"Assistierte Migration" von Bäumen

Wie Eichen aus dem Süden unsere Wälder retten sollen

08:39 Minuten
Eine Flaumeiche steht als Einzelbaum an einem Abhang
Mediterrane Flaumeichen kommen besser mit Hitze und Trockenheit zurecht als einheimische Arten. © imago / blickwinkel
Von Anke Petermann · 23.04.2021
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Der Klimawandel bedroht inzwischen auch Bäume wie Buchen und Eichen, die nicht in Monokulturen wachsen. Deshalb wird in Rheinland-Pfalz und Hessen an der assistierten Einwanderung mediterraner Bäume geforscht. Viele sind schon bestens integriert.
In Wäldern in Rheinland-Pfalz und Hessen sterben nicht mehr nur die Fichten in Monokulturen, sondern zunehmend auch Buchen, die in Mischwäldern wachsen. "Wir haben es letztes Jahr ganz massiv gehabt, dass großflächig alte Buchen zwischen 80 und 100 und auch noch älter abgestorben sind, weil die einfach mit der Trockenheit und Wärme nicht mehr klarkamen", sagt Revierleiter Steffen Fromm in einem Wald bei Boppard am Rhein.
Seit zwei, drei Jahren versagt damit die Hauptbaumart: Der Klimawandel geht schneller vonstatten, als sie sich genetisch an die Erwärmung anpassen kann. Selbst die Eiche, am Mittelrhein die zweithäufigste Art und äußerst genügsam, wirft in ultra-trockenen Sommern zunehmend Laub ab. Das ist keine Seltenheit mehr am Mittelrhein. Deshalb wagt das Forstamt Boppard ein Experiment.
Gepflanzt werden statt der häufig vorkommenden Stiel- oder Traubeneichen nun Zerr- und Flaumeichen aus dem mediterranen Raum. Auch zuvor waren diese Bäume bereits in den Wäldern am Mittelrhein anzutreffen.

Beim Waldumbau auf verwandte Arten setzen

Dass sich Zerr- und Flaumeiche eignen, zeigt der Blick nach Hessen. Dort experimentieren Biologen der Frankfurter Goethe-Universität seit 15 Jahren mit diesen mediterranen Baumarten. Die promovierte Öko-Physiologin Vera Holland weiß: Mit Frost ist winters zwischen Nordhessen und Südpfalz weiterhin zu rechnen – trotz Klimawandels. Für den Waldumbau taugen daher nur Bäume, die Minusgrade vertragen. "Und das ist das, was wir in den letzten 10 bis 15 Jahren in Frankfurt untersucht haben. Da hatten wir starke Frostereignisse. Und wir sehen, dass gerade diese mediterranen Eichenarten gut damit klarkommen. Wir hatten frostbedingt keine Ausfälle."
Die Frankfurter Biologin und Öko-Physiologin Vera Holland steht am Mittelrhein vor einer alten Zerreiche mit markanten braunen Rillen in der Borke.
Die Frankfurter Biologin und Öko-Physiologin Vera Holland kann untersuchen, wie sich alte Zerreichen wie diese ins mittelrheinische Ökosystem einfügt.© Deutschlandradio / Anke Petermann
Aus den Ursprungsregionen der Bäume in Italien und Griechenland weiß Holland: Die zunehmende Sommerhitze kann ihnen nichts anhaben. Anders als die heimischen Eichen werfen die Mittelmeerbäume ihr Laub bei Hitze- und Trockenstress nicht vorzeitig ab. Sie machten im Sommer keine Fotosynthese und nutzten das restliche Jahr, um ihre Biomasse aufzubauen.
Eine Strategie, die der Klimawandel auch hierzulande überlebenswichtig werden lässt. Denn je nach Szenario könnte die Durchschnittstemperatur bis zum Jahr 2100 um bis zu sechs Grad ansteigen. Ob die heimischen Eichen das überleben, ist offen. Vielversprechend scheint der Forscherin, beim Waldumbau auf die Verwandten von Stiel- und Traubeneiche zu setzen, denn "je näher verwandt die Arten sind, desto wahrscheinlicher ist, dass auch die begleitenden Insekten auf diesen neuen Arten leben können".

Hilfe für die Bäume beim Wandern in den Norden

Mit dem Klimawandel verlegten die mediterranen Eichen ihr Verbreitungsgebiet ohnehin nach Norden, prognostiziert Vera Holland. Das Frankfurter Forschungsteam beschleunigt den Wanderungsprozess. "Assistierte Migration" heißt diese Methode.
Forstwirt Sebastian Flaig pflanzt Zerr- und Flaumeichen-Setzlinge auf einer Fichten-Kahlschlagfläche bei Boppard am Rhein. Die zweijährigen Jungpflanzen hat er hinter sich auf einem Baumstumpf abgestellt.
"Assistierte Migration": Zerr- und Flaumeichensetzlinge kommen auf einer Fichten-Kahlschlagfläche bei Boppard am Rhein in den Boden.© Deutschlandradio / Anke Petermann
"Wir verstehen unter der assistierten Einwanderung die menschliche Hilfe für die Arten, das Gebiet zu besiedeln. Also, wir wissen, die Migration würde sowieso stattfinden", so Holland.
Je länger sie forscht, desto sicherer ist sich Vera Holland, dass die mediterranen Eichenarten in hiesigen Ökosystemen funktionieren. Ein Forschungsprojekt vor fast 15 Jahren zeigte, dass die Insekten und Bodenorganismen das Laub der mediterranen Baumarten vertragen.

Bestens integrierte Bäume

Nun steigt auch das rheinland-pfälzische Forstamt Boppard in ein wissenschaftliches Projekt ein. Der Leiter des Forstamts hat bis zu 120 Jahre alte Zerreichen in seinem Gebiet. Anhand des Humus unter einem Baum zeigt er: "Das funktioniert."
Der Einwanderer aus dem Süden – bestens integriert. Und damit einer der Hoffnungsträger für den Umbau hin zum klimastabilen Mischwald.
(abr)
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