Artenvielfalt

Wie Natur uns glücklich macht

04:11 Minuten
Ein Bergfink (Fringilla montifringilla) sitzt auf einem Ast.
Ein Bergfink auf einem Ast: Die Vielfalt von Vogelarten im persönlichen Umfeld macht Menschen glücklich, weiß Stephan Börnecke. © picture alliance / blickwinkel / AGAMI / R. Armada
Ein Einwurf von Stephan Börnecke · 07.01.2021
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Die Naturschutzorganisation WWF warnt: Weltweit sind Tierbestände dramatisch geschrumpft. Eine schlechte Nachricht auch für die Menschen, meint der Publizist Stephan Börnecke, denn die Artenvielfalt steigere auch unsere Zufriedenheit.
Der Pilot lag unter einer Akazie und sinnierte: Wie simpel sei doch die Konstruktion eines Flugzeugs im Vergleich zu einem Vogel. Die Herstellung eines Flugzeugs sei ein Produkt einer technisch hochentwickelten Zivilisation. Die funktioniere aber um den Preis, dass es nur noch wenig Vögel gebe. "Da realisierte ich, dass, wenn ich wählen könnte, ich lieber Vögel als Flugzeuge hätte."
Dieses Zitat von Charles Lindbergh führt uns vor Augen, wie eng verwoben mit der Natur uns ein Flugpionier sah, der seinen Ruhm technischen Errungenschaften verdankte. Ihm waren am Ende Vögel wichtiger als die fliegenden Kisten.

Studie: Individuelle Zufriedenheit korreliert mit Artenreichtum

Ein halbes Jahrhundert später erfährt Lindberghs Erkenntnis über die Bedeutung von Vögeln für das Wohlbefinden auch eine wissenschaftliche Würdigung: Die individuelle Lebenszufriedenheit korreliert mit der Vielfalt der Vogelarten im persönlichen Umfeld. Das haben jetzt Forscher des Senckenberg-Instituts, der Uni Kiel und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung herausgefunden.
Eine artenreiche Natur ist der Studie zufolge sogar genauso bedeutsam für das Glücksempfinden wie das Einkommen. Zehn Prozent mehr Vogelarten im Umfeld machen demnach ähnlich froh wie entsprechend mehr Geld auf dem Gehaltskonto.
Naturschutz sei von daher eine Investition in menschliches Wohlbefinden, meinen die Forscher, und die glücklichsten Europäer seien jene, die in ihrem tagtäglichen Leben viele verschiedene Vogelarten erleben können. Vielleicht erklärt dieses Ergebnis einer aktuellen Umfrage unter 26.000 Europäern einen seit Jahren anhaltenden Zulauf, den Naturschutzorganisationen erfahren.

Regelrechter Boom bei der Vogelbeobachtung

Viele Menschen nehmen den Artenschwund nicht mehr hin. Sie wollen mehr Vögel, also wollen sie auch mehr Insekten, denn von denen leben Vögel. Plötzlich gelten sie nicht mehr als lästige, stechende, beißende oder nervig sirrende Viecher, sondern die Menschen begreifen, dass ohne die Vielfalt der Natur der Mensch bedroht ist, wir also Teil eines Kreislaufs sind. Also tun sie etwas dagegen und gehen zugleich auf Entdeckungstour.
Menschen bewundern Nachtigallen in Berlin, freuen sich über Spatzen in Hamburg und lauschen Amseln in München. Sie blicken den Kranichen und Gänsen nach, sie betrachten wilde Pflanzen, deren Namen sie über ein Erkennungsprogramm ihres Smartphones erfahren. Menschen besuchen die Erlebnistouren und Kurse der Naturschutzverbände und werden am Ende selbst aktiv.
Gerade bei der Vogelbeobachtung gibt es einen ungeahnten Zuwachs interessierter Menschen. Sie wollen wissen, was da fliegt, und sie spüren dem Glück nach, das Vögel auf Balkon und Straßenbäumen, in Parks, am Feldrand oder im Wald verbreiten.

Bund Naturschutz in Bayern hat mehr Mitglieder als die CSU

30 Millionen Deutsche sind ehrenamtlich aktiv, ob in Feuerwehr, Pflege, Schule oder Tafeln. Zig Hunderttausende davon wirken auch im Naturschutz. Allein über die Dachorganisation Naturschutzring werden elf Millionen Menschen erreicht. Am Volksbegehren "Artenvielfalt und Naturschönheit in Bayern – Rettet die Bienen" nahmen 1,7 Millionen Wahlberechtigte teil – nie waren es mehr.
Der Bund Naturschutz in Bayern hat mehr Mitglieder als die CSU und der Naturschutzbund Nabu deutschlandweit mehr Unterstützer als die mitgliederstärkste Partei, die SPD.
In meinem persönlichen Umfeld leben viele Menschen, denen der Schutz der Natur und die Beobachtung von Vögeln, Fledermäusen, Faltern, Libellen und wilden Pflanzen so wichtig ist, dass sie sich dem voll verschrieben haben und ihm alle Zeit widmen. Die wilde Natur ist Lebenselixier für sie, und das gilt letztlich für uns alle.

Stephan Börnecke arbeitet seit 45 Jahren als Journalist und Autor, und zwar mit den Schwerpunkten Agrarpolitik, Ökolandbau und Naturschutz. Er war mehr als 30 Jahre Redakteur und Reporter bei der Frankfurter Rundschau, zuletzt im Ressort Wirtschaft. In mehreren Buchveröffentlichungen widmete der Autor sich Themen aus diesen Bereichen Landwirtschaft und Natur, etwa in verschiedenen Jahrbüchern Ökologie oder dem Kritischen Agrarbericht. Er konzipierte zudem das Buch Kurswechsel an der Kasse und errang zehn Journalistenpreise, darunter den Journalistenpreis der Deutschen Umwelthilfe für sein Lebenswerk und den Salus-Journalistenpreis für Beiträge aus dem Bereich Gentechnik.

Porträtfoto von Stephan Börnecke
© privat
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