Artenvielfalt

Ein Leben für die Bohne

07:29 Minuten
Cordula Metzger steht vor einem Regal mit verschiedenen Bohnensorten.
Blick in die "Schatzkammer": Cordula Metzger im Vorratsraum mit unzähligen Bohnensorten. © Andreas Bell
Von Andreas Bell · 08.11.2021
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Seit vielen Jahren sammelt Cordula Metzger Bohnen und sorgt dafür, dass auch seltene Sorten nicht verschwinden. Die Bohnenspezialistin kam durch Zufall zu ihrer Leidenschaft. Mittlerweile hat sie über 3500 Sorten dokumentiert.
"Das ist immer wie Weihnachten, wenn man die Bohnen auspackt – aber man kennt die Geschenke immer schon. Die Frage ist nur, wie viele drin sind. Und hier, in dieser Hülle sind fünf Stück. Das ist Standard, für diese Bohne ist das normal."
"Mrs. Fortunes" heißen die Bohnen, die aus den trockenen Hülsen geschält werden müssen. Weiß mit rotvioletten Flecken. Cordula Metzger und Karen Engelke sind beim Sichten der Ernte.
Ein Wäschekorb voller Bohnen – das ist in etwa die Menge, die jede Woche hier bei Cordula Metzger ankommt und sortiert werden muss. Geschickt per Post. Oder persönlich vorbeigebracht von den sogenannten Vermehrern. Das sind Helferinnen wie Karen Engelke, die gezielt seltene Bohnen anbauen und ernten.

Cordula Metzger und Karen Engelke sind Mitglieder im Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt. Metzger lebt in einem alten Bauernhaus in Labenz, etwa 20 Kilometer von Ratzeburg entfernt. Sie sammelt reife Bohnensamen von Vermehrern. Die Bohnensamen werden getrocknet, gegen mögliche Schädlinge zwei Wochen tiefgefroren, um danach wieder an Hobbygärtner verteilt zu werden. Die Hoffnung: Durch gute Ernten möglichst viele Sorten zu erhalten.
"Ich hatte größere Bedenken. Weil ich gedacht habe, es ist lange kalt, es ist so nass gewesen. Aber trotz alledem habe ich eine ganz tolle, großartige Ernte zurückbekommen."

Wie die Ernte ausfällt, ist auch von anderen Faktoren abhängig. Nicht immer klappt es mit der Vermehrung von Bohnensaatgut. So wie bei Marlies Hoppe, die in einem Nachbarort in ihrem Garten Verluste hinnehmen musste.
"Ich habe dieses Jahr vier Bohnen vermehrt, mit unterschiedlichem Ergebnis. Die Schnecken haben der einen Bohne ziemlich den Garaus gemacht. Da ist nichts bei rausgekommen."
Eine Schublade mit Bohnen
Mehr als 3500 Bohnen aus aller Welt hat Cordula Metzger dokumentiert.© Andreas Bell

Erfolg nach der Flutkatastrophe

Anderseits erleben die Bohnenretter auch Erfolgsgeschichten. Bei der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal ist die lokale Bohnensorte "Ahrtaler Köksje" durch die Flut aus der Region verschwunden.
"Die wird auch nächstes Jahr nicht angebaut werden können, weil der Boden total belastet ist. Das heißt, alles, was wir jetzt kriegen können, sammle ich ein. Und dann verteile ich das auf viele Schultern. Und die folgende Saison, 2023, können wir dann hoffentlich die Ahrtaler Bohne wieder zurückgeben in die Region. Und die können diese Sorte wieder in ihrer Region kultivieren."

Unermüdliche Suche

Und das ist möglich, weil Cordula Metzger unermüdlich auf der Suche ist nach alten und neuen Sorten. Auf einem etwa zwei Meter langen Holztisch stapeln sich gepolsterte Briefumschläge und Pakete in unterschiedlichen Größen. Ganz oben auf dem Stapel: ein Päckchen aus einem europäischen Nachbarland.
"Ein Vermehrer, den ich schon viele Jahre lang kenne. Das ist der Marco aus Belgien. Und der schickt mir das hier zum Beispiel. Ich habe noch vier Korn in der Schatzkiste von dieser Sorte. Davon habe ich jetzt eine Tüte."

