Artenvielfalt

Der mächtigste Samenbunker

So sieht er von außen aus: der Samenbunker in Spitzbergen.
So sieht er von außen aus: der Samenbunker in Spitzbergen. © Deutschlandradio Kultur / Kerstin Hildebrandt
Von Kerstin Hildebrandt · 04.10.2014
In einem unterirdischen Bau im norwegischen Spitzbergen lagern rund 850.000 Samenproben von Nutzpflanzen: Der geheimnisvolle Bunker dient als Back-Up-System für die vielen nationalen und regionalen Genbanken weltweit.
Die meiste Zeit des Jahres liegt der Samenbunker im Dornröschenschlaf - heute aber sieht Roland von Bothmer, Professor für Pflanzengenetik, nach dem rechten.
Von Bothmer öffnet die massive Stahltür - gleich dahinter führt eine Tunnelröhre in den Berg hinunter.
"Das ist ein geologisch stabiles Gebiet, Hier gibt es keine Erdbeben, kein Vulkanismus oder dergleichen. Alles massive Felsen."
Spitzbergen gilt als idealer Standort, um abertausende Samenproben von Bohnen, Kichererbsen, Weizen, Gerste oder anderen Nutzpflanzen dieser Erde sicher zu bewahren.
"Nirgendwo auf der Welt ist man so weit weg und trotzdem nah dran. Vergleichbare Gebiete zum Beispiel auf Grönland wären völlig unzugänglich gewesen."
Spitzbergen dagegen ist zwar abgelegen, hat aber sogar einen Flughafen.Und die politischen Verhältnisse sind durch die norwegische Verwaltung der Insel stabil. Vor allem aber ist es kalt hier unten, konstant um die minus vier Grad.
"Hier bekomme ich fast religiöse Gefühle"
Nach gut 100 Metern endet der Tunnel, durch eine Sicherheitstür geht es in eine schmale, quer liegende Halle.
"Das hier nennen wir die Kathedrale... das ist der Raum vor den eigentlichen Kammern. Es ist ziemlich gut gelungen, den Eindruck einer Eishöhle zu erzeugen. Wenn ich hier unten allein bin, bekomme ich fast religiöse Gefühle .... der Raum,... weil ich weiß, was für ein Material da drin ist."
Professor von Bothmer zeigt auf die mittlere von drei Stahltüren an der Längsseite der Halle. Sie ist dick mit Eiskristallen bedeckt. Dahinter liegt einer der drei Tresorräume - der einzige der bislang in Betrieb ist.
Ein kleiner Vorraum als Luftschleuse, eine weitere Tür wird geöffnet und schnell wieder geschlossen.
Durch die kleine Halle zieht eiskalter Luftzug, erzeugt von den vier großen Kühlaggregaten unter der Decke. Der Professor zieht seine abgewetzte Wollmütze noch tiefer über die Ohren. Exakt minus 18 Grad herrschen hier, die ideale Temperatur zur Konservierung von Samen. Sollte die Klimaanlage ausfallen, dann wäre es durch den Permafrost immer noch kalt genug, beruhigt von Bothmer.
"Für mich sind das nicht nur Kisten"
Acht hohe, lange Metallregale gefüllt mit bunten Kisten reihen sich von Wand zu Wand. Der Raum - 10 Meter breit, 27 Meter lang - hat den Charme eines ganz gewöhnliches Warenlager. Doch wo andere nur einfache Plastikboxen sehe, sieht der Forscher viel mehr:
"Ich sehe den Inhalt, nicht nur Samen, sondern die ganze Vielfalt, das materielle Leben ...Für mich sind das nicht nur Kisten."
Und über fast jede dieser Kisten lassen sich Geschichten erzählen:
"Da haben wir Material von ICARDA, einem großen Landwirtschaftsinstitut, das sein Hauptquartier in Aleppo, in Syrien hat. Da gab es ja, wie Sie wissen große Probleme. Aber selbst während des Krieges ist dort gelungen, Material nach draußen zusenden. Die haben da einen fantastischen Job in Syrien gemacht."
Das Beispiel Syrien macht deutlich, worin die Hauptaufgabe des internationalen Saatgut-Tresors liegt: Spitzbergen ist keine Arche Noah, in der Samen für eine ferne Zukunft aufbewahrt werden. Jedenfalls nicht in erster Linie. Dieser Bunker ist das Back-up-System für die vielen nationalen und regionalen Genbanken weltweit.
"Wir verlieren viel Material , in diesen Genbanken. Da kann es Erdrutsche, Fluten oder Bürgerkriege geben."
850.000 Samenproben von Nutzpflanzen lagern hier mittlerweile tief im Berg.
"Davon haben wir hier 150.000 verschiedene Arten von Weizen und 145.000 Reis-Sorten, alle verschieden - das lässt mich schon etwas nachdenken darüber, was Artenvielfalt bedeutet."
Unterhaltskosten von rund 100.000 Euro im Jahr
Und weiter geht es durch die Regalgänge. (...)
Ein Blick in die Kisten ist nicht erlaubt. Wie bei einem Banktresor darf nur der Eigentümer über seinen Besitz verfügen.
"Das ist streng reguliert."
Einmal eingelagert, und dann ist Ruhe bis in alle Ewigkeit? So einfach ist die Sache leider nicht..
"Die Genbanken, die uns das Material schicken, überprüfen die Keimfähigkeit alle fünf bis zehn Jahre und wenn die Keimfähigkeit nachlässt, senden sie uns neues Material."
Für die Besitzer der Samen ist die Lagerung umsonst. Die Unterhaltskosten von rund 100.000 Euro im Jahr werden getragen vom Welttreuhandfonds für Kulturpflanzenvielfalt, einer UN-nahen Nichtregierungsorganisation und vom norwegischen Staat, für den der Samenbunker ein Prestigeobjekt ist.
Von Bothmer löscht die Lichter, schließt die Sicherheitstüren und lässt einen Raum zurück, der zumindest in den Augen eines Pflanzengenetikers einer der wichtigsten der Welt ist.