"Assad muss als Ordnungsmacht im Land bleiben"

Günter Meyer im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 05.06.2013
Welche Folgen hätte ein Sturz von Machthaber Assad für die Menschen in Syrien? Die Alternative zu seinem autoritären, säkularen Regime wäre ein islamistischer Gottesstaat, warnt der Mainzer Nahost-Experte Günter Meyer.
Korbinian Frenzel: Sind sie jetzt doch im Einsatz, die Chemiewaffen in Syrien? Es verdichten sich die Hinweise. Ermittler der UNO gehen davon aus, dass es vor allem Regierungstruppen waren - Assads Leute also - die bei Angriffen in den Provinzen Aleppo, Idlib und Damaskus giftige Chemikalien eingesetzt haben. Noch sicherer als die UNO ist sich die französische Regierung. Wenn es so wäre, wäre es ein Kriegsverbrechen, und es wäre einmal mehr Grund für die Weltgemeinschaft, nicht länger tatenlos zuzusehen. Eine Syrienkonferenz ist ja schon länger auf der Tagesordnung als Plan – ob der nun Wirklichkeit wird, soll ein Treffen zwischen der UNO, den USA und Russland in Genf heute klären. Es ist ein diplomatisches Fingerhakeln, und das in einer Situation, die für die Menschen in Syrien immer schlimmer wird. 80.000 sind bereits gestorben in den letzten drei Jahren. Ich spreche jetzt mit Günter Meyer, er ist Professor an der Uni Mainz und leitet dort das Forschungszentrum zur arabischen Welt. Guten Morgen, Herr Meyer!

Günter Meyer: Einen wunderschönen guten Morgen, Herr Frenzel!

Frenzel: Chemiewaffen - es war die rote Linie, die Präsident Obama gezogen hat. Jetzt verdichten sich die Hinweise, dass sie wirklich eingesetzt werden vom Assad-Regime. Für wie glaubwürdig halten Sie diese Berichte?

Meyer: Sie sind zumindest mit einem sehr große Fragezeichen zu versehen. Was wir mit Sicherheit wissen, ist, dass Sarin-Gas eingesetzt worden ist. Ob es tatsächlich das Regime gewesen ist, das ist noch die Frage. Das war bisher der schwerste Einsatz von chemischen Kampfstoffen am 19. März in einem Dorf Chan al-Assal nördlich von Aleppo. Es ist ein Dorf, das von der Regierung kontrolliert worden ist, in dem eine schiitische Bevölkerung lebt, die auf der Seite des Regimes steht und gegen die sunnitischen Rebellen kämpft. In einer solchen Siedlung - auf Seiten des Regimes - chemische Kampfstoffe einzusetzen, macht überhaupt keinen Sinn. Es hat 26 Tote gegeben, davon drei getötete Soldaten. Davon profitieren die Oppositionellen. Der "Guardian" hat klar gezeigt, dass offensichtlich hier eine Giftgasgranate aus einem Ort in der Nähe der türkischen Grenze von Mitgliedern der dschihadistischen Nusrah-Front abgefeuert worden ist, die Al-Kaida nahe stehen - bezeichnenderweise. In der letzten Woche ist es den türkischen Sicherheitskräften gelungen, Anhänger der Nusrah-Front zu fassen, die eine Bombe mit Sarin bei sich hatten. Das heißt also, die Aufständischen verfügen über solche Waffen.

Frenzel: Herr Meyer, warum sollte sich die UNO darauf einlassen, dann ein Desinformationsspiel mit zu betreiben? Ist das Politik?

Meyer: Die UNO sagt auch: Letzten Endes haben wir keine Beweise, von wem es definitiv eingesetzt worden ist. Der französische Außenminister behauptet zwar, die Waffen seien vom Regime eingesetzt worden, aber die Grundposition ist nach wie vor: Es ist nicht auszuschließen, dass es die Aufständischen gewesen sind.

Frenzel: So oder so, wenn es nun die Aufständischen sind oder auch Assad, ist es nicht der Zeitpunkt, wo die Weltgemeinschaft eingreifen muss, wenn Chemiewaffen eingesetzt werden?