Archiv mit 1000 Sorten

Vor der nächsten Aussaat werden die Bohnen zwischengelagert. Im Bohnenarchiv mit rund 1000 Bohnensorten. "Das ist die Schatzkammer, eine alte Vorratskammer mit einem umgebauten Regal."
42 Fächer in Schuhkartongröße. Der Raum ist kühl und dunkel. In den Fächern: Bohnen in unterschiedlichsten Farben und Größen. Weiß, braun, rotweiß gefleckt, gelb, grün und alle Schattierungen dazwischen. Beruflich ist Cordula Metzger IT-Fachfrau bei einer Krankenkasse. Privat ist sie immer der nächsten Bohne auf der Spur.
"Letztes Jahr kam eine Kollegin auf mich zu und sagte: 'Ich habe von meiner Oma Bohnen geschenkt bekommen.' Und ich: Wo kommen die her? Ja, sagt sie, die wohnt noch in Polen und macht immer noch alles selber. Was wir rausgekriegt haben: Die hat zwei Buschbohnen, eine Wachsbohne, eine grüne Bohne. Die wird seit den 50ern dort kultiviert – das sind wirklich richtige Bohnenschätze."

Bohnen als Schmuck

Die Bohne ist im 16. Jahrhundert mit der Entdeckung Amerikas nach Europa gekommen. Seitdem wird sie als Lebensmittel geschätzt. Sie ist – richtig gelagert – gut haltbar, reich an Vitaminen und Mineralstoffen.
Mittlerweile wird aus den getrockneten bunten Samen sogar Schmuck gefertigt. Und natürlich trägt auch Cordula Metzger ein Bohnenarmband. Ihre Leidenschaft für die Hülsenfrucht ist aber eher einem Zufall zu verdanken.
"Angefangen hat es tatsächlich, als ich selber mal Bohnen bekommen habe. Und das war halt eine bosnische Schwarzweiße. Und eine gelbe aus den Anden. Ich habe versucht zu recherchieren. Und ich habe keine Informationen gefunden. Es gibt nichts, man findet nichts. Das hat mich geärgert und dann habe ich 2012 angefangen, den Bohnenatlas fertig zu machen. Eine Datenbank zum Nachschlagen von Bohnen."

Sorten dokumentiert

3500 unterschiedliche Sorten finden sich mittlerweile im Online-Bohnenatlas. Das Hobby der 49-Jährigen mit den kurzen blonden Haaren ist längst zum Nebenjob geworden. Ehrenamtlich, versteht sich.
"Ich finde es wirklich wichtig, die Vielfalt zu erhalten. Jeden Tag sterben alle möglichen Arten aus. Warum? Mit welchem Recht? Und das ist einfach nicht richtig. Ich muss die Artenvielfalt erhöhen und nicht verringern. Wenn ich Vielfalt habe, dann bin ich gesund. Die Welt ist gesund mit Vielfalt, und das ist bei den Bohnen nicht anders."
Letztes Jahr hätte sie beinahe aufgegeben, weil der Bohnenjob unglaublich aufwendig ist. Aber am Ende war die Faszination für die Bohne doch stärker.

Adrenalinschub beim Auspacken

"Mein Mann hat mal zu mir gesagt: 'Du hast ja gar keine Hobbys, wo du mit Adrenalin zu tun hast.' Und ich: 'Was? So ein Blödsinn, weißt du wie das ist, wenn ich ein Bohnenpaket auspacke? Weißt du, wie viel Adrenalin da fließt?' Das ist schon schön. Das ist wie Weihnachten. Bohnen aus Hülsen packen oder Bohnenpakete auspacken. Ich habe dann im Herbst eigentlich jeden Tag Weihnachten. Ich habe voll das Luxusleben."
Für Vermehrerin Karen Engelke heißt das Luxusleben heute: Bohnensaatgut fürs nächste Jahr mitnehmen. "Wenn du da von ein paar übrig hast, würde ich gerne ein paar nehmen von diesen kleinen roten. Das wäre klasse, wenn du die anbaust, das ist eine ganz alte, historische Sorte, die Oeil de Petrex."
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