ARTE für Anspruchslose?

Von Michael Meyer · 27.12.2011
Die ARTE-Macher wollen mehr Zuschauer erreichen mit einem neuen Programmschema, das ab 7. Januar 2012 gilt. Dagegen regt sich Protest einiger Dokumentarfilmer aus Deutschland, die eine Verflachung befürchten und selbst das ARTE–Programm mittelfristig auf "Mainstream-Kurs" sehen.
Wer den deutsch-französischen Kulturkanal einschaltet, kann sicher sein, dass er stets Fernsehfeinkost serviert bekommt, Trash kommt nicht ins Programm – und wenn, dann allenfalls als Kult-Phänomen aus den 60er- oder 70er-Jahren. Das aber reicht ARTE Programmdirektor Christoph Hauser nicht mehr.

Das Profil soll geschärft werden. Zum einen, weil die Konkurrenz der anderen Kanäle stärker geworden sei, zum anderen, weil sich der Sender thematisch noch stärker auf Europa und seine Kulturen ausrichten will. Und drittens soll auch das Tagesprogramm als Alternative zum Billigfernsehen der anderen Kanäle neu justiert werden. Die wichtigste Neuerung ist, dass nun jeder Abend unter einem bestimmten Motto stehen soll:

"Wir haben weiterhin den Dienstag-Themenabend, der journalistisch investigativ ausgerichtet ist, und den Sonntagabend, der eher kulturell ausgerichtet ist. Wir nutzen auch an den anderen Abenden die Chance, uns stärker thematisch aufzustellen. Am Montag beispielsweise ein ganzer Abend, der dem Kino regelmäßig gewidmet ist, ... , der Mittwoch ist dem Autorenfilm gewidmet, etc. Also, wir gehen weg von der Programmmischung unterschiedlicher Genres, unterschiedlicher Themen, wir versuchen, die ganzen Abende thematisch auszurichten, und hoffen, dass die Zuschauer dieses Programmschema merken, dass es für sie kenntlicher ist und auch wählbarer ist."

Nun wäre eine solche Umstellung noch kein Grund zur Kritik. Jedoch sind einige Formulierungen in den Unterlagen zur Programmreform auf Widerspruch gestoßen. In einer Sendeplatz–Beschreibung der sogenannten "Kulturdoku am Sonntag" steht zum Beispiel: "Monografien sind auf dem Sendeplatz nur gerechtfertigt, sofern es sich bei der Person um eine bedeutende Persönlichkeit des kulturellen Lebens handelt".

Im Klartext heißt das: Liebe Dokumentarfilmer, kommt uns nicht mit exotischen Kulturfreaks am Sonntagnachmittag. Ein anderes Zitat: "Der Sonntagabend richtet sich generell an ein Primetime-Publikum."

So manchen Fernsehkritiker mag es bei solchen Formulierungen schütteln. Programmdirektor Christoph Hauser verteidigt das neue Schema: Es gehe nicht um Verflachung, sondern um eine frischere Umsetzung, etwa neue Bildsprachen, um so einen leichteren Zugang zu schaffen:

"Ich glaube, wir müssen einfach noch mal stärker deutlich machen, dass Kultur Spaß macht, dass unsere Aufgabe ist, Kultur zu vermitteln, und dass unser Programm wirklich interessant ist. (...) Man muss auch realistisch bleiben. Wenn man sich im europäischen Vergleich die Kultursender anschaut, dann sehen Sie beispielsweise, dass BBC 4, das Kulturflaggschiff der BBC, bei einem Marktanteil von 0,7 Prozent liegt. Also, ein Prozent ist offensichtlich die Marge, die man mobilisieren kann mit einem attraktiven Programm, das seine kulturelle Herkunft nicht verleugnet."

Deutschlands Dokumentarfilmer, die unter anderem in der "AG Dok" zusammengeschlossen sind, befürchten die Mainstreamisierung. Thomas Frickel, Geschäftsführer der "AG Dok" meint, dass ARTE sowohl von der französischen, wie auch von der deutschen Seite unter Druck gerate: Die Programme müssten oft in anderen Programmen, in Deutschland wie in Frankreich, wiederverwertbar sein. Und das habe Einfluss auf den Stil und die thematische Auswahl.

Zugespitzt formuliert: Dritte Welt–Themen gingen beispielsweise kaum noch, denn die könne man eben nur schwer in anderen Programmen wiederholen. Thomas Frickel:

"Wenn ARTE zunehmend ... die gleichen Programme in der gleichen Machart präsentiert, die man auch woanders zu sehen bekommt, zum Beispiel in den öffentlich-rechtlichen Programmen in Deutschland, aber auch in der Machart so gestrickt, dass sie für den internationalen Markt taugen, wo es einen bestimmten Kodex gibt, wie Dokumentationen auszusehen haben, wenn sie international zu vermarkten sein wollen. (...) Dann vielleicht entsteht irgendwann die Situation, dass die politische Seite, die die Finanzierung von ARTE zur Verfügung stellen muss, sich fragt: Braucht es denn diesen Kulturkanal, wenn der nur noch Programme hat, die man auch woanders sehen kann."

Programmdirektor Christoph Hauser kontert, dass noch immer 40 Prozent des Programms aus Dokumentarfilmen und speziellen Formaten besteht. Nicht alles habe dabei eine ganz eigene, unverkennbare Handschrift, gibt Hauser zu, aber dennoch bleibe ARTE die erste Adresse für die Dokumentarfilmer:

"Ich sehe und behaupte, dass ARTE der Sender ist im öffentlich-rechtliche System, der am stärksten investiert in anspruchsvolle Dokumentarfilme, und das gilt auch für die Zukunft. Wir haben das Dokumentarische nicht reduziert, das neue Schema hat neue Dokumentarplätze, die das thematische Spektrum erweitern. Ich glaub, was wir spüren, ist im Moment eine gewisse Verunsicherung der Produzentenlandschaft mit Blick auf die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Systems, da ist irgendwie die Grenze des Wachstums erreicht. Es wird deutlich, und das macht unruhig. Und die andere Verunsicherung, die ich spüre, ist die radikale Veränderung der Medienlandschaft durch das Internet und letztlich dann auch die Herausforderung an die Dokumentarfilmer, dokumentarisches Arbeiten neu zu definieren."

Mit anderen Worten: Wird der lange Dokumentarfilm überhaupt noch Bestand haben? Und was heißt es für Dokumentarfilmer, wenn sie von den Sendern manchmal nur noch ein Fünftel ihrer Produktionskosten bezahlt bekommen? Auf diese Fragen hat niemand eine Antwort.

In diesem Zusammenhang muss man auch die Debatte um die Talkshow-Schiene in der ARD sehen, die Dokumentarfilme auf unattraktive Plätze verwies oder zum Lückenfüller im Sommer degradiert. Auch deshalb sollte man sich wieder auf gewisse Tugenden rückbesinnen, meint AG-Dok-Geschäftsführer Thomas Frickel:

"Von diesen Gründungsideen, dass ARTE experimentelles Fernsehen macht, dass ARTE eben Einzelstücke macht, dass es anders ist als andere Sender, von diesen Ideen sollte man sich generell nicht verabschieden."