Meyer: Was bedeutet es, wenn die Weltgemeinschaft eingreift? Obama hat es strikt abgelehnt, die Forderungen der Opposition auszuführen, dass nämlich eine Flugverbotszone eingerichtet wird, und dass Waffen, auch moderne Waffen, an die Aufständischen geliefert werden. Warum ist das so? Es würde dazu führen, und das ist die Zielsetzung, die ja hinter dieser Aufforderung steht, das Regime Baschar al-Assad zu stürzen. Nur, was passiert dann? Diejenigen, die gegenwärtig die stärksten Kräfte der Opposition repräsentieren, das sind Dschihadisten, das sind Islamisten, Anhänger von Al-Kaida. Wir haben gegenwärtig in Syrien die größte Konzentration von Al-Kaida-Kämpfern weltweit, von hier geht eine Bedrohung aus! Machtvakuum nach Sturz des Regimes bedeutet: Es werden diese radikalen Islamisten die Macht dort übernehmen - das kann nicht im Interesse der USA sein, das kann nicht im Interesse des Westens sein.

Frenzel: Wenn ich Sie richtig verstehe, heißt das, wir sollten jetzt besser wieder Freund mit Assad werden?

Meyer: Die Grundforderung, die bisher gestellt worden ist, um zu einer Lösung zu kommen: Baschar al-Assad muss zunächst weg. Diese Grundforderung ist nicht haltbar. Baschar al-Assad, und die Truppen, die immerhin noch mindestens ein Drittel der syrischen Bevölkerung hinter sich haben, müssen weiter als Ordnungsmacht im Lande bleiben. Es ist ganz wichtig bei den anstehenden Verhandlungen, dass alle beteiligten Gruppen mit an einem Tisch sitzen. Nur so ist die Hauptzielsetzung von Genf II zu erreichen, dass es nämlich zu einem Waffenstillstand im Lande kommen kann.

Frenzel: Aber das heißt, wir lassen uns dann wieder auf das Spiel ein, das wir eigentlich hinter uns lassen wollten in der arabischen Welt. Genau mit denselben Gründen haben wir ja Mubarak unterstützt, haben letztendlich mit Gaddafi versucht, ein Auskommen zu finden. Müssen wir im Fall Syrien die hehren Ziele einer guten Außenpolitik aufgeben?

Meyer: Die Alternative zu einem autoritären, säkularen Regime in Syrien ist nicht etwa Demokratie, sondern die Alternative ist das, was von den Islamisten gefordert wird: ein islamistischer Gottesstaat, ein Kalifatsstaat, wo Menschenrechte, wo Demokratie keine Rolle mehr spielen. Angesichts dieser Alternative hat sich auch von Seiten der USA die Perspektive verdichtet. Es geht nicht mehr in erster Linie um den Sturz von Baschar al-Assad, es geht vor allem darum, die Islamisten, die Al-Kaida-Kämpfer in die Schranken zu weisen und zu verhindern, dass sie die Macht in Syrien übernehmen.

Frenzel: Sprich, wir haben eigentlich nur noch lausige Optionen.

Meyer: So ist es.

Frenzel: Was glauben Sie, wie es in Syrien weitergeht? Werden wir einen jahrelangen Bürgerkrieg erleben?

Meyer: Es gibt zwei Szenarien: Wenn das, was an Waffenlieferungen bisher von den Kriegstreibern von beiden Seiten aus angekündigt worden ist, wenn das durchgesetzt wird, dann können wir uns mit einem sehr langen und auch ungleich blutigeren Bürgerkrieg in Zukunft auseinandersetzen. Die Alternative ist jetzt die ganz große Hoffnung: Dass es tatsächlich gelingt, durch die gemeinsamen Interessen von Russland und der USA tatsächlich die Konfliktparteien an einen Verhandlungstisch zu bringen. Und als erste Zielsetzung einfach zu erreichen, dass einen Waffenstillstand gibt - einen verbindlichen Waffenstillstand. Wie man sich dann im Einzelnen einigt, zu welchen Lösungen man kommt, das ist sekundär, aber das Entscheidende ist, einen verbindlichen Waffenstillstand zu erreichen.

Frenzel: Einschätzungen und Positionen von Professor Günter Meyer von der Uni in Mainz. Er leitet dort das Zentrum für die Forschung zur arabischen Welt. Herr Meyer, ich danke Ihnen!

Meyer: Vielen Dank auch!
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