und -ärzten weiter damit impfen lassen.

Entscheidungen mit gesellschaftlicher Dimension

Der Schweizer Risikoethiker Adriano Mannino beschäftigt sich mit den philosophischen Fragen rund um die Coronakrise seit deren Beginn. Er halte es für vernünftig, dass den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland die Wahl gelassen werde. In einem liberalen Rechtsstaat sei eine Bevormundung immer heikel. "Steht es mir zum Beispiel frei, Extremsportarten zu betreiben oder aus altruistischen Gründe eine Niere zu spenden, dann wäre es extrem schwer zu begründen, mir jetzt zu verbieten, diesen Impfstoff zu verwenden", sagt Mannino.
Zu dieser individuellen Entscheidung komme jedoch die "gesellschaftliche Dimension". Seiner Meinung nach sei der Einsatz von Astrazeneca ein Vorteil: "Und wenn schon mal gegeben ist, dass kein Schaden resultieren kann, dann scheint ein Verbot tatsächlich unbegründbar." Welche Entscheidung ein Staat hier treffe, sei jedoch "vertrackt", weil er nicht mehr nur rein ethisch oder rechtsphilosophisch argumentieren könne, sondern weil auch die epidemiologische Faktenlage relevant sei.

Schaden durch Unterlassen

In der Bewertung der Corona-Pandemie sieht Mannino international Unterschiede. In anderen Ländern seien Epidemiologinnen und Epidemiologen viel zurückhaltender, eine Warnung gegen Astrazeneca auszusprechen. "Ich glaube, wir haben hier manchmal auch eine Tendenz, uns übermäßig stark vor Risiken zu fürchten, die wir aktiv verursachen", sagt Mannino. "Wenn wir Dinge unterlassen, zum Beispiel eine Impfung, dann ist das auch mit Risiken verbunden."
Diese Risiken könnten schwerer wiegen. "Die Impfung ist ein Tun und die kann natürlich Schadensfolgen erzeugen. Das wird in Deutschland offenbar sehr hoch bewertet. Das Unterlassen kann aber auch Schaden erzeugen und das wird im Vergleich weniger stark bewertet." Das treffe im Fall von Astrazeneca zu. Mannino ist dafür, Astrazeneca weiter zu impfen und das Risiko zu tragen, bis bestätigt worden ist, dass der Impfstoff zu hohe Risiken hat.

Auch international fragen

Mannino betont, dass er kein Epidemiologe sei, plädiert aber dafür, auch die internationalen Pandemieexpertinnen und -experten zu fragen, nicht nur die deutschen. Hätte man zum Beispiel in Ostasien gefragt, hätte man andere Urteile erhalten, "oft eben bessere". International sieht Mannino "ein gewisses Übergewicht an Meinungen, die den Astrazeneca-Impfstoff nicht gestoppt hätten".
Die Entscheidung, ob sich jemand mit Astrazeneca impfen lässt oder nicht, könne jedoch der Staat seinen Bürgerinnen und Bürgern nicht abnehmen. "Die gesellschaftliche Abwägung von Risiken ist schwer zu treffen", sagt Mannino.
(sbd)
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