Aschenputtel in Teheran

Wie das Aschenputtel den Königssohn, so trifft die arme, lebenslustige, mit unbändigem Selbstvertrauen gesegnete Bahar eines Tages auf einen gutaussehenden, jungen Mann aus der jüdischen Oberschicht. Gegen alle Widerstände heiratet der das Mädchen aus dem Teheraner Elendsviertel. Doch den beiden ist kein Glück beschieden. Schon bald nach der Heirat verwandelt sich der Stoff, aus dem romantische Liebesgeschichten gebastelt werden, zu einem fortgesetzten Drama aus Enttäuschungen, Betrug und Verrat.
Der Mann geht eigene Wege und nimmt sich eine schöne islamische Geliebte. Bahar sieht ihren Traum von einem selbstbestimmten Leben als Lehrerin an der Seite eines hoffnungslos geliebten Mannes zunichte gemacht - in einer verordneten Existenz zwischen Küche und Partys. Besonders deren Tochter, die es beiden recht machen will und dabei nahezu ihr Gehör verliert, hat darunter zu leiden.

Dabei entwirft Gina Nahai ein schillerndes Tableau über eine Epoche, in der Juden im Iran noch einen prägenden Einfluss auf die gesellschaftlichen Zustände nahmen. Der Roman setzt ein in den 50er Jahren und beschreibt in filmischen Szenen, immer wieder durch Rückblenden angereichert, den Alltag unter dem Schah-Regime zwischen einer unendlich reichen Elite, die unter dem Diktat des Paternalismus Frauen in höchst komfortablen Käfigen hielt, und dem jüdischen Armenviertel, aus dem kaum einer den Aufstieg schaffte.

Gina Nahai, die im Alter von 16 Jahren, eineinhalb Jahre vor der islamischen Revolution, den Iran verließ, um nach Kalifornien zu fliehen, gelingt es, höchst poetisch, mit leiser Melancholie ein ganzes Pandämonium menschlicher Abgründe zu entfalten. Sie zeichnet ihr Personal, nicht nur die "Opfer", mit kühler Einfühlungsgabe.

Selbst die Randfiguren, präzise skizziert, gewinnen ein Eigenleben, wie ein Soziologie-Student, der in die Fänge der Geheimpolizei gerät, ein Schlagzeuger, der vom großen Aufstieg als zweiter Ringo Starr träumt oder eine Tangotänzerin, die nicht darüber hinwegkommt, dass sie das reiche Erbe ihrer Nazi-Eltern konsumiert. Mit diesem Repertoire menschlicher Affekte enthüllt die Autorin so unter der Hand auch, wie und warum es zum Zusammenbruch des Schah-Regimes kommen konnte.

Gina Nahai hat bisher vier Romane veröffentlicht. Während sie in "Die Braut, die im Mondlicht davonflog" ihr Heimatland noch als orientalische Kulisse für eine Liebesgeschichte einsetzte, in der Scheherazade und die bewährten Erzählmuster von Tausendundeiner Nacht eine Rolle spielten, gelingt ihr mit dem neuen Roman eine berückend schöne, formal sehr moderne Erzählung über eine fremde Kultur.

Wie auch in dem erfolgreichen Trickfilm "Persepolis", der liebenswürdig-ironisch den Werdegang eines jungen, aufmüpfigen Mädchens unter dem Mullah-Regime nachzeichnet, zeigt "Regen am Kaspischen Meer" einen eigenwilligen Blick auf das Leben in einem verschlossenen Land und wie man dort, trotz strengen Reglements, dem ehernen Gesetz der Selbstbeschneidung entkommen kann.

Rezensiert von Edelgard Abenstein

Gina Nahai: Regen am Kaspischen Meer
Aus dem Amerikanischen von Brigitte Jakobeit.
Mare Buchverlag, Hamburg 2008
320 Seiten. 19,90 Euro.